II, Theaterstücke 28, Die Schwestern oder Casanova in Spa. Lustspiel in Versen (Eifersucht, Die Wiederkehr, Spion), Seite 164

28.
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Die Schuestern-oder-Casanous n Sna
Wendriner. Die Frau in der modernen Literatur
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von ihr Abschied zu nehmen. Es wird ein Abschied fürs
eine resignierte Ruhe findet. Außere Geschehnisse im Leben
Leben. Lotte. Eßlinger heiratet ohne Liebe den reichen
dieser schlanken, blonden Frau, die unter den Töchtern
Weintaufmann Adrian Leuthold und führt ein resigniertes
der anspruchsvollen, ehrgeizigen Frau Monica immer
Mutterdasein, bis Felix Heß ihr wieder in den Weg
im Vordergrunde bleibt, erinnern deutlich an die ersten
tritt. Die alte Liebe erwacht von neuem. In schwersten
Abenteuer Ellis. Aber es ist, die Atmosphäre der beiden
inneren Kämpfen will sich Lotte von ihrem Mann und von
beleuchtend, charakteristisch, daß Christiane sich zuerst
ihren Kindern trennen, bis sie, zuerst zurückgehalten durch
ihrem ihr feierlich verlobten Bräutigam, dem Oberlent¬
die brutale Gewalt des Gatten, zuletzt nach dem Frei¬
nant v. Moor, hingibt, während sich Elli an den jungen
tode ihres Sohnes erkennen muß, daß es ihre Pflicht ist,
Gelehrten, der ihr sehnsüchtiges Herz mit dem Klang
den einmal betretenen Lebensweg zu Ende zu gehen.
und der Weisheit Georgescher Verse erfüllt, verschentt.
Wie Holzschnittfiguren stehen die Menschen in diesem
Fleischers Roman von den drei Töchtern der Frau Monica.
Drama vor unseren Augen, scharf ummeißell und liebe¬
von der allzu tüchtigen und gewissenhaften Magda und
voll gezeichnet, vor allem Lottes alte Großmutter, die
der kleinen Lisa, die alle nicht nach dem Wunsche ihrer
Frau Bürgermeisterin Dorothea Eßlinger und ihre Ur¬
äußerlichen Mutter heiraten, ist eine liebenswürdig er¬
enkelin Angelika, die einst als erste den Stein auf ihre
zählte, künstlerisch belanglose Geschichte aus dem täg¬
Mutter geworfen hatte und die nun selbst das Schicksal
lichen, allzu täglichen österreichischen Bürgerleben.
ihrer Mutter schmerzvoll erleben muß.
„Die große Liebe“ hat eine Frau, Agnes Henning¬
Das Thema von der großen Liebe hat Arthur
sen, schon als Titel auf ihren neuen Roman geschrieben.
Schnitzler in seinem Gedicht „Die Schwestern, oder
In diesem psychologisch überfeinen Buch einer Frau über
Casanova in Spa“ in einem Lustspiel in Versen behandelt.
Frauen erscheint die Liebe als der einzige Lebensinhalt
Bei der Besprechung von Schnitzlers seiner Novelle
der Frau. Seelische Klänge schwirren dazwischen. Aber
„Casanovas Heimkehr“ wurde bereits auf den Eindruck
die Heldin der Geschichte, die dänische Malerin Gerda
hingewiesen, den die Lektüre der Denkwürdigkeiten des
Rose, die ihr Leben lang die große Liebe sucht, und die
großen Abenteurers auf den Dichter der „Liebelei“ ge¬
zuletzt als alternde Frau in der erneuten Mutterschaft
macht hat. In seinem Lustsviel erzählt Schnitzler von
die Erfüllung ihres Sehnens erlebt, und ihre Tochter,
dem jungen, allen Frauen gefährlichen Casanova, um den
die kleine schlanke Yvonne, die ohne vieles Suchen die
sich die siebzehnjährige Anina mit der moralisch nicht
große Liebe findet, erleben ihre Leidenschaften wesentlich
ganz einwandfreien Baronin Flaminia und der berühmten
in ihren körperlichen Beziehungen zu den Männern, die
Tänzerin Teresa aus Neapel streitet, und der zuletzt doch.
