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Die Schwestern von Alfred Polgar
Traufführung im Burgtheater: „Die Schwestern“ oder „Casanova
in Spa“. Lustspiel von ArthWSch-
Erster Akt. Casanova irrt sich im Fenster, steigt nachts
statt in das Zimmer der ihn erwartenden Flaminia in das der
braven Anina. Das perplexe Mädchen, obzwar in tiefer Liebe
einem Dichter verbunden, unterliegt — die Seele ist Eines und
das Nervensystem ist ein Andres! — der à-la-minute-Verführung.
Andern Tags gesteht sie's dem Dichter, gleich Nora eine große
Geste des Verstehens und Verzeihens erwartend. Der Dichter
aber rast in Schmähung und Vorwürfen, worauf Anina sagt, sie
sei mit ihm fertig und gehe nun zu Casanova.
Zweiter Akt. Casanova, des Glaubens, er sei bei Flaminia
gewesen und die Rache ihres Galans, eines bedenkenlosen Glücks¬
ritters fürchtend, will fort. Von dem Dichter entlehnt er Geld
zur Reise Der Dichter, im Verlauf dieser Darlehnsbesprechung
den Irrtum erkennend, in dem sich der Marquis befindet, will nun
gern seiner Anina verzeihen. Aber sie besteht auf ihrem Casa¬
nova. Auch Flaminia besteht auf ihm. Teftiger Konflikt zwischen
den beiden Frauen. Der Dichter will zur Entscheidung der
Frage, wer das höhere Anrecht auf Casanova habe — die Frau,
die er de facto besessen, oder die, die er zu besitzen geglauht —
jenen Freund Flaminias, den Hochstapler. zum Schiedsrichter auf¬
rufen. Der Hochstapler erklärt sich für inkompetent, schlägt
Casanova als Richter vor.
Dritter Akt. Casanova entscheidet (der Fall wird ihm in
Form einer der Lösung harrenden Novelle vorgetragen), daß in
der ganzen Sache eigentlich der Liebhaber der Betrogene sei.
Dann fallen, zwischen den handelnden Personen, die Ver¬
schleierungen der Tatsachen, es kommt zum Degenstreit der
Männer gegen Casanova und zur Schlichtung durch eine plötzlich
auftretende ältere Geliebte des Marquis, die ihn nach Wien ent¬
führt.
Das Stück, in Versen geschrieben, ist durchsetzt von dem
halb bittern, halb sentimentalen Skeptizismus, der dem Humor
wie der Schwermut Schnitzlerscher Dichtungen ihre in bessern
Kreisen hochgeschätzte Opalfarbe gibt. Es ist zum Teil frisch
und lustig, zum Teil auch ohne Frage: weise. Die Erkenntnis,
daß alle Frauen Schwestern, alle Männer Brüder in genitalibus,
wird mit Sinn und Witz vorgetragen. Dennoch ist die Komödie
nicht sehr erquicklich. Sie fängt als Problemstück an und
wird ganz mechaniech zum Lustspiel umgebogen. Nach
dem vielverheißenden ersten Akt wandeln sich die Menschen auf
der Bühne plötzlich zu Puppen. Und das Ineinander von Per¬
sönlichkeiten, Schicksalen, Trieben löst sich in ein weitläufiges
artistisches Worte-Spiel. Die Meinung der Ausleger, solche
Wandlung ins Leichte, Je-m’en-fichestische bewirke eben Casa¬
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novas Erscheinung ist nicht stichhaltig, denn hiezu wäre es wohl
nétig gewesen, den Casanova als wahrhaft bezaubernde, das bicke und
grübe der Menschendinge in der essentiellen Schärfe seines bebensge
fühls lockernde und 1ösende Persönlichkeit zu zeigen. Er ist aber im
Stück nur ein recht belanglöser wenn auch körperlich wie geistig beweglicher
beau (als solche stellt ihn auch Herr Tresser dar), der nicht viel väre,
hiesse er nicht. Casanova. Ueberraschend ist die sonderbare Undelikatesse
mancher Szenen. Der Eindruck wird wach, dass der Autor hier mit Fäusten zu
gegriffen, weil er derkraft seiner Fingerspitzen nicht mehr recht getrautl
Zuzänglich, nicht überwält igend gespielt, fand das Stück viel Anglang, Nicht
einmal der dritte Akt, der nicht auhören kann, seiner selbst nächt Troh sich
durch episodische Hänzutat und Verbiegung des Neges in Zick Zack imner
wieder prolongiert, inmer noch ein Stückchen Sinn, tiefern Sinn, tiefsten
Sinn hinzuredet, störte Behagen und Beifallslust der Hörer.