II, Theaterstücke 27, Fink und Fliederbusch. Komödie in drei Akten (Journalisten, Der Unsichtbare und die zwei Schatten), Seite 206

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Max Grunwald: Berliner Khealer.
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on Max Grunwald.
Berlin, Januar 1918.
Man darf vorweg feststellen, daß das Berliner Theater inhaltlich während des
Krieges vollkommen versagt hat und für diese Zeit weder eine moralische Anstalt
im Sinne Schillers noch eine nationale Kraftquelle im Sinne der Alten geworden
ist. Indessen wäre es verfehlt, allein den Theaterleitungen die Schuld für diesen Tat¬
bestand zuzuschreiben. Das Berliner Publikum hat nicht weniger versagt, denn da¬
durch, daß es in einer nie geahnten Fülle die Theaker bei den seichtesten Unterhal¬
tungen übervölkert, werden die Direktoren gerade darin bestärkt, ausschließlich auf
Ihren geschäftlichen Profik zu sehen. Wir haben während der ganzen Kriegszeit, von
wenigen Ausnahmen abgeleben. in den Berliner Theatern nichts Großes und Er¬
bebendes erlebt. Die klassischen Dramen, das Fundamenk der künstlerischen deutschen
Nallon, sind nur in einer wundervolten Aufführung der =Iphigenie= (Theater
in der Königgrätzer Straße) lebendig geworden, aber weder Goethes =Götz= noch
Schillers =Tell= hat man für nationale Zwecke verwandt, noch ven den Modernen
etwa Hauptmanns =Florlan Geyer= zu sehen eskommen. Von deukscher Kraft,
deutschem Ethos, deutschem Geist haben wir durch die Berliner Theater kaum einen
Hauch verspürk.
Noch mehr — von einer einzigen Ausnahme abgesehen, die nicht einmal ein
Dramatiker, sondern ein Lyriker bescherte, versagke auch völlig die deutsche Lite¬
ratur. Was außer Dehmels =Menschenfreunden= an neuen Schöpfungen in
den Berliner Theatern zu sehen war, offenbarke einen völligen Niedergang der
deutschen dramatischen Produktion. Das sogenannte =Junge Deutschland=, für das
Herr Reinhardk eine besondere Organisation schuf, kam über höchst peinliche und
romanlische Anfänge nicht hinaus, und was sich sonst als moderne Dichtung auf die
Schaubühne drängte, wirkte geradezu grotesk. In der ersten Aufführung des Jungen
Deutschland wurde Reinhold Sorges =Bettler= vorgeführt. Das Stück will den
alten Widerspruch zwischen Dichter und Welt neu beleben. Es ist nicht ohne einige
lyrische Schönheiten, aber es fehlt ihm jede dramatische Kongentration, jede gefühls¬
mäßige Belebung und jede Spannung, die über den Augenblick hinausgeht. Sorge
hal alles in Intellekt und Überlegung, in Kühle und Sachlichkeil verwandelk, was
sonst den Erdenweg des Dichters mit einem Überschwang von Gefühlen und mit re¬
voluklonärem Widerspruch gegen Welt und Menschen erschütterk. Wir bekommen
eine gut gerechnete mathematische Formel, eine nüchterne Sektion und bestenfalls
in guter Sprache formulierte rationalistische Systeme. Von dem Sturm und Drang,
mit dem man früher jede neue literarische Bewegung begleitet sah, spürt man nichts.
Rüchternheit und Sachlichkelt ist die Losung dieser Jugend.
Es ist für das gegenwärtige literarisch Deutschland höchst bezeichnend, daß es
aus solchen Erscheinungen sofort eine =Richtung= und eine =Bewegung= konstruiert,
wo bestenfalls Einzelheiten in der Technik und Besonderheiten in der Wortführung
interessieren können. Immerhin hätte man von Sorge, wenn er den Krieg überleben
konnte, manches erwarten können, das zu einer neuen deutschen Dramalik hinüber¬
führte. Was außer ihm noch als moderne literarische Produktion vorgeführt wurde,
wirkte geradezu abstoßend, wenn nicht eben grokesk. Es gibt da unter den jungen
deutschen Dichtern einen Herrn Hermann Essig, der sogar die ehrwürdig konserva¬
liven Schranken des Königlichen Schauspielhauses überspringen konnte. Sein
„Held vom Wald=, der dort zur Aufführung gelangke, zeigte im Gegensaß zu
Sorges Nationalismus einen nalven Rückfall in die schlimmste Nomanlik ver¬
gangener Zeiten. Der Kampf um ein Mädchen wird hier in alle Legenden des
Schwarzwaldes verwoben, und mit einem ungeheuren Aufwand von dekorativen
Mitteln werden Wald und Feld in den Dienst szenischer Spielereien gestellt.
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