schwommene Visage. Ein Durchschnittsmensch ist
auch Oberndorfer, der Leiter des Feuilleions. Füll¬
mann, der Politiker, steckt voll falschen Tempera¬
ments, ist aufgeregt und spukt Leitartikel-Frag¬
mente. Dann sind noch da: Kajetan, externer Mit¬
arbeiter, beweglich, neugierig, voll Sensationen,
immer wie berauscht von journalistischer Geschäf¬
tigkeit; Abendstern, der Theaterkritiker, müde, ver¬
bitiert, Ehrlichkeitsfanatiker, kann aber auch
anders; und Fliederbusch, Parlamentsbericht¬
erstatter. Fliederbusch ist Anfänger, jung, zu Allem
fähig. Er wohnt „in der kleinen Schiffamtsgasse“.
Das ist traurigstes Wiener Ghetto. Sein Entschluß,
vorwäris zu kommen, steht fest. Fliederbusch schreibt
in der „Gegenwart“ demokratisch. Und, als Fink,
in der „eleganten Welt“. reaktionär. Fink und
Fliederbusch, man versteht, die gehören sozusagen
biologisch und ästhetisch zosammen.
Zweiter Akt. In der Redaktion der „eleganten
Welt. Wie der Titel so das Blatt. Jetzt ist es
im Begriff, erzklerikal zu werden. Der Chef¬
redakteur heißt, drollig, Satan! Die bemerkens¬
werteste Figur im Stab der Zeitung ist ein herab¬
gekommener Aristokrat, der unter dem Namen
„Styx“ Gesellschaftsklatsch liefert. Von seiner ade¬
ligen Vergangenheit will er nichts wissen. „Styx“
das heißt, man versteht, soviel wie „Schwamm
drüber“ Fliederbusch hat sich als Fink den katho¬
lisch=konservativen Hintermännern der „eleganten
Welt“ bemerkbar gemacht. Hier öffnen sich ihm
Aussichten auf Karriere. Sein journalistisches
Temperament aber hat ihn, als Fliederbusch, hin¬
gerissen, in der „Gegenwart“ heftiast gegen den
misieren. Jetzt reißt es ihn wieder, als Fink dem
Fliederbusch zu antworten. Aber der junge Satan,
ein Kavalier, sagt, das ginge nicht; da müsse mit
den Wafsen Genugtuung gefordert werden. Fink
stimmi zu. Und Fliederbusch — das heißt in dessen
Abwesenheit die Redaktionskollegen — nehmen
die Forderung an. Auf Pistolen, dreimaliger
Kugelwechsel, mit Avance. Der Akt bringt noch
zwei Figuren auf die Bühne: den Grafen Nieder¬
hofer, einen überlegenen Weltmann, Politiker
aus sportlichem Interesse, kühler Kopf mit dreh¬
barer Weltanschauung. Und die Fürstin Wendolin,
Frau im wienerischen Comtesserl-Stil, gescheit
ohne tiefere Bedeutung.
Dritter Akt: Große grundsätzliche Debatte
zwischen Fliederbusch und dem Grafen über Poli¬
tik, Ueberzeugung, Wahrheit, Gesinnung. Ergeb¬
nis: Alles ist relativ. Rascher Szenenwechsel führt
dann auf den Schauplatz des Duells. Fast sämt¬
liche Personen des Stückes anwesend. Es kommt
an den Tag. Fink=Fliederbusch steigt im jour¬
nalistischen Marktwert. Das Ganze löst sich in
ironisches Wohlgesallen; man geht gemeinschaftlich
frühstücken.
„Fink und Fliederbusch“ hat eine gewisse
Lustigkeit; aber sie „geht nicht auf“. Der Ver¬
fasser wollte nobel bleiben und konnie doch der
selbstverständlichsten, sicheren Witzigkeiten, zu
denen das Thema: Zeitung und Zeitungsschreiber
lockt, nicht entraten. So bekam die Komödie ganz
verwaschene Farbe Der Grundeinfall ist nett und
heiter genug. Er wirft aber nur ein paar gro¬
—e
teske Blasen; an rechtem Mut zum Uebermut
fehlte es. Die Schilderung der Zeitungsschreiber¬
welt bleibt in einem flachen Sarkasmus stecken.
Versuche, ihrer Tragik, Komik, Tragikomik beizu¬
kommen, werden kaum gemacht. Nur von ihrer Un¬
appetitlichkeit dämmert dem Zuhörer ein Ahnen.