sie lieben. Und wie Gerda Rose und ihre Tochter, die
dank der Geschicklichkeit seiner Rede und seiner Degen¬
symbolisch verkleidet als Ninon de Lenclos und Sohn
führung, aus allen seinen Liebesabenteuern als Sieger
auf das entscheidende Karnevalsfest gehen, leben auch alle
hervorgeht. Schnitzlers Lustspiel, in reizvollen Versen ge¬
die anderen Frauen, die schöne Anne und die eifersüchtige
schrieben, ist eine liebenswürdige Plauderei, der der Dich¬
Tora, nur ihren Leidenschaften, nur ihrer Sehnsucht nach
ter selbst in der Gestalt eines verabschiedeten älteren
einer großen Liebe. Agnes Henningsen hat vollendetere
hollandischen Offiziers nachdenklich lächelnd zuschaut, um
Bücher geschrieben, als diese Geschichte von der großen
zuletzt, ein gealterter Anatol, das Schlußwort zu sprechen:
Liebe. Es wird zuviel hineingeheimnist in die Seelen und
„Noch einmal jung sein! — Doch man war's einmal!“
Herzen der Frauen, so daß uns zum Schluß nicht abgerun¬
Tief tragisch klingt dagegen die Tragikomödie „Kleine
dete Gestalten gegenüberstehen, sondern daß ein Komplex
Sklavin“ von Dietzenschmidt aus. Der junge Dichter
von Tönen und Farben, schillernd, einschmeichelnd, ver¬
dramatisiert die Geschichte eines vierzehnjährigen Mäd¬
führerisch, in unserer Erinnerung bleibt.
chens, das von seiner Mutter unbewußt verkauft wird
Nur zwei Gestalten, ein Mann und eine Frau be¬
und in einem Bordell endet. Nicht die Gestalt des un¬
herrschen Werner Schendells Roman „Dienerin“.
glücklichen Kindes ist es, die die starke Begabung Dietzen¬
Es ist die Geschichte der Liebe zweier Menschen, einer
schmidts beweist, sondern die dramatische Liebesszene
starken Frau und eines schwächlichen Mannes, an der
im zweiten Aufzug und die naturalistische Darstellung
die Frau zerbricht und zugrunde geht. Breit und lang¬
des Milieus, in dem das Kind aufwächst, der Wirtschaft
atmig wird der innere Kampf dieser beiden Menschen
der Frau Deidel mit ihren beiden Zimmerherren, und
erzählt, werden die zermürbenden Grübeleien des Mannes
des Lebens im Hause der „Stellenvermittlerin“ Frau
und der Frau dargestellt, die Tag und Nacht das Schicksal
Dürmer, von der Lilli verkuppelt wird.
um ihre Rechte auf sich selbst und auf den anderen Men¬
Alle diese Dichter, der alternde Arthur Schnitzler und
schen befragen. Es steckt eine starke Begabung in diesem
der junge Albrecht Schaeffer, der Österreicher Victor
Buch, und doch bleibt, wenn man es aus der Hand legl, ein
Fleischer und die Dänin Agnes Henningsen, haben die
Gefühl menschlichen Unbefriedigtseins zurück. Man hat
Frau dargestellt in ihren sinnlichen Leidenschaften, mit
das Gefühl des Gleichgültigseins gegen diesen Mann, gegen
all den Wünschen ihres heißen Blutes. Otto Buch¬
diesen arroganten Schwächling, der sich als einzigen Mittel¬
mann, dessen Bücher schon im hundertsten Tausend er¬
punkt der Welt empfindet, der sich selbst ob seiner unseeli¬
schienen sind und also zu einer großen Menge Menschen
schen Intellektualität für so wertvoll hält, daß er ohne
sprechen müssen, singt ein süßlich=sentimentales Lied auf
Achselzucken eine geliebte Frau an seinem Wesen zugrunde
die Frauen. Wie ein Chopinsches Notturno soll sein Lied
gehen läßt. Das Buch ist charakteristisch für die junge
durch die blasse Nacht wehen und alle Tore der Seele
Dichtergeneration unserer Zeit, der die große Gefühls¬
öffnen. In solcher Nächte ungeheurem Schauen neigt er
gebärde eines Werther völlig abhanden gekommen ist und
sich demütig, dankbeseelt über die Hände einer geliebten
die durch intellektuelle Reflexionen und Grübeleien voll¬
Frau, um leise in Schlaf und bunte Träume zu sinken.
wertig die Sprache des Herzens zu ersetzen glaubt.
Es sind geschmackvolle Bucher, die Otto Buchmann seinen
Auch Lotte Eßlinger, die Heldin von Ernst Zahns
Getreuen schenkt, es ist Lyrik in Versen und in Prosa.
Erzählung „Lotte Eßlingers Wille und Weg“, verblutel
aber es ist eine nur formgewandte Lyrit, die aus einer
innerlich an ihrer Jugendliebe. Lotte Eßlinger, das ty¬
letzten Erdenferne nur an das Herz von Menschen dringt,
pilche Schweizer Mädchen, hat in ihrer Kindheit den
die nicht selbst in jeder Stunde und an jedem Tage die
Knaben Feiix Heß geliebt, der, da er die Universität
Kämpfe des Lebens und ihres Blutes auszukämpfen haben.
Berlin besuchen will, eines Tages vor sie hintritt, um
Herasneder für Deuisch=otereich: Frieses kang, Wien I. Beimerstrhe 3.
Verantwortlich für die Schrifteluna: Gottios Maper in Leios.
verantwortlich für die Schriftleitung: C. O. Friese. Wien I. Brännerstraße 3. — Copyright 1. Juli 1920 by Philipo Reclam jun.. Leipzig.