27. Einkund Fliederbusch
Zeitung: Hamburger Nachrichten
Abend-Ausgebe
Adresse: Hamburg
2 G. 01 1070
Datum:
R. D. Eine neue Komödie von Arthur Schnitzler. Uuser stän¬
diger Mitarbeiter schreibt uns aus Frankfurt a. Main: „Fink
und Fliederbusch“ — man glaubt, eine frühlgefr###
lachsich zu haben mit Finkenschlag uns Flieder¬
duft. Doch nichts von alledem. Schon der Titel ist axotesk, wie
das ganze Stück, das uns statt in frische, freie Luft misken hinein¬
führt in die muffige Redaktionsstubenatmosphäre zyleier gegne¬
rischer Wiener Blätter. „Fink und Fliederbusch“ sinkenszu einfachen
Namen herab, d. h. — und das ist der Witz des Ganzen — nicht
etwa zu zwei, sondern sie decken ein und denselben gerissenen Jour¬
nalisten, der es versteht, seine Gesinnungs= und Überzeugungs¬
treue wie ein Mäntelchen nach dem Wind zu drehen. Daß sich
dabei allerhand Lustiges und Bissiges, Satirisches und Grotesles
herausschält, liegt auf der Hand, und der Gipfelpunkt wird erreicht.
als sich die Situation bis zu einem Pistolenduell zwischen Fink
und seinem alter ego Fliederbusch zuspitzt. Das bringt denn noch
einige wirklich komische Szenen im letzten Akt, und man wird eint
germaßen ausgesöhnt mit dem ganzen schwankhaften Gebilde einer
dichterischen Laune, das wohl, in knappster Form dargestellt, er¬
heitern konnte, nicht aber, wenn es in drei überlangen Akten zu
Tode gehetzt wird. Ein paar geschickte Auseinandersetzungen
Schnitzlerscher Art über den politischen Journalismus, über die
Wertlosigkeit des Duells, über soziale Standesunterschiede und
moralische Fragen würzen das Gericht nur mäßig. Die Zustands¬
schilderung wie die einzelnen Journalistentypen sind nur z. T. gut
getroffen, vielfach aber stark karikiert und schief geseben. Auch
berührt es einigermaßeen verwunderlich, daß der Dichter den sell¬
samen Versuch macht, dem alten Monolog wieder zu neuem Leben
zu verheifen, was mir bei einer modernen Komödie verfehlt und
stilwidrig erscheint. So wird man denn in der Tat nicht recht warm
bei diesem rein verstandesmäßigen Stück, und ein durch die Ein¬
tönigkeit und Langatmigkeit der an sich recht durchsichtigen Hand¬
lung verstärktes Gefühl der Unbefriedigung und mitunter sogar
Langeweile will nicht weichen. — Gespielt wurde es von den be¬
währten Kräften des Neuen Theaters unter Leitung Dir.: Hellmers,
abgesehen von der gänzlichen verzerrten Darstellung des Dichters
Cajetan durch Adam Kuckhoff, mit großer Hingabe und Tüchtig¬
keit, besonders von Paul Grätz, der aus der doppelten Titelrolle
eine ergösliche Einheit schuf, von Eugen Klöpser in der köstlichen
Type eines hochstaplerischen Flibustier=Journalisten und Mar
Brückner, der als gräflicher Abgeordneter Politik und Sport in
geschickte mechselseitige Beziehungen zu bringen wußte. Auch die
übrigen Journalistentypen wurden ebenso wie die Nebenfiguren
gut charakterisiert, sodaß nach der darstellerischen Seite hin im all¬
gemeinen nichts zu wünschen übrig blieb. Der Erfolg der Auf¬
führung, die die erste in Deutschland war, war nur mäßig. Der
Beifall setzte nur schmach und schüchtern ein, und es bewahrheitete
sich wieder einmal, daß es eine eigene und recht gewagte Sache ist,
in einseitiger und ausschließlich satirischer und schwankhaft=gro¬
tesker Weise Bernisschäden und momlische Fäulnis aufzudeckei
ohne dabei die große Lienie literarischer Kunst zu wahren.
