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26.1. Konoedier NorteZuklus
neues Stück fertig zu machen, und sie hat indes einen netten, sportstüchti¬
gen Doktor der Chemie erhört. Sie will sich scheiden lassen und diesem
Dr. Wernig angehören. Vielleicht wäre gar nichts geschehen, denn Agnes ist
voller Gewißheit, ihrem Gatten und besonders dem Dichter in ihm, untrennbar
verbunden zu sein, weil auch er ihrer bedarf, ihres Rats und ihrer Gegenwart
beim Schaffen. Aber sie hat sich auch in seiner Anwesenheit oft allein ge¬
lassen gefühlt: schemenhaft den Gestalten gegenüber, die er erfand, unmächtig
mit ihrer Stimme zu ihm zu dringen — auch sie von 'der Fremdheit und dem
Schauder vor dem Geheimnis der Kunst erfüllt. „Das Bacchusfest“ aber ist
der Titel des neuen Stückes, das Staufner in jenen Wochen geschrieben hat.
Oder geschrieben zu haben vorgibt; denn es hat den Anschein, daß er das,
was er davon erzählt, einfach improvisiert, um Herr der Situation zu bleiben.
Im Augenblick, in dem ihm Frau Agnes und Dr. Wernig auf dem Salzburger
Bahnhof entgegentreten, weiß er, was geschehen ist und daß die beiden ihn
vor eine vollzogene Tatsache stellen wollen. Das aber läßt er sich nicht bie¬
ten und zumindest nicht, daß sie sichs so leicht machen. So überrennt er
beide mit seiner Liebenswürdigkeit, fällt jedem von ihnen ins Wort, wenn der
Dialog gefährlich zu werden beginnt, weiß von Anfang an seine ohnedies
offenbar unentschiedene Frau wieder ganz seiner funkelnden Ueberlegenheit
zu unterjochen und sie zu sich herzuziehen: sie läßt den Liebhaber völlig im
Stich. Und als Felix Staufner nun von seinem Werk und von dem griechi¬
schen Bacchusfest erzählt, das einmal im Jahre Jedem erotische Freiheit gab,
aber nur so, daß jene, die sich während der Feier der Nacht zusammenfan¬
den, bei Todesstrafe gezwungen waren, am Morgen wieder in ihr Heim zu¬
rückzukehren und mit keinem Wort ihres Erlebnisses und dessen, der es
teilte, zu erwähnen, daß aber jene, deren Sehnsucht nach dem Genossen der
Feier stärker war als der Frieden des Hauses, weder von Eltern, noch von
Gatten oder Gattinnen am Fortgehen gehindert werden, dafür aber auch nie¬
mals wieder zurückkehren durften und fortan ihr Leben lang auf einander
angewiesen sein mußten, — da erkennen die beiden auch die Unsicherheit
ihrer Gefühle, das Bedenkliche ihrer Wünsche. Dr. Wernig reist ab und
Agnes läßt ihn ruhig ziehen, hält den Gatten zurück, der in plötzlichem
Zorn auf den Rivalen losfahren will und fordert, nicht das Vergessen, aber das
Verstehen des Mannes, der sie nicht genug gehütet hat, weil ihm im Augen¬
blick des Aufsteigens seiner dichterischen Welt die wirkliche immer wieder ver¬
sinkt. Er lacht auf. Und, in plötzlichem dumpfen Ausbruch, auf sie los:
„Ich hasse Dich!“ Sie darauf: „Und ich Dich noch tausendmal mehr ——
(mit einem neuen Ausdruck der Zärtlichkeit) — mein Geliebter!“
Seltsam ist an diesen drei Nachspielen auf dem Theater, wie überhaupt
in Schnitzlers letzten Werken, die leise Verachtung gegen alle „Literatur“,
gegen das Theater, das ihn doch mit magisch-unsinniger Kraft anzieht, — ja
jetzt sogar gegen das dichterische Material: die Worte. Sie sind ihm an allem
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neues Stück fertig zu machen, und sie hat indes einen netten, sportstüchti¬
gen Doktor der Chemie erhört. Sie will sich scheiden lassen und diesem
Dr. Wernig angehören. Vielleicht wäre gar nichts geschehen, denn Agnes ist
voller Gewißheit, ihrem Gatten und besonders dem Dichter in ihm, untrennbar
verbunden zu sein, weil auch er ihrer bedarf, ihres Rats und ihrer Gegenwart
beim Schaffen. Aber sie hat sich auch in seiner Anwesenheit oft allein ge¬
lassen gefühlt: schemenhaft den Gestalten gegenüber, die er erfand, unmächtig
mit ihrer Stimme zu ihm zu dringen — auch sie von 'der Fremdheit und dem
Schauder vor dem Geheimnis der Kunst erfüllt. „Das Bacchusfest“ aber ist
der Titel des neuen Stückes, das Staufner in jenen Wochen geschrieben hat.
