II, Theaterstücke 28, Die Schwestern oder Casanova in Spa. Lustspiel in Versen (Eifersucht, Die Wiederkehr, Spion), Seite 6


Sner

rsleute. Der Widerstand seiner Familie
das arme Mädchen gibt ihm die Kraft
ner Tat, so sehr das Abenteuer seiner
zuwider ist, und er entführt die Erkorene
redlichen Herzens. In Spa, dem Mode¬
des Rokoko, begegnen wir den Liebenden
Abenteurern und Glücksrittern. Sie
n im Gasthof, Tür an Tür mit einem
en Paare, dem angeblichen Baron Santis
iner Frau Flaminia. Diese hat das gleiche
al erfahren wie Anina. Vierzehn Jahre
ealt, als sie Santis erblickte — was weiß
er wurde ihr Gemahl. Seither weiß
hr vom Laben, und aus dem Gemahl
ein Reisebegleiter, gefällig dort, wo es
emahl nimmer sein dürfte:
Ach, wie war ich jung!
wenn ich denke, daß mich Santis liebte
heut noch liebt, so könnt' es seltsam scheinen,
er mich werden ließ. Doch man gewöhnt's.
nichts ist lusi'ger, glauben Sie, mein Kind,
Herz an Herz geschmiegt einander flüsternd
letzten Abenteuer zu vertrauen.
lachen wir! Denn, ach, die Welt ist dumm.
al die Männer —
kan gewöhnt's. Erschrocken hört Anina
d die kluge, welterfahrene Flaminia ahnt,
ninas Geschick ihrem eigenen ähnlich wer¬
ird.
warum nicht? — Der Wirt
meinen Sie? —
schwestern. Schwestern durch die De¬
ungen des Lebens. Liebe schwindet hin:
roße, selige und beseligende Gefühl ver¬
Was bleibt, sind die kleinen Passionen
en Blutes.

Beutelsehneider wie dieser sogenannte Baron
Santis, sondern rechtschaffen und ein Ehren¬
doch. Es ist ja doch schon zu spät. Die Welt
in die sie mit ihrem jungen, keuschen Glück ge¬
flohen, sie hat sie schon in ihre Krallen gerissen.
Aninas Wangen sind bleich von der Nacht. Es
war die erste, daß Andrea nicht an ihrer Seite
ruhte, sondern am Spieltisch weilte. Allein
harrte Anina seiner. Da schwang sich über die
Fensterbrüstung ein Mann. Casanova?
Er war's. Und ch' die Lippen mir
Zu einem Schrei sich auftun, hat er über
Die Brüstung ins Gemach sich frech geschwungen,

