Ausschnitt aus: Volkstreund, Brüng, Mähr.
vom:
11 1975
B
—Theater und Kunst.
2
GKomödie der Worke.“) Drei Einakter von
Arlhye-Schler Der Titel scheint auf Gemein¬
sames im Ideengehalt der Einakter hinweisen zu wollen.
Im Grunde genommen entsprichl er nur dem zweiten,
werkvollsten Stück „Große Szene“, worin ein gewandter
Schauspieler sich Dank seiner überlegenen Rede= und
Schauspielkunst aus einer peinlichen Lage befreit. Die
beiden anderen Stücke sind „Komödien der Worke“ in¬
sofern, als man mehr oder minder jedem Thealerstück
diesen Untertitel beilegen könnte. Müssen wir uns doch
im gesellschaftlichen Leben mit den abgegriffenen Scheide¬
münzen der Worte begnügen, sie als Symbol für unsere
Gedanken und Gefühle gelten lassen. Auch auf dem
Theater. Hier lassen wir uns durch Worte und Gesten von
Scheingefühlen und einer Welt von verschwommenen und
ungeklärten Begriffen überzeugen und mitreißen. Ge¬
meinsam an den Einaktern ist, daß der Verfasser in allen
mit Ehebrüchen rechnet; eine Rechenmethode, die sich bis
auf den heutigen Tag in der Literatur als am einträg¬
lichsten erweist. „Stunde des Erkennens“ ist ein kunst¬
voll ineinandergeschachtelter, geistvoll geführter Dialog,
das „Bacchusfest“ hingegen etwas primitiv und dürftig
geraten. Die führenden Rollen spielle Herr Walden
vom Wiener Hofburgtheater virtuos, mit überlegener
Technik, nur mitunker etwas zu laut und vordringlich,
ohne Rücksicht auf seine Partner, die sich nicht dagegen
zu wehren vermochten, von ihm in Grund und Boden“.
gespielt zu werden.
S. E.
Ceechrurunge
Brünner Rellnen#und Markörverein. Wie alljährlie
wird auch heuer ene Weihnachtsbescherung veranstaltet, und zwar
für die Kinder bedürftiger Mitglieder, die zum Militärdienste
eingerückt sind, sowie für Kinder von verstorbenen Mitgliedern.
Die Gesuche mit Anaabe der Anzuhl der Kinder und ihres Al¬
ters sind bis längstens 20. November in der Vereinskanzlei,
Josefsgasse 2, abzugeben. Am 2. Dezember wird der Zinsenertrag
des Kaiser=Jullsumsfonds verteilt. Die Gesuche sind gleich¬
falls bis #u 20. November in der Vereinskanzlei zu hinter¬“
legen¬
drt.
9
7 Theater und Kunst.
H# H.F Brünner Stadttheater. Drei neue Einokter
— im Grunde nur gute alte Be¬
von Axtur Schnitzler
—
kannte. Es#ftec Entwicklung in Schnitzlers
Natur, keine stöft he oder formale Erweiterung in seinem
Schaffen. Immer der gleiche Gesichtskreis, wenn auch immer
virtuoser und subtiler ausgefüllt. Immer der gleiche inter¬
essante Fall, so recht eigentlich nur Schlußszenen, Ergebe.
nisse einer eingehenden — fast möchte man sagen „ärzt¬
lichen“ — Untersuchung. Das Wiener Milieu einer gewissen
Ecke, sentimentale Heiterkeit und lächelnde, schalkhafte Weh¬
mut, die gleiche Tonart, wie sie schon „Anatol“ einschlug.
Auch in der Form der alle Anatol; die gleiche Art der Cau¬
serie, der „dramatischen Novellette“. Und wohl auch wieder
Anatol und Max und das „süße Mädel“, die da über Ver¬
gangenheiten hinwegzukommen haben. Nür daß die jungen
Herren von damals inzwischen angegraute Fachsimpler, die
süßen Mädeln bürgerliche Ehefrauen geworden sind. Und
daß es ihnen darum vielleicht etwas schwerer wird, über
Vergangenheiten hinwegzukommen. Die „Komödie der
Worte“ ist komplizierter, schärfer, fintenreicher gewor¬
den, als in den Tagen des Junggesellenheims; raffinier¬
ter die Kunst der Verstellung, prunkvoller die Maske der
lügnerisch=hehlenden Worte. In dieser Kunst liegt auch hier
Schnitzlers Stärke; in den hundertfältigen Finten und Pa¬
raden des Dialogs, in seinen kecken und verblüffenden Wen¬
dungen, in seinen geistvollen Paradoxen. So daß uns die
Menschen selbst weniger interessieren, als ihre vorgenom¬
menen Masken. Wer könnte sich sonst etwa zu der erklügel¬
ten Psychologie des ersten der drei Einakter — „Stunde
des Erkennens“ — bekehren lassen? Zu diesem prak¬
tischen Arzt, dem geschlagene zehn Jahre tatsächlichster ehe¬
licher Gemeinschaft nur als Vorbereitung zum ehelichen
„Abschiedssouper“ dienen? Auch hier eine widerliche Aus¬
einandersetzung betrogener Betrüger, aber wie alltagsfremd
in ihren Voraussetzungen gegenüber dem „Abschiedssollper“—
des jüngeren Schnitzler! Aus den zahmen Verrenkungen
von einst ist ein unglaublich komplizierter Bruch geworden,
einer, an dem die Wissenschaft verzweifelt. Hier vermag
auch die Kunst eines Harry Walden kaum mehr hilf¬
reich einzugreifen; es bleibt etwas Ungelöstes, Unbefrie¬
digendes zwischen Bühne und Zuschauerraum — Abstrakt¬
Literarisches, das der lebendigen Wirkung enträt. Vollgriffig
gibt sich die „Große Szene“ des Schauspielers Konrad
Herbot. Hier sind alle Prämissen des Erfolges, eines großen
Erfolges, gegeben. Die Komödie der Worte in ihrer selbst.
