27. Eink und Fliederbusch
11000177
Deutsches Tagblatt
Ostdeutsche Hundschar
Wien
Kanst und Bühne.
Wien, 16. November.
iers
Deutsches Volkstheater. Artur 2c11
neue Komödie „Fink und Flicderbusch“
auf einem echt journalistischen Cinfall beruhendes
Journalistenstück, das Schmock aus dem untergeurd¬
neten Dasein einer Episodengestult zum vielumworbe¬
nen Helden von drei langwierigen Komödienakten er¬
hebt. Schmock, der sich bei Freytag berühmt, ebensn gut
nach rechts wie nach links, immer aber Brillanten zu
schreiben, führt bei Schnitzler den Doppelnamen Fink
und Fliederbusch. Unter dem einen Namen schrocbt er
für ein demokratisch=liberales Tagblatt politische Leit¬
aufsätze die er unter dem anderen Namen in einem
christlich=konservativen Wochenblatt belämpft. Durch
die geharnischte Polemik, die er da und dort gegen sich
seibst führt, gerät er schließlich in die Zwangslage, sich
mit sich selber zu schlagen. Als der Zweikompf ausge¬
tragen werden soll, kommt der Schwindel auf und die
Herausgeber der beiden Blätter sind von seinem Ge¬
niestreich so entzückt, daß einer den anderen überbietet,
um sich die journalistische Kraft des vielgewandten
Doppelschreibers für ihre Zeitungsunternehmungen
zu sichern. Man sieht: es handelt sich um eine schwank¬
hafte Voraussetzung, die nach grotesker Durchführung
verlangt. Schnitzler fühlte sich zu Höherem verpflichtet
und verbarb sich das Spiel. Er wollie aus der possen¬
haften Voraussetzung eine vornehme Lustspielsatire
pressen, die vom untersten Zeitungsgetriebe bis hin¬
auf zu den höchsten Spitzen und Stützen der Geselt.
schaft reicht, und er wollie zugleich ein Schlüsselstück
gewinnen, das durch die Pikanterie seiner Durchsech¬
tigkeit dem Sensationsbedürfnisse des Tages entgegen¬
kommt. Wer aber zwei Herren dienen will, mit dem ist
kaum jemals einem wirklich gedient, und Schnitzler en¬
ging es wie dem ungeschickten Clomn, der zwischen zwei
Stühle zu sitzen kam. Scherz, Satire und Jronie blei¬
ven ohne tiefere Bedeutung und die pucr Wite, die aus
dem Dialog aufblitzen, verfehlen das Ziel, uuis
Schnitzler es sich mit niemandom verderben will. und
sich für seine Komödie der Geünnungslosigkeit eine ien¬
nisierende Gerechtigkeitsschablone zurechtgelegt hal, die
für jede Anllage gleich eine Entschuldigung bereit het,
wie jener christlich=konservative Graf Niederhofer, der
in der Komödie die höhere Moral verkörpert. man
dürse sich nicht auf eine Ueberzeugung festlegen, son¬
dern müsse sich das Recht wahren, jeden Tag eine an¬
dere haben zu können. Daß solche Moralsätze trotz ihrem
doppelten Boden ins Bodenlose führen, begreift sich
ebenso leicht, wie daß eine satirische Komödle, die sich
scheut, Farbe zu bekennen, wirkungslos verpussen muß.
Womöglich noch größere Vorsicht übte die Darstellung
des Deutschen Volksthealers, die alles, was nach Osfen
weist, ins Westliche retuschierte. Die tragende Doppel¬
rolle des Fink und Fliederbusch mit dem sanften sym¬
pathischen Herrn Edthofer zu besetzen, kommt gera¬
dezu einer Fälschung gleich, wenn andrerseits die be¬
scheidene Episodengestalt eines zur anarchistischen.
