II, Theaterstücke 26, (Komödie der Worte, 1), Komödie der Worte, Seite 102

Wien, 29. Jänner.
Im Wiener Burgtheater wird gegenwärtig
das neueste Werk unseres Arthur Schnitzler
„Komödie der Worte“ aufgeführt. Die Worte!
werden zur Komödie, die sie sprechen, zu Ko¬
mödianten. Man belügt sich selbst, indem man
die anderen zu beschwatzenglaubt. Aber jede
Lüge hat nur kurze Beine. An die Einakter
von Schnitzler erinnert die Erklärung Lloyd
Georges, die Alliierten seien ebenso fest geeint
wie beim Beginn des Krieges, und sie hätten
nicht den geringsten Zweifel an ihren Sieg.
Will Lloyd George die Welt glauben machen,
daß er auf einer Insel lebt, mitten im Ozean,
wohin keine Kunde von den Ereignissen kommt,
welche die Welt bewegen, auf welcher die Stim¬
men der Völker nicht vernehmbar sind und auch
Zeitungen nicht eindringen können? Hat Lloyd¬
George von der Uneinigkeit der Alliierten in
Griechenland kein Sterbenswörtchen erfahren?
Sind ihm die Klagen der Franzosen unbe¬
kannt?
Wenn der der Vierverband so einträchtig
zusammenhält, warum führt seine nervöse
Presse eine so aufgeregte Sprache, und sucht ein
Teil die Schuld an den Mißerfolgen auf den
anderen zu wälzen? Im gewöhnlichen Leben
hat man von Einigkeit und Treue andere Vor¬
stellung. Wie sagte doch kürzlich Gustave Hervé¬
„Ich weiß nicht, wie es die Oesterreicher=Un¬
garn und Deutschen machen, aber sie haben im¬
mer Leute, um Offensiven zu ergreifen oder
vielmehr ich weiß es doch: Sie graben sich ge¬
enüber unseren Linien ein, spicken ihre Gräben
tausenden von Maschinengewehren, wo¬
durch sie trotz ihrer zahlmäßigen Unterlegenheit
immer ein Operationsheer haben, das sie bald
gegen uns bald gegen Rußland, gestern gegen
Serbien und heute gegen Montenegro ansetzen.
So und ähnlich klagt Hervé und aus seinen
traurigen Bekenntnissen muß man logischer
Weise den Schluß ziehen, daß man eben doch
in Frankreich zu erwachen und die Situation
der Verbündeten zu erkennen beginnt. Jean
Moreau aber übt im „Petit Nicis“ scharfe
Kritik an den Verbündeten. Er spricht von der
Riesenlast, welche Frankreich durch den Krieg
zu tragen habe. Wir warten noch immer, sagt
er, auf die von unseren Verbündeten verspro¬
chene volle Mitwirkung, England gibt uns die
Freiheit der Meere aber nicht das nötige Men¬
naterial. Die langsame Mobilmachung
nds hat uns auf den an der Ostfront aus¬
den Druck warten lassen". Und der
s“ fordert immer dringender die Mit¬
ng Italiens in Saloniki. Italien will Va¬
lona halten, stellt das Blatt fest, meint aber zu¬
gleich, daß Italien um diesen Hafen zu vertei¬
digen nicht alle seine Streitkräfte dorthin zu
schicken braucht. Das würde nicht mehr heißen,
in vollkommener Solidarität und inniger Zu¬
sammenarbeit mit den Alliierten (!) handeln.
Inzwischen mehren sich die Friedenskund¬
gebungen in Rußland und Italien. Solche ha¬
ben in den letzten Tagen in Bologna und in
Moskau in großem Umfange stattgefunden, und
unter den Zuhörern der letzteren befanden sich
auch ein früherer Minister des kaiserlichen Hau¬
ses und Großfürst Konstantin, entschiedene
Kriegsgegner. Der Hauptredner, der russische
Schriftsteller Arzibaschew, sagte in einer bedeut¬
samen Friedensrede unter andern: „Es ist auch
Zeit zu sagen, daß eine Stärkung Englands
unseres Kampffreundes, uns schaden müßte,
weil eine Abhängigkeit Rußlands von England
uns in der Freiheit unserer Entwicklung in
Asien ganz entschieden hindern würde. Lassen
wir uns nicht weiter blenden. Kehren wir zur
ruhigen Ueberlegung zurück! Deutschland war
unser guter Freund, mit dem wir geistige und
materielle Güter zu beiderseitigen Nutzen aus¬
getauscht haben“ — Das ist die „Einigkeit“ der
Alliierten nach Lloyd George!
L. von J.
□ Ausschnitt aus: ## ite Deutsche Worte, Wien
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Woenit noselmennn — „C0t. 0. 1.
Im gleichen Verlage erschien die Buchausgabe von Artur
Schnitzlers Einakterzyklus Komödie der Worte, dessen kürzlich-er¬
folgte Uraufführung am Burgtheater bereits die Wiener Tagespresse
eingehend besprach.

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