II, Theaterstücke 26, (Komödie der Worte, 1), Komödie der Worte, Seite 50

hnitt aus:
fobeller-Zeitung, Wien
30KT 1915
Theater und Kunst.
Burgtheater. Dienstag den 12. Oktober. Zum ersten¬
mal: „Komödie der Worte.“ Drei Einakter von
Arthur Schnitz Ler. Es ist wie immer bei Schnitzler:
eine durchgreifende Charakteristik der Personen, feine Psychologie
und witzige Behandlung. Nur ist sein Witz so gar nicht lärmend,
still in den Dingen und Menschen liegend, nicht aufdringlich,
aber sehr wirksam. Es sind keine Dramen im Schulsinn, die
er uns bietet, es sind Dialoge. Es geschieht nicht viel und was
geschieht, ist innerliches Geschehen. Und es ist nicht das erste¬
mal, daß Schnitzler jenem tiefsten Problem nachgeht, das
die denkenden und tieferen Menschen so quält und das so un¬
lösbar ist: das Problem der absoluten Vereinsamung der
Menschenseele, die ein ganzes Leben dahingeht, ohne in ihrer
innersten Wesenheit von den anderen Seelen verstanden zu
werden. Zwar gibt es ein Mittel des Verständnisses: die Tat.
Aber wie selten ist sie restlos auszudeuten! Sonst haben wir
nur die Worte. Die Sprache ist gewiß das feinste Werkzeug,
das sich der menschliche Verstand ersonnen hat, ein wunder¬
volles Werkzeug. Aber verstehen wir es auch, sie so zu ge¬
brauchen, daß sie ihren Zweck erfüllt? Indem wir ineinander
hineinreden, in der besten Absicht, zu verstehen und ver¬
standen zu werden, reden wir ach so oft aneinander
vorbei, von jenen Fällen zu schweigen, wo wir lügen, mit
und oft auch ohne rechtes Bewußtsein. Und so geben wir
uns nicht durch die Worte, wie wir sind, sondern spielen den
anderen nur eine Komödie vor. Wären wir uns dessen immer
bewußt, wie selten könnten wir uns gegenseitig offen ins Auge
schauen! Wie oft belügen wir die anderen und dabei uns selber
oft am meisten. Und es entsteht dann jene Menschenfeindselig¬
keit, die das Menschengeschlecht vernichten müßte, hätte uns das
gütige Geschick nicht als Gegengewicht die Sehnsucht nach dem
anderen ins Herz gesenkt. Aus dieser verzweifelten Stimmung
heraus hat Goethe gesagt:
Der Teufel hol' das Menschengeschlecht!
Man möchte rasend werden!
Da nehm' ich mir so eifrig vor:
Will niemand weiter sehen,
Will all das Volk Gott und sich selbst
Und dem Teufel überlassen!
Und kaum seh' ich ein Menschengesicht,
So hab' ich's wieder lieb.
Daß es sich bei Schnitzler auch hier um den Konflikt
zwischen Mann und Weib handelt, versteht sich fast von selbst.
Drei Männer= und drei Frauentypen führt uns Schnitzler vor:
In der „Stunde des Erkennens“ den tückisch=rach¬
süchtigen, schon etwas gemeinen Mann und das Weib, das
nicht besser gewesen sein will als tausend andere Weiber, dabei
aber neben diesem Manne zu einer gewissen schlichten Größe
aufwächst; in der „Großen Szene“ den gewissenlosen
Mann, der sich seiner inneren Gemeinheit unbewußt ist, ein
„lieber Kerl“, der ein Lump ist, und neben ihm eine schlichte,
gütige Frauennatur, der das Verständnis für seine Verständnis¬
losigkeit fehlt; im „Bacchusfest“ den Mann, der festhalten“
will, was er hat, und ihm gegenüber eine dumme Gans,
die laufen zu lassen ihm eigentlich eine Genugtuung sein müßte.
Aber er gönnt seinem Nebenbuhler, der ein Tropf ist, nicht den
Triumph. Der beherrschende Mittelpunkt jedes Stückes ist der
Ehemann, dargestellt von Herrn Walden, jedesmal der
vollendete künstlerische Ausdruck des dargestellten Charakters,
am besten wohl im zweiten Stücke, wo er den eitlen, selbst¬
gefälligen Schauspieler zu mimen hat. Es ist nicht zu zweifeln,
daß Schnitzler hier nach einem recht kennbaren Modell gearbeitet
hat. Er hat mit dieser Figur wohl eine seiner lebendigsten
Gestalten auf die Bühne gestellt. Frau Medelsky war eine
würdige Partnerin Waldens. Schlichtheit und Güte leuchteten in
ihrem Wesen, das als sinnfälliger Kontraft zum männlichen
Gegenstück dieses in wirksamster Weise unterstrich. Herr Tiedtke
als Schauspieldirektor war prächtig in seiner direktorialen Ge¬
schäftigkeit und Geschäftlichkeit. Ueberaus flott und lebensnatür¬
lich war Fräulein Kutschera als schauspielbeflissenes
Mädchen. Im ersten Stück gab Frau Bleibtreu die Frau.
Man weiß, wie wir diese Schauspielerin beurteilen. Diesmal schien
sie uns etwas farblos. Oder liegt dies in der Rolle? Dagegen
verstand es Herr Devrient, den etwas allzu philisterhaft¬
redlichen Liebhaber diskret und einnehmend zu zeichnen. Im
n
zu bestimmen schien. Herr Baumgarten bewies in seiner
kleinen Rolle, daß eine starke komische Kraft in ihm ist, die
vielleicht im Burgtheater noch nicht zur vollen Entfaltung hat
kommen können. Im ganzen war die Aufführung wohl aus¬
gezeichnet. Glänzend in der Einzelleistung, vollendet im
Zusammenspiel. Also so, wie man sich das „gute Burgtheater“.
vorstellt.
Dachte man während der Vorstellung einen Augenblick
hinaus in die Welt, so ergriff der Gegensatz in seltsamer
Weise. In der großen Welt regiert heute nicht das Wort,
sondern die Tat. Sie übertönt alle Worte. Aber es wird
wieder die Zeit kommen, da wir aus der äußerlich grausen
und großen Zeit wieder in die größere innere Welt flüchten,
deren schmerzhafte Rätsel zu ergründen für immer die Aufgabe
und
das Ziel aller Denker und Dichter bleiben wird ...
Der Beifall war am stärksten nach der „Großen Szene“
Der Dichter mußte mehrmals erscheinen, ebenso nach dem¬
„Bacchusfest“
E.-P.
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