Ist mir so nah, daß über meine Lider
Sein Atem weht, daß seiner Pulse Beben
Den meinen sich gesellt; — in seinem Hauch —
Der kühl und heiß zugleich — kein Kuß, viel eher
Ein Flüstern ohne Wort, ein Fleh'n, ein Bann —
Doch endlich, ach, von meinem Mund ersehnt,
Zum Kusse wird — löst all mein Sein sich auf,
Und auf den Traumeswellen dieser Stunde,
Vergang'ner nicht, zukünft'ger nicht bewußt,
Treibt es, wie von sich selbst befreit, dahin. —
Als ich erwachte in des Morgens Grau'n
War ich allein und lag mit off'nen Augen
Und wußte wohl: was diese Nacht geschah; —
Nicht andern nur, mir selbst, Andrea, wär' es
Vor wenig Stunden noch wie schwerste Schuld —
Und nicht nur wider dich als Schuld erschienen.
Und doch — war meine Seele leicht und froh.
Dies aber ließ mich staunen mehr als schauern. —
So ganz in dir beschlossen gestern abend,
Daß der Gedanke nur, ein andrer Mann
Berührte meine Hand unlautern Sinns
Mit Eke' mich erfüllt — und morgens d'rauf
Aus eines Fremden wildester Umarmung
So reulos wie aus Kinderschlaf erwacht?!
Und deiner Zärtlichkeit so wert, Andrea,
Als müßte, was ich grausam dir an Schmerzen,
Was du an Zorn mir vielfach wiedergibst,
Vor dem geheimnisvollen Wort verwehn,
Das dir bekennt, was man verschweigen konnte.
In diesen klangschönen und ergreifenden
Versen steckt der Schlüssel, der den Konflikt auf¬
schließt. Aninas Geständnis trifft den
braven Bürger Andrea Bassi, wie es jeden
Mann seines Schlages treffen würde. Er kann
darüber nicht hinweg. Erst als es klar wird, daß
diese Liebesnacht ein Mißverständnis war, da
Casanova, von Flaminia zu einem Schäfer¬
stündchen geladen, diese in seinen Armen zu
halten glaubte, und somit zwar Anina besessen
hatte, aber ihrer Ehre nicht nahegetreten war,
schwingt sich, genau wie Noros Gatte, der
Rechtanwalt Helmer, Andrea Baßi zum Ver¬
stehen und Vergessen auf, aber ebesso wie Nora
will auch Anina nun ihr eigenes Leben suchen.
Neu fängt ihr Leben an, und keiner ist darin,
nicht Bassi und nicht Casanova. Obzwar, diesen
liebt sie jetzt, und jetzt erst wird es Glück
Bis hierher ist Anina, von der ihre
Kontrastfigur, die animalische Sizilianerin
Flaminia, sagt, daß sie fast eine Deutsche ist,
von durchaus nordischen Empfindungen be¬
wegt und getragen, bis hierher kämpft sie um
das Recht und den Wert ihrer Persönlichkeit.
Aber von dieser Stelle an biegt der Dichter ihre
Gestalt ins Südliche um, wendet sie in die
heiteren, von Konflikten nicht so sehr als von
Intrigen aufgerührten Bezirke Boccaccios. Wir
sehen plötzlich eine andere Anina, die einem
Schäferspiel gehört, uns fremd wird und uns
kühl läkt.
Die Kaitalt, fällt, wird Figurine, und
das reizvolle, geistsprühende Schäferspiel be¬
herrscht von nun an völlig das Interesse.
Andrea Bassi wirft die Frage auf, welche
von den Frauen, ob Anina oder Flaminia, bei
dem Abenteuer eigentlich betrogen wurde. Da
keine Einigung erzielt werden kann, wird Santis
als Schiedsrichter angerufen. Um hen wahren
Charakter der Dinge zu verhüllen, Reidet Bassi
den Konflikt geschickt in die Form einer Novelle,
zu der ihm bloß die Pointe fehle. Aber auch dem
ahnungslosen Baron wird der Fall nicht klar,
und so wird — wer wäre berufener in Liebes¬
dingen mitzusprechen? — Casanova zur Lösung
der Streitfrage bemüht. Man trägt ihm den
Fall vor, er errät, worum es sich handelt und
daß er in dieser Nacht einen Sieg errungen, der
keiner war. Und somit entscheidet er: nicht die
Frauen sind betrogen, betrogen ist der Mann.
Denn die Frau, die ihn erwartete, besaß er nicht,
und die andere, die er besaß, war doch nicht die
seine, da er sie erkannte, ohne sie zu erkennen.
Er steht allein, und es erfüllt ihn ein Gefühl wie
Neid, da er die Frauen sieht, die ihren Streit
um ihn vergessen haben, Arm in Arm wandeln
und Schwestern sind.
Schnitzlers neue Dichtung leidet an dem er¬
wähnten Mangel in ihrer inneren Struktur. Aber¬
ihr äußerer Aufbau ist meisterhaft geglückt und
rühmenswert. Wie da die Fäden ineinander ge¬
schlungen sind, wie jedes Motiv ausgenützt wird,
wie die Retardationen geschickt angebracht sind,
das ist das entzückende Spiel einer leichtblütigen
und glücklichen dichterischen Lanne. Man gibt
sich willig dem verwirrenden Reiz der Intrige
hin, freut sich der plastisch herausgearbeiteten
Charaktere und ist nahe daran, sich von den an¬
mutig hinfließenden, an sinnlichem Wohlklang
überreichen Versen die kritischen Bedenken ab¬
schmeicheln zu lassen. Dem Dichter, dessen Ver¬
liebtheit in das Werk man aus jeder Zeile spürt,
mag es ebenso ergangen sein. Leo Prerovsky.