Oder geschrieben zu haben vorgibt; denn es hat den Anschein, daß er das,
was er davon erzählt, einfach improvisiert, um Herr der Situation zu bleiben.
Im Augenblick, in dem ihm Frau Agnes und Dr. Wernig auf dem Salzburger
Bahnhof entgegentreten, weiß er, was geschehen ist und daß die beiden ihn
vor eine vollzogene Tatsache stellen wollen. Das aber läßt er sich nicht bie¬
ten und zumindest nicht, daß sie sichs so leicht machen. So überrennt er
beide mit seiner Liebenswürdigkeit, fällt jedem von ihnen ins Wort, wenn der
Dialog gefährlich zu werden beginnt, weiß von Anfang an seine ohnedies
offenbar unentschiedene Frau wieder ganz seiner funkelnden Ueberlegenheit
zu unterjochen und sie zu sich herzuziehen: sie läßt den Liebhaber völlig im
Stich. Und als Felix Staufner nun von seinem Werk und von dem griechi¬
schen Bacchusfest erzählt, das einmal im Jahre Jedem erotische Freiheit gab,
aber nur so, daß jene, die sich während der Feier der Nacht zusammenfan¬
den, bei Todesstrafe gezwungen waren, am Morgen wieder in ihr Heim zu¬
rückzukehren und mit keinem Wort ihres Erlebnisses und dessen, der es
teilte, zu erwähnen, daß aber jene, deren Sehnsucht nach dem Genossen der
Feier stärker war als der Frieden des Hauses, weder von Eltern, noch von
Gatten oder Gattinnen am Fortgehen gehindert werden, dafür aber auch nie¬
mals wieder zurückkehren durften und fortan ihr Leben lang auf einander
angewiesen sein mußten, — da erkennen die beiden auch die Unsicherheit
ihrer Gefühle, das Bedenkliche ihrer Wünsche. Dr. Wernig reist ab und
Agnes läßt ihn ruhig ziehen, hält den Gatten zurück, der in plötzlichem
Zorn auf den Rivalen losfahren will und fordert, nicht das Vergessen, aber das
Verstehen des Mannes, der sie nicht genug gehütet hat, weil ihm im Augen¬
blick des Aufsteigens seiner dichterischen Welt die wirkliche immer wieder ver¬
sinkt. Er lacht auf. Und, in plötzlichem dumpfen Ausbruch, auf sie los:
„Ich hasse Dich!“ Sie darauf: „Und ich Dich noch tausendmal mehr ——
(mit einem neuen Ausdruck der Zärtlichkeit) — mein Geliebter!“
Seltsam ist an diesen drei Nachspielen auf dem Theater, wie überhaupt
in Schnitzlers letzten Werken, die leise Verachtung gegen alle „Literatur“,
gegen das Theater, das ihn doch mit magisch-unsinniger Kraft anzieht, — ja
jetzt sogar gegen das dichterische Material: die Worte. Sie sind ihm an allem
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