27. Einkund Fliederbusch
Zeitung: Vossische Zeitung
Morgen-Ausgabe
Adresse: Berlin
Datum:
SI N0V. 1919
Der neue Schnitzler.
Von
Alfred Polgar.
Wien, November 1917.
Das neue Stück von Arthur Schnitzler ist eine Komödie, heißt
„Fink und Fliederbusch“, und spielt in Journalisten¬
11
kreisen. Es hat drei ehkte.
Erster Akt: Die Redaktion der demokratischen „Gegenwart“.
Journalistenleben, -schreiben und =treiben. Zeitungsl#te und
Zeitungsmache, gesehen mit den Augen eines gutmütigen Ironikers.
Der Chefredakteur heißt „Leuchter“. Er lauchtet nicht selbst, hält
nur Lichter. Der Politiker ist lächerlich temperamentvoll, gibt
Leitartikel=Klein von sich. Der Feuilletonredakteur spricht wiene¬
risch, sonst hat er nichts Bemerkenswertes. Der Lokalvedakteur
interessiert sich einseitig für Lokales. Kajetan, der externe Mit¬
arbeiter, läuft behende von einem zum andern, schnappt ihnen
die Worte vom Munde weg, steckt voll Neugier, Neuigkeiten,
Plänen, Ideen. Was halt so ein Schmock unter Ideen versteht.
Ist immer berauscht von journalistischer Geschäftigkeit. Sein
Gehirn und sein Sprechapparat arbeiten wie Ventilatoren, ge¬
räuschvoll, von überallher saugend, Luftzug erzeugend. (Journa¬
listen kennen das Vorbild.) Der Theaterkritiker tst auch da. Er
heißt, nett, Abendstern. Zerbrochenr Idealist, müde, ver¬
bittert, sein einziger Trost die Bosheit. Schreibt, was er meint,
kann aber auch, wenn er muß, anders. Und muß in der „Gegen¬
wart“ sehr oft. Dann ist noch da die Hauptperson: Fliederbusch.
Anfänger. Wohnt in der kleinen Schiffamtsgasse, also trübstes
Wiener Ghetto. Vom Fleck weg kein Idealist. Will vorwärts
kommen. Schreibt in der „Gegenwart“ demokratisch, in der
„Eleganten Welt“, unter Fink, reaktionär. Und polomisiert dann
wieder, als Fliederbusch, in der „Gegenwart“ gegen den Fink
der „Eleganten Welt". Teilweise tut er das auch aus journa¬
listischem Temperament. (Hier könnte die Komödie ein Stückchen
unter die Oberfläche führen. Der Dichter läßt aber dieses nette
Oharakter= oder besser: Charakterlosigkeits=Motiv ganz fallen.)
Zweiter Akt: In der „Eleganlen Welt“. Gefügiges, serviles
Tratsch=Wochenblatt. Eben im Begriff, klerikal und Tages¬
zeitung zu werden. Chofredakteur des frommen Unternehmens heißt:
Satan. Bizarrer Einfall, nicht? Ganz sonderbar, wenn man so
im Text l. st: „Satan (lacht höhnisch)“. Satan ist aber ein käuf¬
licher Zeitungsmacher gewöhnlichster Sorte. Sein Hauptmitarbei¬
ter: ein herabgekommener Aristokrat, Lump mit bitterer Philo¬
lophie, schreibt unter „Styx“. Fliederbusch erscheint. Er hat sich
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AE
bei den adeligen Hintermännern der Zeitung durch seine Fink¬
Artikel bemerkbar gemacht. Wittert Karriere. Und will jetzt,
Fink, auf die Flegeleien des Fliederbusch gegen Fink, in der
„Eleganten Welt“ antworten. Aber der junge Satan, Kavalier,
dringt auf Forderung, Duell. Fink hat nichts dagegen. Die For¬
derung wird, in Fliederbusch' Abwesenheit, von den Leuten der
„Gegenwart“ für den Kollegen angenommen. Fupchtbare Bedin¬
gungen. Pistolen, dreimaliger Kugelwechsel mit Avance. Fink¬
Fliederbusch steht der Sache naturgemäß mit äußerster Kalt¬
blütigkeit gegenüber. Der Akt bringt noch zwei Figuren ins
Spiel: Den Graßen Niederhof, überlegener Weltmann, Politiker
aus sportlichem Interesse, kühler Kopf mit drehbarer Weltanschau¬
ung. Und die Fürstin Wendolin, Frau im wienerischen Komtesserk¬
Stil, gescheit, belanglos.
Dritter Akt: Große grundsätzliche Debatte zwischen Grafen und
Fliederbusch über Politik, Gesinnung, Ueberzeugung, Wahrheit.
Fliederbusch Verteidiger, Graf Bezweifler dieser idealen Werte.
Hier wird der geistige Höhepunkt des Stückes erstiegen. Weiter
Rundblick ins Flachland des Skeptizismus. Dann folgt rascher
Szenenwechsel. Schauplatz des Duells. Fast sämtliche Personen
der Komödie anwesend. Es kommt an den Tag. Fink=Fliederbusch
steigt im journalistischen Marktwert. Auflösung des Knötchens
in allgemeines ironisches Wohlgefallen. Man geht frühstücken.
