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Wien, I., Conçosdiaplätz Nr. 4.
Gambinge
191219
Mambinge ##r##denhlaft
Theater, Kunst
und Wissenschaft
#
f F. 600
Berliner Theater.
Wlzelm Stücklen
7 Geurg Reicke
Arthux Schnitzler.
Verme 1917.
Wenn ein Bürgermeister, der im Kriege
noch mehr als sonst ein Familienvater und
Hausversorger seiner Bürger sein soll, ihnen
kohlennot und Kartosfelbrot sanst und lieblich
zu machen sucht dadurch, daß er mit einem
fünsaktigen Drama vor ihnen auf der
Zühne erscheint, so würde man gewiß auch in
iner kleineren Stadt, als Berlin es ist, seinen
Rut bewundern. Ganz blieb denn auch das
zischen nicht aus, als Bürgermeister R
ein „Blutopfer“ auf der Volksbühne sei¬
tes Freundes Reinhardt einem gefüllzen Hause
Verführte, das bei aller Verehrung für Reickes
unschliche und bürgermeisterliche Tugenden boch.
die Meinung nicht ganz unterdrücken mochte,
#aß man ein kunstsinniger und geistvoller Ama¬
#ur sein kann, ohne deshalb unbedings ein
kriegsdrama verfassen zu müssen, in dem nicht
veniger als vierzig Rolien stehen. Es ist ein
Ostpreußenstück: Kriegstrauung auf einem Guts¬
#of. Kosakeneinfall, Wiederaufbau des Dorfes,
interstand an der Ostfront, Batterieleilung mit
Scherenfernrohr auf einem ausgebrannien Dach¬
fuhl geben den szenischen Nahmen der fünf
ekte. Dahinein ist mnit viel Lyrik die Tra¬
ödie eines Vaters und eines Sohnes gesetzt,
ie dasselbe Mädchen lieben, das der Vater im
isten Akt heiratet (Problem Don Carlos). Das
Nädchen, eine leise schillernde, blonde Nixen¬
atur, spielt Geige (Brüderlein, Brüderlein).
das Recht des Erzeugers und das Recht der
Jugend liegen um sie im Kampf. Das Blut¬
pier bringen beide, die Jugend im Trotz, das
Atter im Entsagen und in der Pflicht. Di
ausführung besorgt der Krieg. Die Granate,
die den feindlichen Artilleriebeobachtungsturm
ertrümmert, tötet zugleich den Sohn, der als
gefangener der Russen im Schiff der Kirche
jegt. Annemarie aber geht, den Tod im Feuer
zu suchen...
Das Rätsel von Jugend und
llter bleibt ungelöst, und der Krieg, die Ma¬
urenschlacht, selbst nur episodenhaft an den
Rund des Bühnenbildes gebracht — es bleibt
twas, was dem Gesühl widerstrebt. — Eduard
Wi
n (Vater), Paul Hart¬
mann (Brüderlein) und Marija Leiko, die
Rlonde, gaben ihr Bestes, sich selbst.
box 33/3
—.—
Ein neuer Dichter aus Oberbayern, Wil¬
helm Stücklen, hatte im Theater in der
Königgrätzerstraße unter Direktor Meinhords
Regie einen bemerkenswerten Erfolg mit seiner
ernsthaften Komödte „Die
e nach
Steinaych“. Nicht, daß das Problem — ein
Mädchen und drei Männer — neu wäre, auch
st der Titel von der Straße nach Steinaych
illes „Steinreich“) eiwas stark teudenziös; denn
die Straße zur guten, ja glänzenden Versor¬
manches
gung zieht
Mädchen, der
man die Tragik dessen mehr glauben würde
als dem vernunftgeplagten, allzu „wissenven“
und doch recht genußsüchtigen und sogar hyste¬
rischen Luderchen, das Stüalen in seiner
höheren Tochter Viga Sekurius schildert. Aber
nichtsdestoweniger bleibt dies moderne Pflänz¬
chen so tresssicher aus der Wirklichkeit auf die
Bühne geholt, daß Stücklen mit dieser Psycho¬
logie und einem unzweifelhaften bühnentechni¬
schen Talent Interessantes für die Zukunft ver¬
spricht. Erika Gla
, sonst nur aus
Lustspielen bekannt, versuchte sich zum ersten
Male mit viel Erfolg in dieser „ernsthafteren“
Komödie. Daß zwei sonst ganz vernünstige
Männer sich ihretwegen mit Pistolenkugeln an¬
reden, dafür ist Wilhelm Stücklen verantwortlich.