Wurstigkeit herabgesunkenen Aristokraten der feinen,
aber unbarmherzig scharfen Charaklerisierungskunst
des Herrn Thaller anvertraut wird. Bei so un¬
gleicher Verteilung von Licht und Schalten genügt
dann die lässig=vornehme Liebenswürdigkeit des Herrn
Kramer in der Darstellung eines gräflichen Ste¬
bers nicht, um einen gerechten Ausgleich herzustellen.
So kam es, daß unter allen, die noch mittaten, sich
Herr Forest den größten Erfolg holte, weil er den
Mut hatte, die Karikatur eines dramatisch betätigten
Reporters mit den individuellen Zügen östlicher Be¬
triebsamkeit auszustätten. Die Schnitzter=Gemeinde seß
es an Beifall und Hervorrufen nicht fehlen. Um so
strenger ging die Kritik mit der Komodie ins Gericht.
So lange Schnitzler sein satirisches Mutchen an ande¬
ren Berufen, Ständen und gesellschaftlichen Eirrich¬
tungen kühlte, verzieh man ihm jede Verirrung und—
schrie sie als künstlerische Großtat aus.
„
box 33/1
11301 19772
2#
uge ##emdenblaft
Ein neues Drama
von Arthur Schnitzler.
„Fink und Fliederbusch“.
Uraufführung in Wien.
Die am Deutschen Volksthea¬
te
zum ersten Male zur Aufführung ge¬
prachte dreiaktige Komöpie] „Fink und Flieder¬
busch“ von Arthur Schnistzler wird für den
größten Teil des Publikums eine Enttäuschung
gewesen sein. Daß der Verfasser des „Ana¬
ol“=Zyklus und all der anderen Stücke, in
welchen die sexuellen Probleme es sind, die
beherrschend im Vordergrunde stehen, der
Schöpfer der gestrigen Neuheit ist, würde man
gum glauben, wenn man nicht durch die Be¬
##ndlung des Dialogs und nicht zuletzt auch
adurch daran gemahnt werden würde, daß
Schnitzler sich wieder einmal mit einem seiner
Zieblingsthemen, mit der Frage der Berechti¬
#uing oder Verwerflichkeit des Zweikampfes be¬
schäftigen würde, die er in seinem bekannten
feuilleton „Leutnant Gustel“ und in „Frei¬
bild“ behandelt hat. Der so poetisch klingende
sitel der Komödie ist“ eine Irreführung.
Fink“ und „Fliederbusch“ sind Namen, unter
selchen ein junger Journalist
zwei
erschiedenen Blättern entgegengesetzter poli¬
scher Richtung schreibt. Das heißt, die Sache
erhält sich noch etwas anders. In dem zwei¬
Blatt polemisiert er gegen die Artikel,
ie er in dem ersten veröffentlicht hat. Durch
eine groteste Verkettung von Umständen kommt4
es sogar dazu, daß
Fink von Fliederbusch
ritterliche Genugtnung zu fordern gezwungen
wird. Der Zweikampf wird wirklich festgesetzt,
und zwar unter besonders scharfen Bedingun¬
gen. Erst auf dem Kampsplatz wird es offen¬
bar, daß Fink und Fliederbusch eins sind.
Das ist
das dürre Gerippe der Komödie
Schnitzlers, das mit einer reichlichen Anzahl
von Aphorismen über Moral, Politik und Ge¬
sellschaft, vor „allem aber auch über Wesen
und Wert persönlicher Ueberzeugung drapiert
ist.
Nach dem Ausklang der Komödie scheint!
Schnitzler der Meinung zu sein, daß die Welt
Ueberzeugungstreue nicht besonders hoch ein¬
schätzt, sondern daß sie größeren Wert auf Viel¬
seitigkeit und Wandlungsfähigkeit legt, weil da¬
durch erwiesen wird daß die beiden Blätter
durch ein förmliches Lizitieren des Gehaltes
sich der Mitarbeiterschaft des journalistischen
Chamaeleons Fink=Fliederbusch zu versichern be¬
strebt sind. Die Darstellung der Komödie, für
die das Interesse durch eine mehrere Porträts
bekannter Wiener Journalisten aufweisende
Milieuschilderung gesteigert wurde, war eine
vorzügliche. Frl. Waldow — in der einzi¬
gen weiblichen Rolle
sowie die Herren
[Edthoser
2 in der Titelrolle
Kra¬
mer, Fürth, Kutschera, Klitsch,
Forest, Götz und Millmann sorgten
für ein flottes Zusammenspiel und überbrückten
so manche bedenkliche Stelle.
oj¬
11000177
Deutsches Tagblatt
Ostdeutsche Hundschar
Wien
Kanst und Bühne.