Chefredakteur Leuchter sagt einmal, am Schluß, zu Fink und
Fliederbusch: „Sie haben ad absurdum geführt. Ich weiß zwar #
noch nicht genau, was, aber Sie haben.“ Das paßt auch auf
„Fink und Fliederbusch“, die Komödie. Ihre (sicher stichhaltige)
Höchstweisheit: Das Leben, und insbesondere die Politik und
ganz insbesondere die Zeitung ist eine dialektische Angelegenheit.
Der Meinungsmacher, seinem Wesen nach ein namenloses Indi¬
viduum oder ein individumnloser Ramen. Und alles ist relativ!
Tieferes habe ich aus den wortreichen drei Akten nicht heraus¬
gehört. Sie walken einen lustigen Grundeinfall ins Breite und
Dünne. Etwas Elementar=Komisches scheint ja in ihm zu rumoren,
aber es wirft nur ein paar kümmerliche groteske Blasen. Der
richtige Mut zum Uebermut fehlt. Arthur Schnitzlers literarische
Noblesse bleibt nicht unmerkbarf den billigsten Humoren auszu¬
weichen, zu denen Zeitung, Zeitungsschreiber, Zeitungsbetrieb
locken, hatte er doch nicht die Willensstärke. So bekam die Geistig¬
keit des Spiels verwaschene Farbe; und die Schilberung blieb in
einem dürftigen Sarkasmus stecken. Von Tragik, Komik, Tragi¬
komik des Berufs spürest du kaum einen Hauch. Nur von seiner
Unappetitlichkeit dämmert dem Zuhörer ein Ahnen. Auch technisch
ist die Komödie keineswegs auf Schnitzler=Höhe.
Es geht beim
Hin und Her der Personen, bei Verwicklung und Lösung ziemlich
gewaltsam zu; und wenn diese Gewaltsamkeit auch ein wenig 1
spöttisch tut, so, als moquiere sie sich über das Theater (Monologe),
bleibt sie doch immerhin verdächtig.
Die Aufführung im „Deutschen Volkstheater“ war sauber, aber
lustlos, glattgehrbelt wie die Komödie selbst und wie die Komödie
selbst zwischen Charakterlustspiel und Groteske schwankend. Sehr
spaßig Forest als Kajetan. Das Publikum nahm die höfliche
Satire höflich auf.
Zeitung: Vossische Zeitung
Morgen-Ausgabe
Adresse: Berlin
Datum:
SI N0V. 1919
Der neue Schnitzler.
Von
Alfred Polgar.
Wien, November 1917.
Das neue Stück von Arthur Schnitzler ist eine Komödie, heißt
„Fink und Fliederbusch“, und spielt in Journalisten¬
11
kreisen. Es hat drei ehkte.
Erster Akt: Die Redaktion der demokratischen „Gegenwart“.
Journalistenleben, -schreiben und =treiben. Zeitungsl#te und
Zeitungsmache, gesehen mit den Augen eines gutmütigen Ironikers.
Der Chefredakteur heißt „Leuchter“. Er lauchtet nicht selbst, hält
nur Lichter. Der Politiker ist lächerlich temperamentvoll, gibt
Leitartikel=Klein von sich. Der Feuilletonredakteur spricht wiene¬
risch, sonst hat er nichts Bemerkenswertes. Der Lokalvedakteur
interessiert sich einseitig für Lokales. Kajetan, der externe Mit¬
arbeiter, läuft behende von einem zum andern, schnappt ihnen
die Worte vom Munde weg, steckt voll Neugier, Neuigkeiten,
Plänen, Ideen. Was halt so ein Schmock unter Ideen versteht.
Ist immer berauscht von journalistischer Geschäftigkeit. Sein
Gehirn und sein Sprechapparat arbeiten wie Ventilatoren, ge¬
räuschvoll, von überallher saugend, Luftzug erzeugend. (Journa¬
listen kennen das Vorbild.) Der Theaterkritiker tst auch da. Er
heißt, nett, Abendstern. Zerbrochenr Idealist, müde, ver¬
bittert, sein einziger Trost die Bosheit. Schreibt, was er meint,
kann aber auch, wenn er muß, anders. Und muß in der „Gegen¬
wart“ sehr oft. Dann ist noch da die Hauptperson: Fliederbusch.
Anfänger. Wohnt in der kleinen Schiffamtsgasse, also trübstes
Wiener Ghetto. Vom Fleck weg kein Idealist. Will vorwärts
kommen. Schreibt in der „Gegenwart“ demokratisch, in der
„Eleganten Welt“, unter Fink, reaktionär. Und polomisiert dann
wieder, als Fliederbusch, in der „Gegenwart“ gegen den Fink
der „Eleganten Welt". Teilweise tut er das auch aus journa¬
listischem Temperament. (Hier könnte die Komödie ein Stückchen
unter die Oberfläche führen. Der Dichter läßt aber dieses nette
Oharakter= oder besser: Charakterlosigkeits=Motiv ganz fallen.)