herrlichsten Erscheinung, gleichsam auf heimischem Boden.
Sind Worte selbst die besten Komödianten, so werden sie es
erst recht im Munde des Lomödianten. So daß sie diesen
selbst betrügen, zu ihrem halbgläubigen Publikum machen
können. Konrad Herbot lügt sich je souverän in seine Not¬
lüge hinein, daß er nicht mehr heraus kann. Ein Gewohn¬
heitslügner, der sich selbst belügt. So meisterlich ist das
alles gegeben, wie es kaum die Wirklichkeit besser ver¬
möchte. Und nun — paßt dieser große Komödiant zu einer
kleinen Ehe? Bestenfalls zu einer Theaterehe, wie sie Kon¬
rod mit seiner Sophie zu führen scheint. Einer Ehe, die
sich nur aus Fehltritten, Auseinandersetzungen und Ver¬
zeihungen zusammensetzt. Man denke sich die Christine der
„Liebelei“ weniger ernst nehmend, und sie ware bielkeicht
eine Frau, wie Sophie, geworden. Eine eheliche Fortsetzung
des süßen Mädels, nichts weiter. Auch Anatols Max fehlt
nicht in dieser Ehe: Der einsichlige Theaterdirektor Falk,
der diese Ehe immer wieder einmal zusammenleimen hilft,
wenn sie am meisten auseinanderzugehen droht. Daß
Herbot ohne dieses Ehe gewordene „Verhältnis“ überhaupt
nicht mehr Komödie spielen kann, ist eine feine ironische
Wendung. Die „Große Szene“ ist auch eine solche Harry,
Waldens geworden. Eine unendliche, unbesiegbare Be¬
vom:
11 1975
B
—Theater und Kunst.
2
GKomödie der Worke.“) Drei Einakter von
Arlhye-Schler Der Titel scheint auf Gemein¬
sames im Ideengehalt der Einakter hinweisen zu wollen.
Im Grunde genommen entsprichl er nur dem zweiten,
werkvollsten Stück „Große Szene“, worin ein gewandter
Schauspieler sich Dank seiner überlegenen Rede= und
Schauspielkunst aus einer peinlichen Lage befreit. Die
beiden anderen Stücke sind „Komödien der Worke“ in¬
sofern, als man mehr oder minder jedem Thealerstück
diesen Untertitel beilegen könnte. Müssen wir uns doch
im gesellschaftlichen Leben mit den abgegriffenen Scheide¬
münzen der Worte begnügen, sie als Symbol für unsere
Gedanken und Gefühle gelten lassen. Auch auf dem
Theater. Hier lassen wir uns durch Worte und Gesten von
Scheingefühlen und einer Welt von verschwommenen und
ungeklärten Begriffen überzeugen und mitreißen. Ge¬
meinsam an den Einaktern ist, daß der Verfasser in allen
mit Ehebrüchen rechnet; eine Rechenmethode, die sich bis
auf den heutigen Tag in der Literatur als am einträg¬
lichsten erweist. „Stunde des Erkennens“ ist ein kunst¬
voll ineinandergeschachtelter, geistvoll geführter Dialog,
das „Bacchusfest“ hingegen etwas primitiv und dürftig
geraten. Die führenden Rollen spielle Herr Walden
vom Wiener Hofburgtheater virtuos, mit überlegener
Technik, nur mitunker etwas zu laut und vordringlich,
ohne Rücksicht auf seine Partner, die sich nicht dagegen
zu wehren vermochten, von ihm in Grund und Boden“.
gespielt zu werden.
S. E.
Ceechrurunge
Brünner Rellnen#und Markörverein. Wie alljährlie
wird auch heuer ene Weihnachtsbescherung veranstaltet, und zwar
für die Kinder bedürftiger Mitglieder, die zum Militärdienste
eingerückt sind, sowie für Kinder von verstorbenen Mitgliedern.
Die Gesuche mit Anaabe der Anzuhl der Kinder und ihres Al¬
ters sind bis längstens 20. November in der Vereinskanzlei,
Josefsgasse 2, abzugeben. Am 2. Dezember wird der Zinsenertrag
des Kaiser=Jullsumsfonds verteilt. Die Gesuche sind gleich¬
falls bis #u 20. November in der Vereinskanzlei zu hinter¬“
legen¬
drt.