Wien, 16. November.
iers
Deutsches Volkstheater. Artur 2c11
neue Komödie „Fink und Flicderbusch“
auf einem echt journalistischen Cinfall beruhendes
Journalistenstück, das Schmock aus dem untergeurd¬
neten Dasein einer Episodengestult zum vielumworbe¬
nen Helden von drei langwierigen Komödienakten er¬
hebt. Schmock, der sich bei Freytag berühmt, ebensn gut
nach rechts wie nach links, immer aber Brillanten zu
schreiben, führt bei Schnitzler den Doppelnamen Fink
und Fliederbusch. Unter dem einen Namen schrocbt er
für ein demokratisch=liberales Tagblatt politische Leit¬
aufsätze die er unter dem anderen Namen in einem
christlich=konservativen Wochenblatt belämpft. Durch
die geharnischte Polemik, die er da und dort gegen sich
seibst führt, gerät er schließlich in die Zwangslage, sich
mit sich selber zu schlagen. Als der Zweikompf ausge¬
tragen werden soll, kommt der Schwindel auf und die
Herausgeber der beiden Blätter sind von seinem Ge¬
niestreich so entzückt, daß einer den anderen überbietet,
um sich die journalistische Kraft des vielgewandten
Doppelschreibers für ihre Zeitungsunternehmungen
zu sichern. Man sieht: es handelt sich um eine schwank¬
hafte Voraussetzung, die nach grotesker Durchführung
verlangt. Schnitzler fühlte sich zu Höherem verpflichtet
und verbarb sich das Spiel. Er wollie aus der possen¬
haften Voraussetzung eine vornehme Lustspielsatire
pressen, die vom untersten Zeitungsgetriebe bis hin¬
auf zu den höchsten Spitzen und Stützen der Geselt.
schaft reicht, und er wollie zugleich ein Schlüsselstück
gewinnen, das durch die Pikanterie seiner Durchsech¬
tigkeit dem Sensationsbedürfnisse des Tages entgegen¬
kommt. Wer aber zwei Herren dienen will, mit dem ist
kaum jemals einem wirklich gedient, und Schnitzler en¬
ging es wie dem ungeschickten Clomn, der zwischen zwei
Stühle zu sitzen kam. Scherz, Satire und Jronie blei¬
ven ohne tiefere Bedeutung und die pucr Wite, die aus
dem Dialog aufblitzen, verfehlen das Ziel, uuis
Schnitzler es sich mit niemandom verderben will. und
sich für seine Komödie der Geünnungslosigkeit eine ien¬
nisierende Gerechtigkeitsschablone zurechtgelegt hal, die
für jede Anllage gleich eine Entschuldigung bereit het,
wie jener christlich=konservative Graf Niederhofer, der
in der Komödie die höhere Moral verkörpert. man
dürse sich nicht auf eine Ueberzeugung festlegen, son¬
dern müsse sich das Recht wahren, jeden Tag eine an¬
dere haben zu können. Daß solche Moralsätze trotz ihrem
doppelten Boden ins Bodenlose führen, begreift sich
ebenso leicht, wie daß eine satirische Komödle, die sich
scheut, Farbe zu bekennen, wirkungslos verpussen muß.
Womöglich noch größere Vorsicht übte die Darstellung
des Deutschen Volksthealers, die alles, was nach Osfen
weist, ins Westliche retuschierte. Die tragende Doppel¬
rolle des Fink und Fliederbusch mit dem sanften sym¬
pathischen Herrn Edthofer zu besetzen, kommt gera¬
dezu einer Fälschung gleich, wenn andrerseits die be¬
scheidene Episodengestalt eines zur anarchistischen.
