II, Theaterstücke 26, (Komödie der Worte, 1), Komödie der Worte, Seite 179

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26.1. Konoedie der Worte zyklus
Neuestn Nachtichten
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in den Typen der „Komödie der Worte“ darstellen, die sich durch
nichts, auch gar nichts von der großen Herde unterscheiden,
der Worte.
und nur in seinem dichterischen Mikroskop als dramatische Fi¬
Arthur Schnitzler.
guren erscheinen.
n Lessing=Theater.
Wer ist in der „Stunde des Erkennens“ tragisch,
der Gatte, die Frau oder der Dritte, der in diesem Falle einmal
das Tüpfelchen über dem i.
ausnahmsweise nicht der „gaudens“ ist. Der Gatte glaubt zehn
Alpha und Omega unseres ge¬
Jahre lang, daß sie ihn mit einem anderen betrogen hat. Er
en gar nicht, daß wir je nach
schweigt aber und weist sie erst aus seinem Leben, als seine
pielern, wir nehmen uns näm¬
Tochter sich vermählt hat. Nun hat sie ihn allerdings einmal
wenn uns dann ein Dichter
betrogen, aber nicht mit dem verdächtigen andern, sondern mit
igen wir uns an die Brust und
einem „ganz andern“, in dessen Arme sie sich ohne Liebe ge¬
ie „diese“. Man darf für diese
flüchtet hat, um dem „andern“ nicht aus Liebe zu verfallen.
allzu starke Worte wählen,
Und auf diesen verzwickten Irrgang ihrer Leidenschaft baut
Menschheit in dem berüchtigten
sie ihre Verteidigung auf, indem sie dem wahren Geliebten
nicht mit Steinen werfen darf.
gund nie Beglückten beichtet. Dann zieht sie es vor, zu sterben.
selbst nicht von Heuchelei und
Selbsttäuschung sprechen, die
Die „Große Szene“ ist einfacher, natürlicher und
aufgeputzt nud freundlich ge¬
brutaler. Ein Komödiant, der aus Gewohnheit und Natur¬
anlage Frauen gegenüber ein ausgemachter Hallunke ist, hat
sich an der Verlobten eines Andern vergangen. Er gelobt
en sich Schnitzler gewohnheits¬
seiner Gattin mit Krokodilstränen Besserung und phantasiert
wie arglose Gemüter annehmen
von Wahrheit und Ehrlichkeit große Stücke. Fünf Minuten
sind ganz gewöhnliche Durch¬
später muß seine Frau Zeugin sein, in wie abgefeimt=nieder¬
htigkeit gegen sich selbst dank
trächtiger Weise er den armen Betrogenen, der ihn auf Ehre
dem Nullpunkt steht, und die
und Gewissen nach den Beziehungen zu seiner Braut fragt,
enscheinige Ethik zu bemänteln,
mit Hilfe eines abgekarteten Briefes und unter Aufbietung
en. Hallunken, die absichtlich
aller Kulissenreißereien übers Ohr haut. Er spielt die „Ko¬
n, gibt es natürlich auch, aber sie
mödie der Worte“ bis zur äußersten Konsequenz. Er betrügt
hnliche Verbrecher. Die Brüchig¬
und belügt seine Frau und schwatzt ihren Abscheu in Grund
eine Folge der nur äußerlich
und Boden, und führt eine ganze Tragikomödie auf, um sie
baar Menschen, die über diesem
wieder dumm zu machen. Schön ist dieser Blick in die Welt
ch durch Schnitzlers Peitschen¬
des Theaters nicht, aber echt, unangenehm echt!