Arthur Schnitzlers Journalisten¬
Komödie „Fink und Fliederbusch“
mit Albert Bassermann in der Titel= und
Doppelrolle erlebte ihre Uraufführung in
Deutschland bei Barnowskys Lessing=Theater.
Wie seinerzeit in Wien, so galt auch hier der
Erfolg mehr dem Verfasser als dem Werke.
Vom Journalismus sind auch Schnitzler nur
einige abgegrisfene Witzblattverzerrungen greis¬
bar gewesen, und der Schmock, der hier als
Fink konservativ und als Fliederbusch demokra¬
tisch schreibt, hat Gustav Freytag zum Vater.
Das aber, was Schnitzler aus Eigenem dazu¬
gegeben hat, nämlich die tadellos geschneiderte
Weltanschauung, die das Leben in Monomanie
(für die idiotischen Ritter der „Ueberzeugung")
und in Sport (für die Schmocks in feudalem
Dreß) einteill, häte witziger und vointierter
herauskommen müssen, als bei dieser Ge¬
schichte von dem Duell, das Herr Fink=Flieder¬
busch mit sich selber aussechten sollte. Man hat
den Eindruck, daß Schnitzler entweder zu viel
gewollt hat, oder daß er nicht fertig wurde.
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Wien, I., Conçosdiaplätz Nr. 4.
Gambinge
191219
Mambinge ##r##denhlaft
Theater, Kunst
und Wissenschaft
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f F. 600
Berliner Theater.
Wlzelm Stücklen
7 Geurg Reicke
Arthux Schnitzler.
Verme 1917.
Wenn ein Bürgermeister, der im Kriege
noch mehr als sonst ein Familienvater und
Hausversorger seiner Bürger sein soll, ihnen
kohlennot und Kartosfelbrot sanst und lieblich
zu machen sucht dadurch, daß er mit einem
fünsaktigen Drama vor ihnen auf der
Zühne erscheint, so würde man gewiß auch in
iner kleineren Stadt, als Berlin es ist, seinen
Rut bewundern. Ganz blieb denn auch das
zischen nicht aus, als Bürgermeister R
ein „Blutopfer“ auf der Volksbühne sei¬
tes Freundes Reinhardt einem gefüllzen Hause
Verführte, das bei aller Verehrung für Reickes
unschliche und bürgermeisterliche Tugenden boch.
die Meinung nicht ganz unterdrücken mochte,
#aß man ein kunstsinniger und geistvoller Ama¬
#ur sein kann, ohne deshalb unbedings ein
kriegsdrama verfassen zu müssen, in dem nicht
veniger als vierzig Rolien stehen. Es ist ein
Ostpreußenstück: Kriegstrauung auf einem Guts¬
#of. Kosakeneinfall, Wiederaufbau des Dorfes,
interstand an der Ostfront, Batterieleilung mit
Scherenfernrohr auf einem ausgebrannien Dach¬
fuhl geben den szenischen Nahmen der fünf
ekte. Dahinein ist mnit viel Lyrik die Tra¬
ödie eines Vaters und eines Sohnes gesetzt,
ie dasselbe Mädchen lieben, das der Vater im
isten Akt heiratet (Problem Don Carlos). Das
Nädchen, eine leise schillernde, blonde Nixen¬
atur, spielt Geige (Brüderlein, Brüderlein).