Wurstigkeit herabgesunkenen Aristokraten der feinen,
aber unbarmherzig scharfen Charaklerisierungskunst
des Herrn Thaller anvertraut wird. Bei so un¬
gleicher Verteilung von Licht und Schalten genügt
dann die lässig=vornehme Liebenswürdigkeit des Herrn
Kramer in der Darstellung eines gräflichen Ste¬
bers nicht, um einen gerechten Ausgleich herzustellen.
So kam es, daß unter allen, die noch mittaten, sich
Herr Forest den größten Erfolg holte, weil er den
Mut hatte, die Karikatur eines dramatisch betätigten
Reporters mit den individuellen Zügen östlicher Be¬
triebsamkeit auszustätten. Die Schnitzter=Gemeinde seß
es an Beifall und Hervorrufen nicht fehlen. Um so
strenger ging die Kritik mit der Komodie ins Gericht.
So lange Schnitzler sein satirisches Mutchen an ande¬
ren Berufen, Ständen und gesellschaftlichen Eirrich¬
tungen kühlte, verzieh man ihm jede Verirrung und—
schrie sie als künstlerische Großtat aus.
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Ein neues Drama
von Arthur Schnitzler.
„Fink und Fliederbusch“.
Uraufführung in Wien.
Die am Deutschen Volksthea¬
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prachte dreiaktige Komöpie] „Fink und Flieder¬
busch“ von Arthur Schnistzler wird für den
größten Teil des Publikums eine Enttäuschung
gewesen sein. Daß der Verfasser des „Ana¬
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welchen die sexuellen Probleme es sind, die
beherrschend im Vordergrunde stehen, der
Schöpfer der gestrigen Neuheit ist, würde man
gum glauben, wenn man nicht durch die Be¬
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Schnitzler sich wieder einmal mit einem seiner
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schäftigen würde, die er in seinem bekannten
feuilleton „Leutnant Gustel“ und in „Frei¬
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Fink“ und „Fliederbusch“ sind Namen, unter
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Blatt polemisiert er gegen die Artikel,
ie er in dem ersten veröffentlicht hat. Durch
eine groteste Verkettung von Umständen kommt4
es sogar dazu, daß
Fink von Fliederbusch
ritterliche Genugtnung zu fordern gezwungen
wird. Der Zweikampf wird wirklich festgesetzt,
und zwar unter besonders scharfen Bedingun¬
gen. Erst auf dem Kampsplatz wird es offen¬
bar, daß Fink und Fliederbusch eins sind.
Das ist
das dürre Gerippe der Komödie
Schnitzlers, das mit einer reichlichen Anzahl
von Aphorismen über Moral, Politik und Ge¬
sellschaft, vor „allem aber auch über Wesen
und Wert persönlicher Ueberzeugung drapiert
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Nach dem Ausklang der Komödie scheint!
Schnitzler der Meinung zu sein, daß die Welt
Ueberzeugungstreue nicht besonders hoch ein¬
schätzt, sondern daß sie größeren Wert auf Viel¬
seitigkeit und Wandlungsfähigkeit legt, weil da¬
durch erwiesen wird daß die beiden Blätter
durch ein förmliches Lizitieren des Gehaltes
sich der Mitarbeiterschaft des journalistischen
Chamaeleons Fink=Fliederbusch zu versichern be¬
strebt sind. Die Darstellung der Komödie, für
die das Interesse durch eine mehrere Porträts
bekannter Wiener Journalisten aufweisende
Milieuschilderung gesteigert wurde, war eine
vorzügliche. Frl. Waldow — in der einzi¬
gen weiblichen Rolle
sowie die Herren
[Edthoser
2 in der Titelrolle
Kra¬
mer, Fürth, Kutschera, Klitsch,
Forest, Götz und Millmann sorgten
für ein flottes Zusammenspiel und überbrückten
so manche bedenkliche Stelle.
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