Tiefste Erkenntnisse aus der Komödie: das Leben
(und insbesondere die Politik) ist eine rein dialek¬#
tische Angelegenheit. Und die Meinungsmacher
H
entweder namenlose Individuen oder individuum¬
lose Namen. Ansonst ist der Scherz= und Gedanken¬
komplex des Spiels erstaunlich billig; Kostbar¬
keiten zwischendurch gehen verloren.
Die Aufführung am „Deutschen Volkstheater“
2
war matt. Auch, wie das Stück, zwischen Charak¬
3
terkomödie und Burleske schwankend. Zu nennen
d
wäre der liebenswürdig=charakterlose Fliederbusch
A
des Herrn Edihofer, Thaller in der kargen
Rolle als Styx, Götz als freundlich=tyrannischer
Chefredakteur, Forlot, sehr spassig als Kajetan.
S
Schnißler konnte sich für die seinem Namen ge¬
∆
bührenden Achtungsbeweise der Zuhörer mehrmals
Hehanfen,
W
Alfred Polaar.
K
7. 1777 M.
Vensche Peittung, Berlin
u u
Schnitzlers Komödie hat die Journalisten sehr aufgeregt Sie
#henhämisch verleumdet. Schnitzler, wenn ich nicht irre,
sein Lebtag zeitungsfromm gewesen. Und es war auch diesmal
leine letzerische Lanne, nicht Abfall. Die Journalisten in „Fink
und Fliederbusch“ sind nicht liebevoll, aber, weiß Gott, auch nicht
boshaft gesehen.] Nur trivial. Mit ihrem Charakter ist es freilich
ssig, Aber. lächelt wild-hitter der Dorfasser, was ist Charakter,
Ueberzeugung, Meinung?Und macht diese Abstrakta zu eigentlichen
Helden des Stücks. Sie kommen übel weg. Sie bestehen nicht vor
sihrem Kammerdiener, dem Geist. In der Luft der Komödie zer¬
fließt ihre starre Erhabenheit zu eitel dialektischem Schallm. Eine
wienerisch=weiche Luft, versteht sich, in der die Satixe Gemüt hat,
die Langeweile Gxazie, zig Billigkeit Kultur.)
1307 130
Theater-Courier, Berlin
Pee
Mit seiner im „Deutschen Volkstheater“ zur Urauf¬
führung gebrachten dreiaktigen Komödie „Fink und Flieder¬
buch“ hat Arthur Schn#t#er das erotische Gebiet verlassen und
Wege betreten, die von ihm-bisher noch nie begangen wurden. Er
hat eine Journalistensatire geschrieben, die dem Publikum einen Blick
hinter die Kulissen des Zeitungsgetriebes bieten soll. Er zeigt an
einem Beispiele, wie wandelbar die Meinung eines Reporters sein
kann, dem nur das eine Ziel vorschwebt, vorwärts zu kommen, sich
eine Stellung zu erringen; unbeschadet, ob die Mittel, durch die er
seine Absicht verwirklicht, anständig sind oder nicht.
Wenn es auch fraglos solche Charaktere — übrigens nicht nur
in der Journalistik (1) gibt, so erscheint es uns nicht geradezu ge¬
schmackvoll, einen derartigen Einzelfall zur Hauptaktion eines abend¬
füllenden Stückes zu erheben. Es ist bezeichnend, daß Schnitzler in
den vielen Typen, die er in seiner Komödie aufzeigt, nicht eine ein¬
zige von einwandfreien Charaktereigenschaften zeichnet, als ob es in
dieser Sphäre ehrenhafte Menschen überhaupt nicht gäbe! Was den
Autor zu diesem ungerechten Urteile veranlaßt haben mag, ist uns
unerfindlich, da er doch sicherlich keine Ursache hat, den Zeitungs¬
leuten böse zu sein, die seine künstlerische Entwicklung stets unter¬
stützten und förderten.
