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27. Eink-und Frjederbugen
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Die Neue Zeit.
Im Kleinen Theater, das einst ein Sprungbrekt revoluklonär moderner Kunst
war, wurde von demselben Autor, für den lange vorher eine ungezügelte Reklame
gemacht wurde, eine sogenannte Komödie aufgeführt, die nur dadurch lustig wurde,
daß wenigstens in der ersten Aufführung das Dublikum sich vom zweiten Akt an
aktiv beteiligke und die Unfähigkeiten des Dichters durch eigene Fähigkeiten zu er¬
setzen irachtete. Der =Kuhhandel=, der hier gegeben wurde, soll einen Kampf
eines Dorfschulmeisters gegen seine Gemeinde wegen einer der Schule angeblich
verschriebenen Kuh demonstrieren. Man könnte sich sehr wohl vorstellen, daß ein
solcher Kunof höchst lustig wiedergegeben und höchst amüsant dargestellt wird. Aber
Herr Est#wird platt und oberflächlich, zolig und lächerlich. Es ist ein Jammer, daß
für solt Ierakur= ernsthafte Künstler ihre Kraft opfern müssen. In dieselbe Ka¬
kegorie höchst überflüssiger, sogenannter moderner Versuche gehört Arkur Schnitzlers
:Fink und Fliederbusch=, das im Lessingthealer mil viel Temperament ge¬
geben wurde. Schnitzler hat sonst, wie bekannk, nicht ohne Geist und Beweglichkeit
gearbeiket. Man erwarkete, daß er die moderne Journalistik, die gewiß neuerdings
reichlich Stoff zu einer neuen dramatischen Komödie geliefert hat, mit Witz und
Geist lebendig machen würde. Statt dessen wurde eine simple Fabel mit einem lang¬
almigen Aufwand von dramalischen Verwicklungen ohne Reiz und ohne jedes liefe
Interesse konstruiert. Die Fabel, die darauf hinausläuft, daß der Journalist, der nach
links und nach rechts schreibt, einmal als Fink und einmal als Fliederbusch in den
Zeitungsspalten erscheint, schließlich durch den Wirrwarr der Ereignisse dahin ge¬
bracht werden soll, sich mit sich selbst zu duellieren, wird ohne Witz, ober mit viel
Behagen breitgetreten. Eine hervorragende Schauspielkunst verhalf dem Stück kro߬
dem zu einem äußerlichen Erfolg.
Ernster, nicht an sich, sondern wegen der Vergangenheit des Aulors, ist das
neueste Stück von Gerhark Hauplmann, die „Winkerballades, zu untersuchen.
Die Fabel, die hier zum Mittelpunkt einer dramatischen Handlung benutzt wird,
findet man bei Selma Lagerlöf unvergleichlich künstlerischer als bei Hauptmann:
dei Mörder, der sich in sein Opfer verliebt und, zwischen Bluldurst und Liebeswahn¬
sinn hin und her geworfen, vom Verbrecher wieder zum Menschen wird. Es war
nicht ohne innere Trogik, zu erleben, wie Hauptmann in der Wiedergabe dieser
Motive und in der Linienführung der Handlung vollkommen versagte. Das Ber¬
liner Publikum zeigte denn auch in diesem Falle gegenüber den früheren unzweifel¬
haften Verdiensten Hauptmanns eine erfreuliche Respektiosigkeit. Das Stück fand
eine sehr laue Aufnahme, verstärkt durch lauken Widerspruch. Es fehlt ihm jeder
dramatische Zusammenhang. Alles bleibt verschwommen, unklar, ohne Ziel. Selbst
die beste Darstellung konnte hier nur wenig verbessern.
Einen Lichtblick im Berliner Theater boken, wie schon angedeutet, Richard
Dehmels Menschenfreundes, die das Lessingtheater aufführte. Das Stück
ist von einer ganz außergewöhnlichen Technik und einer höchst bemerkenswerten
dramatischen Strafsheik und Energie. Es handelt sich um das alle Problem des mo¬
ralischen Verbrechers und der verbrecherischen Moral. Man darf feststellen, daß
Dehmel diese Weltfrage an den gegebenen Beispielen nicht nur mit außergewöhnlich
straffer Dramalik, sondern auch mit tiefem siltlichen Willen gesördert hat. Es bleibt
freilich zweiselhaft, ob ohne die große Kunst des Schauspielers Bassermann das
Stück auf anderen Böhnen die gleiche Wirkung und den gleichen Erfolg haben wird.
Was dem Berliner Theater also fehll und was nur in Dehmel an einem beson¬
deren Beispiel offenbar wurde, sind Kraft und Zielsicherheit, liefe Probleme und die
großen Fragen, die sich aus der revolutionären Zeit des Weltkriegs aufdrängen.
Bis jetzt hat, wie man feststellen muß, die große Zeit, was das Berliner Theater
betrifft, ein kleines Geschlecht gesunden.