nd die Anderen, die es angeht,
e damit gemeint sind und gar
Um vieles geschraubter ist „Das Bacchus=Fest“
ücksicht auf die schlechte Zenfur,
Hier klügelt Schnitzler wieder einmal gründlich herum und
# bessern. Man könnte darum
dreht und poliert, bis alles in Grund und Boden gewirt¬
licht müßig und überflüssig ist,
schaftet ist. Er läßt hier die „Komödie der Worte“ spielen,
ur das wiedergeben, was auch
wo sie in keinem Punkte am Platze ist. Ein Schriftsteller,
es ist eben der Witz, daß das
dessen Gattin sich während seiner wochenlangen Ab¬
neuen Werk Schnitzlers darüber
wesenheit mit einem Stubengelehrten getröstet hat, be¬
schen gibt, und sich dabei glän¬
gnügt sich trotz seiner Wut damit, den Störer seines
ehelichen Friedens mittels seiner überlegenen „Dialek¬
und Darstellungskreis ist ein
tik“ hinauszuekeln, statt ihm und der Treulosen ein paar
für die Leute, wie sie sich auch bedeutende Ohrfeigen zuteil werden zu lassen. In diesem

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Punkt nämlich hat Schnitzlers Ehebruchs=Psychologie einen
Bruch. Der betrogen Teil pflegt sonst, sofern auch bei sonstiger
eigener Untreue der zur Erörterung stehende Fall für ihn
gunstig liegt, die „Komödie der Tat“ der „Komödie der
Worte“ vorzuziehen. Das Ende des Wortstreits ist das gegen¬
seitige Bekenntnis der Ehegatten, daß sie sich hassen. Aber
diese Beteuerung ist nicht ernst gemeint, denn die beiden
Musterexemplare werden bei ihrer wenig erbaulichen
Moral sich fünf Minuten später wieder gerührt in die Arme
sinken.
Bassermann war in allen drei Stücken auf der Höhe
seiner Künstlerschaft. Die beiden betrogenen Gatten spielte er
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meisterhaft, als betrugender feierte er einen Triumph=sonder¬
gleichen, und das mit Recht. Seine große Wandlungsfähig¬
keit, die ihn den etwas mürben Dr. Eckold des ersten Einakters
und den überlegen zynischen Schriftsteller Staufner im „Bac¬
chus=Fest“ gleich eigenartig und packend gestalten ließ, schim¬
merte in der „Großen Szene“ in den tausend „Nuancen“, die
der ewig schauspielernde und seine eigene Komödie glaubende
Histrione auf Lager hat. Vor 25 Jahren behauptete man
nicht leben zu können, ohne Barnays „Kean“ gesehen zu
haben; ich behaupte, daß er öde Kulissenreißerei gegen
Bassermanns Konrad Herbot gewesen ist. In der
„Stunde des Erkennens“ spielten Max Landa und Lina
Lossen die Partner gleichwertig gut. In dem Schauspieler¬
stück sekundierte Else Bassermann dem Gatten mit
ihrer immer reifer werdenden Künstlerschaft, während Loos
und Forest sich dem Ganzen sehr geschickt und wirkungsvoll
einfügten. Im „Bacchus=Fest“ versagte Traute Dumcke¬
Carlsen neben Bassermann und dem wie immer ausge¬
zeichneten Götz.
Das Publikum nahm den ersten und dritten Einakter mit
Achtung auf, bejubelte aber die handfeste „große Szene“
stürmisch, so daß Schnitzler sich mehrmals dankend verneigen
konnte. Er hatte übrigens vorher eine große Aufregung zu
überstehen. Im zweiten Stück wäre es beinahe zu einer Panik
gekommen. Es ließ sich ein rätselhaftes, immer stärker werden¬
des Zischen vernehmen, worauf eine sehr ängstliche Dame das
Theater verließ. Dann begann ein Köpfedrehen, ein Murmeln,
ein Aufstehen! Der Versuch, hinauszudrängen, wurde glücklich
dadurch verhindert, daß ein bekannter „Premiérenlöwe“ herz¬
haft rief: „Sitzenbleiben — Sitzenbleiben!“, worauf der Vor¬
hang niederging und das Publikum in größter Aufregung der
Dinge, die da kommen sollten, harrte. Endlich steckte ein
schüchterner Feuerwehrmann den Kopf durch die Vorhangspalte
und meinte mit piepsendem Diskant: „Sitzenbleiben — die
Max Schievelkamp.
Heizung!“