Da die Satire als solche glänzend geschrieben ist und einen effekt¬
vollen Szenenaufbau besitzt, verfehlte sie nicht, einen ergötzlichen Ein¬
druck zu machen, der durch die von Dr. Schulbaur trefflich ge¬
leitete Interpretatidn der Herren Edthofer, Forest, Goetz,
Thaller, Fürth, Klitsch, Kutschera, Homma, Mill¬
mann- und Kramer verstärkt wurde. Es gab reichen Beifall.
auch Oberndorfer, der Leiter des Feuilleions. Füll¬
mann, der Politiker, steckt voll falschen Tempera¬
ments, ist aufgeregt und spukt Leitartikel-Frag¬
mente. Dann sind noch da: Kajetan, externer Mit¬
arbeiter, beweglich, neugierig, voll Sensationen,
immer wie berauscht von journalistischer Geschäf¬
tigkeit; Abendstern, der Theaterkritiker, müde, ver¬
bitiert, Ehrlichkeitsfanatiker, kann aber auch
anders; und Fliederbusch, Parlamentsbericht¬
erstatter. Fliederbusch ist Anfänger, jung, zu Allem
fähig. Er wohnt „in der kleinen Schiffamtsgasse“.
Das ist traurigstes Wiener Ghetto. Sein Entschluß,
vorwäris zu kommen, steht fest. Fliederbusch schreibt
in der „Gegenwart“ demokratisch. Und, als Fink,
in der „eleganten Welt“. reaktionär. Fink und
Fliederbusch, man versteht, die gehören sozusagen
biologisch und ästhetisch zosammen.
Zweiter Akt. In der Redaktion der „eleganten
Welt. Wie der Titel so das Blatt. Jetzt ist es
im Begriff, erzklerikal zu werden. Der Chef¬
redakteur heißt, drollig, Satan! Die bemerkens¬
werteste Figur im Stab der Zeitung ist ein herab¬
gekommener Aristokrat, der unter dem Namen
„Styx“ Gesellschaftsklatsch liefert. Von seiner ade¬
ligen Vergangenheit will er nichts wissen. „Styx“
das heißt, man versteht, soviel wie „Schwamm
drüber“ Fliederbusch hat sich als Fink den katho¬
lisch=konservativen Hintermännern der „eleganten
Welt“ bemerkbar gemacht. Hier öffnen sich ihm
Aussichten auf Karriere. Sein journalistisches
Temperament aber hat ihn, als Fliederbusch, hin¬
gerissen, in der „Gegenwart“ heftiast gegen den
misieren. Jetzt reißt es ihn wieder, als Fink dem
Fliederbusch zu antworten. Aber der junge Satan,
ein Kavalier, sagt, das ginge nicht; da müsse mit
den Wafsen Genugtuung gefordert werden. Fink
stimmi zu. Und Fliederbusch — das heißt in dessen
Abwesenheit die Redaktionskollegen — nehmen
die Forderung an. Auf Pistolen, dreimaliger
Kugelwechsel, mit Avance. Der Akt bringt noch
zwei Figuren auf die Bühne: den Grafen Nieder¬
hofer, einen überlegenen Weltmann, Politiker
aus sportlichem Interesse, kühler Kopf mit dreh¬
barer Weltanschauung. Und die Fürstin Wendolin,
Frau im wienerischen Comtesserl-Stil, gescheit
ohne tiefere Bedeutung.
Dritter Akt: Große grundsätzliche Debatte
zwischen Fliederbusch und dem Grafen über Poli¬
tik, Ueberzeugung, Wahrheit, Gesinnung. Ergeb¬
nis: Alles ist relativ. Rascher Szenenwechsel führt
dann auf den Schauplatz des Duells. Fast sämt¬
liche Personen des Stückes anwesend. Es kommt
an den Tag. Fink=Fliederbusch steigt im jour¬
nalistischen Marktwert. Das Ganze löst sich in
ironisches Wohlgesallen; man geht gemeinschaftlich
frühstücken.
„Fink und Fliederbusch“ hat eine gewisse
Lustigkeit; aber sie „geht nicht auf“. Der Ver¬
fasser wollte nobel bleiben und konnie doch der
selbstverständlichsten, sicheren Witzigkeiten, zu
denen das Thema: Zeitung und Zeitungsschreiber
lockt, nicht entraten. So bekam die Komödie ganz
verwaschene Farbe Der Grundeinfall ist nett und
heiter genug. Er wirft aber nur ein paar gro¬
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teske Blasen; an rechtem Mut zum Uebermut
fehlte es. Die Schilderung der Zeitungsschreiber¬
welt bleibt in einem flachen Sarkasmus stecken.
Versuche, ihrer Tragik, Komik, Tragikomik beizu¬
kommen, werden kaum gemacht. Nur von ihrer Un¬
appetitlichkeit dämmert dem Zuhörer ein Ahnen.