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ZCNONT377
Hamburger Naciwi“e
Hamburg.
R. D.“ Eine neue Komödie von Arthur-Schnitzler—Unser stän¬
diger Mitarbeiter schreibt uns aus Frankfürt a. Main: „Fink
man glaubt, eine frühlingsfrohe,
und Fliederbusch“
lachende Komödic vor sich zu haben mit Finkenschlag und Flieder¬
duft. Doch nichts von alledem. Schon der Titel ist grotesk, wie
das ganze Stück, das uns statt in frische, freie Luft mitten hinein¬
führt in die muffige Redaktionsstubenatmosphäre zweier gegne¬
rischer WienerBlätter. „Fink und Fliederbusch“ sinken zu einfachen
Namen herab, d. h. — und das ist der Witz des Ganzen — nicht
etwa zu zwei, sondern sie recken ein und denselben gerissenen Jour¬
nalisten, der es versteht, seine Gesinnungs= und Überzeugungs¬
treue wie ein Mäntelchen nach dem Wind zu drehen. Daß sich
dabei allerhand Lustiges und Bissiges, Satirisches und Groteskes
herausschält, liegt auf der Hand, und der Gipfelpunkt wird erreicht,
als sich die Situation bis zu einem Pistolenduell zwischen Fink
und seinem alter ego Fliederbusch zuspitzt. Das bringt denn noch
einige wirklich komische Szenen im letzten Akt, und man wird eini¬
germaßen ausgesöhnt mit dem ganzen schwankhaften Gebilde einer
dichterischen Laune, das wohl, in knappster Form dargestellt, er¬
heitern konnte, nicht aber, wenn es in drei überlangen Akten zu
Tode gehetzt wird. Ein paar geschickte Auseinandersetzungen
Schnitzlerscher Art über den politischen Journalismus, über die
Wertlosigkeit des Duells, über soziale Standesunterschiede und
moralische Fragen würzen das Gericht nur mäßig Die Zustands¬
schilderung wie die einzelnen Journalistentypen sind nur z. T. gut
getroffen, vielfach aber stark karikiert und schief gesehen. Auch
berührt es einigermaßeen verwunderlich, daß der Dichter den selt¬
samen Versuch macht, dem alten Monolog wieder zu neuem Leben
zu verhelfen, was mir bei einer modernen Komödie verfehlt und
stilwidrig erscheint. So wird man denn in der Tat nicht recht warm
bei diesem rein verstandesmäßigen Stück, und ein durch die Ein¬
tönigkeit und Langatmigkeit der an sich recht durchsichtigen Hand¬
lung verstärktes Gefühl der Unbefriedigung und mitunter sogar
Langeweile will nicht weichen. — Gespielt wurde es von den be¬
währten Kräften des Neuen Theaters unter Leitung Dir.: Hellmers,
abgesehen von der gänzlichen verzerrten Darstellung des Dichters
Cajetan durch Adam Kuckhoff, mit großer Hingabe und Tüchtig¬
keit, besonders von Paul Grätz, der aus der doppelten Titelrolle
eine ergötzliche Einheit schuf, von Eugen Klöpfer in der köstlichen
Type eines hochstaplerischen Flibustier=Journalisten und Max
Brückner, der als gräflicher Abgeordneter Politik und Sport in
geschickte wichselseitige Beziehungen zu bringen wußte. Auch die
übrigen Journalistentypen wurden ebenso wie die Nebenfiguren
gut charakterisiert, sodaß nach der darstellerischen Seite hin im all¬
gemeinen nichts zu wünschen übrig blieb. Der Erfolg der Auf¬
führung, die die erste in Deutschland war, war nur mäßig. Der
Beifall setzte nur schwach und schüchtern ein, und es bewahrheitete
sich wieder einmal, daß es eine eigene und recht gewagte Sache ist,
in einseitiger und ausschließlich satirischer und schwankhaft=gro¬
tesker Weise Berufsschäden und movalische Fäulnis aufzudecken,
ohne dabei die große Lienie literarischer Kunst zu wahren