das Recht des Erzeugers und das Recht der
Jugend liegen um sie im Kampf. Das Blut¬
pier bringen beide, die Jugend im Trotz, das
Atter im Entsagen und in der Pflicht. Di
ausführung besorgt der Krieg. Die Granate,
die den feindlichen Artilleriebeobachtungsturm
ertrümmert, tötet zugleich den Sohn, der als
gefangener der Russen im Schiff der Kirche
jegt. Annemarie aber geht, den Tod im Feuer
zu suchen...
Das Rätsel von Jugend und
llter bleibt ungelöst, und der Krieg, die Ma¬
urenschlacht, selbst nur episodenhaft an den
Rund des Bühnenbildes gebracht — es bleibt
twas, was dem Gesühl widerstrebt. — Eduard
Wi
n (Vater), Paul Hart¬
mann (Brüderlein) und Marija Leiko, die
Rlonde, gaben ihr Bestes, sich selbst.
box 33/3
—.—
Ein neuer Dichter aus Oberbayern, Wil¬
helm Stücklen, hatte im Theater in der
Königgrätzerstraße unter Direktor Meinhords
Regie einen bemerkenswerten Erfolg mit seiner
ernsthaften Komödte „Die
e nach
Steinaych“. Nicht, daß das Problem — ein
Mädchen und drei Männer — neu wäre, auch
st der Titel von der Straße nach Steinaych
illes „Steinreich“) eiwas stark teudenziös; denn
die Straße zur guten, ja glänzenden Versor¬
manches
gung zieht
Mädchen, der
man die Tragik dessen mehr glauben würde
als dem vernunftgeplagten, allzu „wissenven“
und doch recht genußsüchtigen und sogar hyste¬
rischen Luderchen, das Stüalen in seiner
höheren Tochter Viga Sekurius schildert. Aber
nichtsdestoweniger bleibt dies moderne Pflänz¬
chen so tresssicher aus der Wirklichkeit auf die
Bühne geholt, daß Stücklen mit dieser Psycho¬
logie und einem unzweifelhaften bühnentechni¬
schen Talent Interessantes für die Zukunft ver¬
spricht. Erika Gla
, sonst nur aus
Lustspielen bekannt, versuchte sich zum ersten
Male mit viel Erfolg in dieser „ernsthafteren“
Komödie. Daß zwei sonst ganz vernünstige
Männer sich ihretwegen mit Pistolenkugeln an¬
reden, dafür ist Wilhelm Stücklen verantwortlich.
Arthur Schnitzlers Journalisten¬
Komödie „Fink und Fliederbusch“
mit Albert Bassermann in der Titel= und
Doppelrolle erlebte ihre Uraufführung in
Deutschland bei Barnowskys Lessing=Theater.
Wie seinerzeit in Wien, so galt auch hier der
Erfolg mehr dem Verfasser als dem Werke.
Vom Journalismus sind auch Schnitzler nur
einige abgegrisfene Witzblattverzerrungen greis¬
bar gewesen, und der Schmock, der hier als
Fink konservativ und als Fliederbusch demokra¬
tisch schreibt, hat Gustav Freytag zum Vater.
Das aber, was Schnitzler aus Eigenem dazu¬
gegeben hat, nämlich die tadellos geschneiderte
Weltanschauung, die das Leben in Monomanie
(für die idiotischen Ritter der „Ueberzeugung")
und in Sport (für die Schmocks in feudalem
Dreß) einteill, häte witziger und vointierter
herauskommen müssen, als bei dieser Ge¬
schichte von dem Duell, das Herr Fink=Flieder¬
busch mit sich selber aussechten sollte. Man hat
den Eindruck, daß Schnitzler entweder zu viel
gewollt hat, oder daß er nicht fertig wurde.