II, Theaterstücke 27, Fink und Fliederbusch. Komödie in drei Akten (Journalisten, Der Unsichtbare und die zwei Schatten), Seite 161

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27. Eink und
Zeitung: Berliner Volkszeitung
Adresse: Berlin
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Datum:
Lessingtheater.
„Fink und Fliederbusch“ von Arthur Schnitzler.
Fliederbusch, der begabte Jüngling, schreibt im demokratischen Blatt
Artikel; er schreibt sie auch im reaktionären, aber unter dem Namen
Fin. Während Freytags Schmock mal so, mal so schkeiben kann,
it es dem Schnitzlerschen Jüngling gegeben, immer anders zu können.
Dies ist eins von seinen Talenten. Er hat noch andere. Und er
wird, das weiß man schon am Anfang, Karriere machen. Der erste
Akt spielt in der demokratischen Redaktion und schließt mit der Ver¬
lesung eines geharnischten Artikels, in dem Fliederbusch dem Fink,
der im reaktionären Organ Staatsautorität über Volksrecht gestellt
hat, gehörig seine Meinung sagt.
Im zweiten Akt sieht man dann, daß Fink und Fliederbusch eine
Person sind. Man fühlt sich bei den Eleganten von Fliederbuschs
Artikel gegen Fink sehr getroffen, und statt einer Entgegnung, wer¬
den schärfere Mittel sichtbar. Fink wird klargemacht, daß er sich mit
Fliederbusch duellieren muß. Warum nicht? Dieser Zweikampf kann
doch nur ein Einkampf sein. Links soll gegen Rechts kämpfen, oder
umgekehrt. Fliederbusch hat noch nie eine Pistole in der Hand gehabt,
nimmt aber die schwersten Bedingungen an. Wäre die Logik unerbitt¬
lich, dann müßte er sich selbst erschießen. Denn einer ist sicherlich
zu viel auf der Welt: Fink oder Fliederbusch? Wer, das wird man
im letzten Akt ohne Ueberraschung erfahren.
Letzter Akt: Duell im Wiener Prater. Die in Fliederbusch nur
Fink sehen, und er selbst sind zur Stelle. Dann kommen die an¬
deren Sekundanten und sagen zu Fink: „Guten Morgen, Herr
Fliederbusch!“ Die Gegenseite protestiert. Bis Fink und Flieder¬
busch sich in ein= und derselben Eigenschaft vorstellt. Nun müßte er
ausgestrichen sein, für beide Teile. Allein, es kommt zu einer tollen
Anktion: die linke Seite kämpft bis 1200 Kronen mit der rechten.
Schließlich kriegt ihn doch die konservativ=vornehme Gruppe, nicht
ohne seine Ueberzeugung akzeptiert zu haben, die etwa so lautet:
„Mir ist meine Gesinnung nicht feil. Ich muß mir das Recht vor¬
behalten, jeden Tag zu denken und zu schreiben, was ich will! Auf
eine Ueberzeugung kann ich mich nicht festlegen! . ..“ Ein Ueber¬
zeugungstreuer fragt freilich, ob damit die Sache erledigt wäre; ihm
antwortet Fliederbusch, daß er nicht auf die Welt gekommen ist, um
etwas zu erledigen. Dazu sind andere da.
Diese „Anderen“ sind diesmal die Ausflucht des Dichters Arthur
Schnitzler. Denn hier wäre schon etwas zu erledigen, eine Idee, die
phantastischen Spielraum läßt, aus dem Karikaturenbezirk in höhere
Sphären zu rücken gewesen. Es ist ja kein Zufall, daß seit Freytag
kein ernsthafteres Journalistenstück der deutschen Bühne gegeben
wurde. Jeder, der den Gegenstand betrachtet, mag, wie Schnitzler
wohl auch, die Empfindung haben, daß der Kampf gegen sich selbst,
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der hier parodistisch von Fink gegen Fliederbusch ausgefochten wird,
eher einen Tragödienstoff gibt. Bei Schnitzler ist es eine Komödie!
geworden — aber leider eine Komödie der Worte. Die Menschen
oberflächeln sich durch drei Akte, sind so geistreich, wie man es vom
Milieu und vom Dichter fordern darf, aber jede tiefere Regung geht
unter im Redelärm um ein Etwas, das einem Nichts sehr ähnlich
sieht. Das Stück hätte früher für Schnitzler dort begonnen, wo es
heute endigt: bei Fliederbuschens heiterem Geständnis, daß er sich
auf keine bestimmte Ueberzeugung festlegen lasse, weil er morgen
vielleicht eine andere, gegenteilige besitzen wird. Es ist seit langem
bei Arthur Schnitzler immer wieder ein anderer Paracelsus, der da
sagt: „Wir spielen immer, wer es weiß, ist klug.“ Zu viel resignie¬
render Verstand, der uns diesmal im Komödienkleid geboten wird!
Viktor Barnowskys Regie hat die Gefahren des Spiels um
einen ernsthafteren Gegenstand erkannt und Nachdenklichkeiten durch
scharfe Komödienlinien verwischt. Um die Hauptfigur stellt er eine
Reihe famoser Typen — allerfeinste Kleinarbeit, die alles Lob verdient.
Die Hauptfigur ist Albert Bassermann, Fink und Fliederbusch
im schnellen Wechsel und lächelnder Sieger am Ende. Schnitzler läßt
den Jüngling aus dem Wiener Ghetto kommen, aus der Grenadier¬
straße etwa. Von dorther kommt Bassermanns Fliederbusch nicht
und hat nichts vom heißhungrigen Emporkömmling, vom Kind armer
Eltern. Er spielt die Figur etwas ins absichtsvoll=dümmliche, um dann
das pfiffig=überlegene stärker sehen lassen zu können. War er nicht
von Schnitzler, so war er doch, wenn auch mit einer störenden Fülle
von „Nuancen“, der gelungene Kerl, der so sympathischer
erscheint als er ist. Vielleicht hat Bassermann einen kleinen
Theaterskandal besiegt, dessen Zeichen hörbar wurden. Neben dieser
Figur stand als vortreffliche Zeichnung der Redakteur Füllmann
von Adolf Edgar Licho. An überdeutlichen Namen hat Schnitzler
diesmal nicht gespart: ein Chefredakteur, der Leuchter heißt, wird
von Karl Wallauer prächtig hingestellt, die nachlässige Gegen¬
seite, Satan, gibt Max Landa mit wienerischer Gutmütigkeit. Eine
erfüllte, unrastige Reporterseele lätzt Kurt Götz in allen Reizen
sehen, Emil Lind ist als Abendstern von einer milde leuchtenden
Komik. Ferdinand Bonn hat als Graf Niederhof und unter Bar¬
nowskys Regie die notwendige sympathische Zurückhaltung, und aus
dem Kreis der beiden seltsamen Redaktionen treten wirksam noch
hervor Hans Felix und Heinrich Schroth. In dieser
Komödie, ein Männerstück wie „Professor Bernhardi“
gibt es eine Frauengestalt, die von Ilka Grüning so echt gegeben
wird, als hatte sie seit Jahren in der Nähe der hier konterfeiten
Wiener Wohltätigkeitsfürstin gelebt.
Der Beifall blieb schon nach den beiden ersten Akten nicht ohne
Widerspruch; am Ende lieferten sich die beiden Parteien einen längeren
Kampf, bis man sich zuletzt in Hervorrufen für Bassermann einigte.
M. Sch.