Tiefste Erkenntnisse aus der Komödie: das Leben
(und insbesondere die Politik) ist eine rein dialek¬#
tische Angelegenheit. Und die Meinungsmacher
H
entweder namenlose Individuen oder individuum¬
lose Namen. Ansonst ist der Scherz= und Gedanken¬
komplex des Spiels erstaunlich billig; Kostbar¬
keiten zwischendurch gehen verloren.
Die Aufführung am „Deutschen Volkstheater“
2
war matt. Auch, wie das Stück, zwischen Charak¬
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terkomödie und Burleske schwankend. Zu nennen
d
wäre der liebenswürdig=charakterlose Fliederbusch
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des Herrn Edihofer, Thaller in der kargen
Rolle als Styx, Götz als freundlich=tyrannischer
Chefredakteur, Forlot, sehr spassig als Kajetan.
S
Schnißler konnte sich für die seinem Namen ge¬
∆
bührenden Achtungsbeweise der Zuhörer mehrmals
Hehanfen,
W
Alfred Polaar.
K
7. 1777 M.
Vensche Peittung, Berlin
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Schnitzlers Komödie hat die Journalisten sehr aufgeregt Sie
#henhämisch verleumdet. Schnitzler, wenn ich nicht irre,
sein Lebtag zeitungsfromm gewesen. Und es war auch diesmal
leine letzerische Lanne, nicht Abfall. Die Journalisten in „Fink
und Fliederbusch“ sind nicht liebevoll, aber, weiß Gott, auch nicht
boshaft gesehen.] Nur trivial. Mit ihrem Charakter ist es freilich
ssig, Aber. lächelt wild-hitter der Dorfasser, was ist Charakter,
Ueberzeugung, Meinung?Und macht diese Abstrakta zu eigentlichen
Helden des Stücks. Sie kommen übel weg. Sie bestehen nicht vor
sihrem Kammerdiener, dem Geist. In der Luft der Komödie zer¬
fließt ihre starre Erhabenheit zu eitel dialektischem Schallm. Eine
wienerisch=weiche Luft, versteht sich, in der die Satixe Gemüt hat,
die Langeweile Gxazie, zig Billigkeit Kultur.)
1307 130
Theater-Courier, Berlin
Pee
Mit seiner im „Deutschen Volkstheater“ zur Urauf¬
führung gebrachten dreiaktigen Komödie „Fink und Flieder¬
buch“ hat Arthur Schn#t#er das erotische Gebiet verlassen und
Wege betreten, die von ihm-bisher noch nie begangen wurden. Er
hat eine Journalistensatire geschrieben, die dem Publikum einen Blick
hinter die Kulissen des Zeitungsgetriebes bieten soll. Er zeigt an
einem Beispiele, wie wandelbar die Meinung eines Reporters sein
kann, dem nur das eine Ziel vorschwebt, vorwärts zu kommen, sich
eine Stellung zu erringen; unbeschadet, ob die Mittel, durch die er
seine Absicht verwirklicht, anständig sind oder nicht.
Wenn es auch fraglos solche Charaktere — übrigens nicht nur
in der Journalistik (1) gibt, so erscheint es uns nicht geradezu ge¬
schmackvoll, einen derartigen Einzelfall zur Hauptaktion eines abend¬
füllenden Stückes zu erheben. Es ist bezeichnend, daß Schnitzler in
den vielen Typen, die er in seiner Komödie aufzeigt, nicht eine ein¬
zige von einwandfreien Charaktereigenschaften zeichnet, als ob es in
dieser Sphäre ehrenhafte Menschen überhaupt nicht gäbe! Was den
Autor zu diesem ungerechten Urteile veranlaßt haben mag, ist uns
unerfindlich, da er doch sicherlich keine Ursache hat, den Zeitungs¬
leuten böse zu sein, die seine künstlerische Entwicklung stets unter¬
stützten und förderten.
Da die Satire als solche glänzend geschrieben ist und einen effekt¬
vollen Szenenaufbau besitzt, verfehlte sie nicht, einen ergötzlichen Ein¬
druck zu machen, der durch die von Dr. Schulbaur trefflich ge¬
leitete Interpretatidn der Herren Edthofer, Forest, Goetz,
Thaller, Fürth, Klitsch, Kutschera, Homma, Mill¬
mann- und Kramer verstärkt wurde. Es gab reichen Beifall.