9
7 Theater und Kunst.
H# H.F Brünner Stadttheater. Drei neue Einokter
— im Grunde nur gute alte Be¬
von Axtur Schnitzler
—
kannte. Es#ftec Entwicklung in Schnitzlers
Natur, keine stöft he oder formale Erweiterung in seinem
Schaffen. Immer der gleiche Gesichtskreis, wenn auch immer
virtuoser und subtiler ausgefüllt. Immer der gleiche inter¬
essante Fall, so recht eigentlich nur Schlußszenen, Ergebe.
nisse einer eingehenden — fast möchte man sagen „ärzt¬
lichen“ — Untersuchung. Das Wiener Milieu einer gewissen
Ecke, sentimentale Heiterkeit und lächelnde, schalkhafte Weh¬
mut, die gleiche Tonart, wie sie schon „Anatol“ einschlug.
Auch in der Form der alle Anatol; die gleiche Art der Cau¬
serie, der „dramatischen Novellette“. Und wohl auch wieder
Anatol und Max und das „süße Mädel“, die da über Ver¬
gangenheiten hinwegzukommen haben. Nür daß die jungen
Herren von damals inzwischen angegraute Fachsimpler, die
süßen Mädeln bürgerliche Ehefrauen geworden sind. Und
daß es ihnen darum vielleicht etwas schwerer wird, über
Vergangenheiten hinwegzukommen. Die „Komödie der
Worte“ ist komplizierter, schärfer, fintenreicher gewor¬
den, als in den Tagen des Junggesellenheims; raffinier¬
ter die Kunst der Verstellung, prunkvoller die Maske der
lügnerisch=hehlenden Worte. In dieser Kunst liegt auch hier
Schnitzlers Stärke; in den hundertfältigen Finten und Pa¬
raden des Dialogs, in seinen kecken und verblüffenden Wen¬
dungen, in seinen geistvollen Paradoxen. So daß uns die
Menschen selbst weniger interessieren, als ihre vorgenom¬
menen Masken. Wer könnte sich sonst etwa zu der erklügel¬
ten Psychologie des ersten der drei Einakter — „Stunde
des Erkennens“ — bekehren lassen? Zu diesem prak¬
tischen Arzt, dem geschlagene zehn Jahre tatsächlichster ehe¬
licher Gemeinschaft nur als Vorbereitung zum ehelichen
„Abschiedssouper“ dienen? Auch hier eine widerliche Aus¬
einandersetzung betrogener Betrüger, aber wie alltagsfremd
in ihren Voraussetzungen gegenüber dem „Abschiedssollper“—
des jüngeren Schnitzler! Aus den zahmen Verrenkungen
von einst ist ein unglaublich komplizierter Bruch geworden,
einer, an dem die Wissenschaft verzweifelt. Hier vermag
auch die Kunst eines Harry Walden kaum mehr hilf¬
reich einzugreifen; es bleibt etwas Ungelöstes, Unbefrie¬
digendes zwischen Bühne und Zuschauerraum — Abstrakt¬
Literarisches, das der lebendigen Wirkung enträt. Vollgriffig
gibt sich die „Große Szene“ des Schauspielers Konrad
Herbot. Hier sind alle Prämissen des Erfolges, eines großen
Erfolges, gegeben. Die Komödie der Worte in ihrer selbst.
herrlichsten Erscheinung, gleichsam auf heimischem Boden.
Sind Worte selbst die besten Komödianten, so werden sie es
erst recht im Munde des Lomödianten. So daß sie diesen
selbst betrügen, zu ihrem halbgläubigen Publikum machen
können. Konrad Herbot lügt sich je souverän in seine Not¬
lüge hinein, daß er nicht mehr heraus kann. Ein Gewohn¬
heitslügner, der sich selbst belügt. So meisterlich ist das
alles gegeben, wie es kaum die Wirklichkeit besser ver¬
möchte. Und nun — paßt dieser große Komödiant zu einer
kleinen Ehe? Bestenfalls zu einer Theaterehe, wie sie Kon¬
rod mit seiner Sophie zu führen scheint. Einer Ehe, die
sich nur aus Fehltritten, Auseinandersetzungen und Ver¬
zeihungen zusammensetzt. Man denke sich die Christine der
„Liebelei“ weniger ernst nehmend, und sie ware bielkeicht
eine Frau, wie Sophie, geworden. Eine eheliche Fortsetzung
des süßen Mädels, nichts weiter. Auch Anatols Max fehlt
nicht in dieser Ehe: Der einsichlige Theaterdirektor Falk,
der diese Ehe immer wieder einmal zusammenleimen hilft,
wenn sie am meisten auseinanderzugehen droht. Daß
Herbot ohne dieses Ehe gewordene „Verhältnis“ überhaupt
nicht mehr Komödie spielen kann, ist eine feine ironische
Wendung. Die „Große Szene“ ist auch eine solche Harry,
Waldens geworden. Eine unendliche, unbesiegbare Be¬