Zeitung: Hamburger Nachrichten
Abend-Ausgebe
Adresse: Hamburg
2 G. 01 1070
Datum:
R. D. Eine neue Komödie von Arthur Schnitzler. Uuser stän¬
diger Mitarbeiter schreibt uns aus Frankfurt a. Main: „Fink
und Fliederbusch“ — man glaubt, eine frühlgefr###
lachsich zu haben mit Finkenschlag uns Flieder¬
duft. Doch nichts von alledem. Schon der Titel ist axotesk, wie
das ganze Stück, das uns statt in frische, freie Luft misken hinein¬
führt in die muffige Redaktionsstubenatmosphäre zyleier gegne¬
rischer Wiener Blätter. „Fink und Fliederbusch“ sinkenszu einfachen
Namen herab, d. h. — und das ist der Witz des Ganzen — nicht
etwa zu zwei, sondern sie decken ein und denselben gerissenen Jour¬
nalisten, der es versteht, seine Gesinnungs= und Überzeugungs¬
treue wie ein Mäntelchen nach dem Wind zu drehen. Daß sich
dabei allerhand Lustiges und Bissiges, Satirisches und Grotesles
herausschält, liegt auf der Hand, und der Gipfelpunkt wird erreicht.
als sich die Situation bis zu einem Pistolenduell zwischen Fink
und seinem alter ego Fliederbusch zuspitzt. Das bringt denn noch
einige wirklich komische Szenen im letzten Akt, und man wird eint
germaßen ausgesöhnt mit dem ganzen schwankhaften Gebilde einer
dichterischen Laune, das wohl, in knappster Form dargestellt, er¬
heitern konnte, nicht aber, wenn es in drei überlangen Akten zu
Tode gehetzt wird. Ein paar geschickte Auseinandersetzungen
Schnitzlerscher Art über den politischen Journalismus, über die
Wertlosigkeit des Duells, über soziale Standesunterschiede und
moralische Fragen würzen das Gericht nur mäßig. Die Zustands¬
schilderung wie die einzelnen Journalistentypen sind nur z. T. gut
getroffen, vielfach aber stark karikiert und schief geseben. Auch
berührt es einigermaßeen verwunderlich, daß der Dichter den sell¬
samen Versuch macht, dem alten Monolog wieder zu neuem Leben
zu verheifen, was mir bei einer modernen Komödie verfehlt und
stilwidrig erscheint. So wird man denn in der Tat nicht recht warm
bei diesem rein verstandesmäßigen Stück, und ein durch die Ein¬
tönigkeit und Langatmigkeit der an sich recht durchsichtigen Hand¬
lung verstärktes Gefühl der Unbefriedigung und mitunter sogar
Langeweile will nicht weichen. — Gespielt wurde es von den be¬
währten Kräften des Neuen Theaters unter Leitung Dir.: Hellmers,
abgesehen von der gänzlichen verzerrten Darstellung des Dichters
Cajetan durch Adam Kuckhoff, mit großer Hingabe und Tüchtig¬
keit, besonders von Paul Grätz, der aus der doppelten Titelrolle
eine ergösliche Einheit schuf, von Eugen Klöpser in der köstlichen
Type eines hochstaplerischen Flibustier=Journalisten und Mar
Brückner, der als gräflicher Abgeordneter Politik und Sport in
geschickte mechselseitige Beziehungen zu bringen wußte. Auch die
übrigen Journalistentypen wurden ebenso wie die Nebenfiguren
gut charakterisiert, sodaß nach der darstellerischen Seite hin im all¬
gemeinen nichts zu wünschen übrig blieb. Der Erfolg der Auf¬
führung, die die erste in Deutschland war, war nur mäßig. Der
Beifall setzte nur schmach und schüchtern ein, und es bewahrheitete
sich wieder einmal, daß es eine eigene und recht gewagte Sache ist,
in einseitiger und ausschließlich satirischer und schwankhaft=gro¬
tesker Weise Bernisschäden und momlische Fäulnis aufzudeckei
ohne dabei die große Lienie literarischer Kunst zu wahren.
box 33/2
ZCNONT377
Hamburger Naciwi“e
Hamburg.