27. Eink-und Frjederbugen
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Die Neue Zeit.
Im Kleinen Theater, das einst ein Sprungbrekt revoluklonär moderner Kunst
war, wurde von demselben Autor, für den lange vorher eine ungezügelte Reklame
gemacht wurde, eine sogenannte Komödie aufgeführt, die nur dadurch lustig wurde,
daß wenigstens in der ersten Aufführung das Dublikum sich vom zweiten Akt an
aktiv beteiligke und die Unfähigkeiten des Dichters durch eigene Fähigkeiten zu er¬
setzen irachtete. Der =Kuhhandel=, der hier gegeben wurde, soll einen Kampf
eines Dorfschulmeisters gegen seine Gemeinde wegen einer der Schule angeblich
verschriebenen Kuh demonstrieren. Man könnte sich sehr wohl vorstellen, daß ein
solcher Kunof höchst lustig wiedergegeben und höchst amüsant dargestellt wird. Aber
Herr Est#wird platt und oberflächlich, zolig und lächerlich. Es ist ein Jammer, daß
für solt Ierakur= ernsthafte Künstler ihre Kraft opfern müssen. In dieselbe Ka¬
kegorie höchst überflüssiger, sogenannter moderner Versuche gehört Arkur Schnitzlers
:Fink und Fliederbusch=, das im Lessingthealer mil viel Temperament ge¬
geben wurde. Schnitzler hat sonst, wie bekannk, nicht ohne Geist und Beweglichkeit
gearbeiket. Man erwarkete, daß er die moderne Journalistik, die gewiß neuerdings
reichlich Stoff zu einer neuen dramatischen Komödie geliefert hat, mit Witz und
Geist lebendig machen würde. Statt dessen wurde eine simple Fabel mit einem lang¬
almigen Aufwand von dramalischen Verwicklungen ohne Reiz und ohne jedes liefe
Interesse konstruiert. Die Fabel, die darauf hinausläuft, daß der Journalist, der nach
links und nach rechts schreibt, einmal als Fink und einmal als Fliederbusch in den
Zeitungsspalten erscheint, schließlich durch den Wirrwarr der Ereignisse dahin ge¬
bracht werden soll, sich mit sich selbst zu duellieren, wird ohne Witz, ober mit viel
Behagen breitgetreten. Eine hervorragende Schauspielkunst verhalf dem Stück kro߬
dem zu einem äußerlichen Erfolg.
Ernster, nicht an sich, sondern wegen der Vergangenheit des Aulors, ist das
neueste Stück von Gerhark Hauplmann, die „Winkerballades, zu untersuchen.
Die Fabel, die hier zum Mittelpunkt einer dramatischen Handlung benutzt wird,
findet man bei Selma Lagerlöf unvergleichlich künstlerischer als bei Hauptmann:
dei Mörder, der sich in sein Opfer verliebt und, zwischen Bluldurst und Liebeswahn¬
sinn hin und her geworfen, vom Verbrecher wieder zum Menschen wird. Es war
nicht ohne innere Trogik, zu erleben, wie Hauptmann in der Wiedergabe dieser
Motive und in der Linienführung der Handlung vollkommen versagte. Das Ber¬
liner Publikum zeigte denn auch in diesem Falle gegenüber den früheren unzweifel¬
haften Verdiensten Hauptmanns eine erfreuliche Respektiosigkeit. Das Stück fand
eine sehr laue Aufnahme, verstärkt durch lauken Widerspruch. Es fehlt ihm jeder
dramatische Zusammenhang. Alles bleibt verschwommen, unklar, ohne Ziel. Selbst
die beste Darstellung konnte hier nur wenig verbessern.
Einen Lichtblick im Berliner Theater boken, wie schon angedeutet, Richard
Dehmels Menschenfreundes, die das Lessingtheater aufführte. Das Stück
ist von einer ganz außergewöhnlichen Technik und einer höchst bemerkenswerten
dramatischen Strafsheik und Energie. Es handelt sich um das alle Problem des mo¬
ralischen Verbrechers und der verbrecherischen Moral. Man darf feststellen, daß
Dehmel diese Weltfrage an den gegebenen Beispielen nicht nur mit außergewöhnlich
straffer Dramalik, sondern auch mit tiefem siltlichen Willen gesördert hat. Es bleibt
freilich zweiselhaft, ob ohne die große Kunst des Schauspielers Bassermann das
Stück auf anderen Böhnen die gleiche Wirkung und den gleichen Erfolg haben wird.
Was dem Berliner Theater also fehll und was nur in Dehmel an einem beson¬
deren Beispiel offenbar wurde, sind Kraft und Zielsicherheit, liefe Probleme und die
großen Fragen, die sich aus der revolutionären Zeit des Weltkriegs aufdrängen.
Bis jetzt hat, wie man feststellen muß, die große Zeit, was das Berliner Theater
betrifft, ein kleines Geschlecht gesunden.