Zweiter Akt: In der „Eleganlen Welt“. Gefügiges, serviles
Tratsch=Wochenblatt. Eben im Begriff, klerikal und Tages¬
zeitung zu werden. Chofredakteur des frommen Unternehmens heißt:
Satan. Bizarrer Einfall, nicht? Ganz sonderbar, wenn man so
im Text l. st: „Satan (lacht höhnisch)“. Satan ist aber ein käuf¬
licher Zeitungsmacher gewöhnlichster Sorte. Sein Hauptmitarbei¬
ter: ein herabgekommener Aristokrat, Lump mit bitterer Philo¬
lophie, schreibt unter „Styx“. Fliederbusch erscheint. Er hat sich
box 33/1
AE
bei den adeligen Hintermännern der Zeitung durch seine Fink¬
Artikel bemerkbar gemacht. Wittert Karriere. Und will jetzt,
Fink, auf die Flegeleien des Fliederbusch gegen Fink, in der
„Eleganten Welt“ antworten. Aber der junge Satan, Kavalier,
dringt auf Forderung, Duell. Fink hat nichts dagegen. Die For¬
derung wird, in Fliederbusch' Abwesenheit, von den Leuten der
„Gegenwart“ für den Kollegen angenommen. Fupchtbare Bedin¬
gungen. Pistolen, dreimaliger Kugelwechsel mit Avance. Fink¬
Fliederbusch steht der Sache naturgemäß mit äußerster Kalt¬
blütigkeit gegenüber. Der Akt bringt noch zwei Figuren ins
Spiel: Den Graßen Niederhof, überlegener Weltmann, Politiker
aus sportlichem Interesse, kühler Kopf mit drehbarer Weltanschau¬
ung. Und die Fürstin Wendolin, Frau im wienerischen Komtesserk¬
Stil, gescheit, belanglos.
Dritter Akt: Große grundsätzliche Debatte zwischen Grafen und
Fliederbusch über Politik, Gesinnung, Ueberzeugung, Wahrheit.
Fliederbusch Verteidiger, Graf Bezweifler dieser idealen Werte.
Hier wird der geistige Höhepunkt des Stückes erstiegen. Weiter
Rundblick ins Flachland des Skeptizismus. Dann folgt rascher
Szenenwechsel. Schauplatz des Duells. Fast sämtliche Personen
der Komödie anwesend. Es kommt an den Tag. Fink=Fliederbusch
steigt im journalistischen Marktwert. Auflösung des Knötchens
in allgemeines ironisches Wohlgefallen. Man geht frühstücken.
Chefredakteur Leuchter sagt einmal, am Schluß, zu Fink und
Fliederbusch: „Sie haben ad absurdum geführt. Ich weiß zwar #
noch nicht genau, was, aber Sie haben.“ Das paßt auch auf
„Fink und Fliederbusch“, die Komödie. Ihre (sicher stichhaltige)
Höchstweisheit: Das Leben, und insbesondere die Politik und
ganz insbesondere die Zeitung ist eine dialektische Angelegenheit.
Der Meinungsmacher, seinem Wesen nach ein namenloses Indi¬
viduum oder ein individumnloser Ramen. Und alles ist relativ!
Tieferes habe ich aus den wortreichen drei Akten nicht heraus¬
gehört. Sie walken einen lustigen Grundeinfall ins Breite und
Dünne. Etwas Elementar=Komisches scheint ja in ihm zu rumoren,
aber es wirft nur ein paar kümmerliche groteske Blasen. Der
richtige Mut zum Uebermut fehlt. Arthur Schnitzlers literarische
Noblesse bleibt nicht unmerkbarf den billigsten Humoren auszu¬
weichen, zu denen Zeitung, Zeitungsschreiber, Zeitungsbetrieb
locken, hatte er doch nicht die Willensstärke. So bekam die Geistig¬
keit des Spiels verwaschene Farbe; und die Schilberung blieb in
einem dürftigen Sarkasmus stecken. Von Tragik, Komik, Tragi¬
komik des Berufs spürest du kaum einen Hauch. Nur von seiner
Unappetitlichkeit dämmert dem Zuhörer ein Ahnen. Auch technisch
ist die Komödie keineswegs auf Schnitzler=Höhe.
Es geht beim
Hin und Her der Personen, bei Verwicklung und Lösung ziemlich
gewaltsam zu; und wenn diese Gewaltsamkeit auch ein wenig 1
spöttisch tut, so, als moquiere sie sich über das Theater (Monologe),
bleibt sie doch immerhin verdächtig.
Die Aufführung im „Deutschen Volkstheater“ war sauber, aber
lustlos, glattgehrbelt wie die Komödie selbst und wie die Komödie
selbst zwischen Charakterlustspiel und Groteske schwankend. Sehr
spaßig Forest als Kajetan. Das Publikum nahm die höfliche
Satire höflich auf.