R. D.“ Eine neue Komödie von Arthur-Schnitzler—Unser stän¬
diger Mitarbeiter schreibt uns aus Frankfürt a. Main: „Fink
man glaubt, eine frühlingsfrohe,
und Fliederbusch“
lachende Komödic vor sich zu haben mit Finkenschlag und Flieder¬
duft. Doch nichts von alledem. Schon der Titel ist grotesk, wie
das ganze Stück, das uns statt in frische, freie Luft mitten hinein¬
führt in die muffige Redaktionsstubenatmosphäre zweier gegne¬
rischer WienerBlätter. „Fink und Fliederbusch“ sinken zu einfachen
Namen herab, d. h. — und das ist der Witz des Ganzen — nicht
etwa zu zwei, sondern sie recken ein und denselben gerissenen Jour¬
nalisten, der es versteht, seine Gesinnungs= und Überzeugungs¬
treue wie ein Mäntelchen nach dem Wind zu drehen. Daß sich
dabei allerhand Lustiges und Bissiges, Satirisches und Groteskes
herausschält, liegt auf der Hand, und der Gipfelpunkt wird erreicht,
als sich die Situation bis zu einem Pistolenduell zwischen Fink
und seinem alter ego Fliederbusch zuspitzt. Das bringt denn noch
einige wirklich komische Szenen im letzten Akt, und man wird eini¬
germaßen ausgesöhnt mit dem ganzen schwankhaften Gebilde einer
dichterischen Laune, das wohl, in knappster Form dargestellt, er¬
heitern konnte, nicht aber, wenn es in drei überlangen Akten zu
Tode gehetzt wird. Ein paar geschickte Auseinandersetzungen
Schnitzlerscher Art über den politischen Journalismus, über die
Wertlosigkeit des Duells, über soziale Standesunterschiede und
moralische Fragen würzen das Gericht nur mäßig Die Zustands¬
schilderung wie die einzelnen Journalistentypen sind nur z. T. gut
getroffen, vielfach aber stark karikiert und schief gesehen. Auch
berührt es einigermaßeen verwunderlich, daß der Dichter den selt¬
samen Versuch macht, dem alten Monolog wieder zu neuem Leben
zu verhelfen, was mir bei einer modernen Komödie verfehlt und
stilwidrig erscheint. So wird man denn in der Tat nicht recht warm
bei diesem rein verstandesmäßigen Stück, und ein durch die Ein¬
tönigkeit und Langatmigkeit der an sich recht durchsichtigen Hand¬
lung verstärktes Gefühl der Unbefriedigung und mitunter sogar
Langeweile will nicht weichen. — Gespielt wurde es von den be¬
währten Kräften des Neuen Theaters unter Leitung Dir.: Hellmers,
abgesehen von der gänzlichen verzerrten Darstellung des Dichters
Cajetan durch Adam Kuckhoff, mit großer Hingabe und Tüchtig¬
keit, besonders von Paul Grätz, der aus der doppelten Titelrolle
eine ergötzliche Einheit schuf, von Eugen Klöpfer in der köstlichen
Type eines hochstaplerischen Flibustier=Journalisten und Max
Brückner, der als gräflicher Abgeordneter Politik und Sport in
geschickte wichselseitige Beziehungen zu bringen wußte. Auch die
übrigen Journalistentypen wurden ebenso wie die Nebenfiguren
gut charakterisiert, sodaß nach der darstellerischen Seite hin im all¬
gemeinen nichts zu wünschen übrig blieb. Der Erfolg der Auf¬
führung, die die erste in Deutschland war, war nur mäßig. Der
Beifall setzte nur schwach und schüchtern ein, und es bewahrheitete
sich wieder einmal, daß es eine eigene und recht gewagte Sache ist,
in einseitiger und ausschließlich satirischer und schwankhaft=gro¬
tesker Weise Berufsschäden und movalische Fäulnis aufzudecken,
ohne dabei die große Lienie literarischer Kunst zu wahren