II, Theaterstücke 26, (Komödie der Worte, 1), Komödie der Worte, Seite 290

Theater und Kunft.“
„Komödie der Worte“.
Zur heutigen Erstaufführung von Schnitzlers¬
„Komödie der Worte“ im Nellen Deutschen
Theater.
Es kommt auf die Dosis der Skepsis an, was
Worte bedeuten können. Dem einen sind sie nur
Lügen, um die eigenen Gedanken verbergen zu
können, dem andern Mißverständnis, einem drit¬
ten Uoberzeugung, die sich selbst betrügt, einem
vierten Notbehelf. Für alle aber sind Worte eine
Umgangsmünze, die den unbeständigsten Kurs hat.
Man empfängt Gold und hält über Nacht Kohle
in der Hand. Zuweilen, das ist der Fall des Dich¬
ters, werden Worte, die vertrocknetes Laub schie¬
nen, seltsam lebendig und wach, werden Blüten im
Mai ... Es gab einmal einen Dichter Schnitzler,
der diese Macht über die Worte hatte. Das Ge¬
heimnis seiner Kraft schien so einfach wie unlös¬
bar. Er fädelte die toten Begriffe auf eine Schnur,
nebeneinander, da wurden sie auf einmal zu einer
Perlenkette. Aus der Addition wurde eine kom¬
plizierte Rechnund. Das war die melancholische
Welt Schnitzlers, bei aller Sparsamkeit an Hori¬
zont und Perspektive reich und tief, eine Episode
konnte einen Schacht von Heimlichkeiten, ein Vor¬
fall eine Tragädie enthüllen. Er war ein hypno¬
tischer Magier, dem man ohne Sträuben folgte.
Denn er besaß den Schlüssel zu dem Märchenwald,
in dem alle Dichter spazieren gehen.
Nun ist wieder eine Einladung ergangen. Aber,
mir scheint es ist nicht ganz mehr der alte Mär¬
chenwald. Der Frühling ist verflogen, die Linden¬
blüte duftet nicht mehr, das Flüstern in den Zwei¬
gen ist erstorben, die Vögel sitzen stumm, wie aus¬
gestopft und die Blätter sind gläsern. Es blühen
wohl schöne Blumen, vielleicht seltsamere als frü¬
her, aber es scheint, als wären sie bloß nachgemacht.
Auch die Sonne ist kalt und grell, als hätte sie ein
Künstler am Firmament aufgeklebt. — Schnitzler
ist immer kühler und kühler geworden.
In der „Komödie der Worte“ ist seine Hand
ganz eisig kalt. Diese drei Stücke sind durchsichtig
wie Glas und kühl wie Septemberwind. Sie sind
die Kompositionen eines feinen Mechanikers, der
eine virtuose, leichte Hand und ein klares Auge hat.
Das, was sie bringen, ist eine „tranche de vie,
eine Sektion ohne Herz und Skrupel, die keine ver¬
wegenen Aufschlüsse geben will. Ihre Ergebnisse
werden mit gedämpfter Ixonie, die beinahe Gleich¬
gültigkeit ist, vorgetragen. Die Worte fallen so
leicht, als trüge sie ein Wind und zerflattern ein
wenig monoton; die Probleme sind gerade nur an¬
geschitten, als sollten sie rasch wieder liegen ge¬
lassen werden. „Komödie der Worte“ wird zwei¬
m algespielt. Einmal vom Dichter selbst und dann
erst vom Theater.
„Stunde des Erkennens“ ist die Ge¬
schichte eines Geheimnisses. Eine Diskussion um
einen Chebruch, die um zehn Jahre zu spät kommt.
Der betrogene Gatte öffnet nach so langer Zeit
den Mund, um zu verraten, daß das vor ihm ge¬
hütete Geheimnis nie eines war. Dieser Einakter
ist also eigentlich eine Komödie des Schweigens, das
eine Ehe wohltätig zusammenhielt. — „Die
sgroße Szene“ ist die Lüge eines Komödianten,
die von Wahrheit nicht mehr zu unterscheiden ist.
Er lügt so verwegen, daß selbst seiner Frau un¬
heimlich wird. Ein Theaterdirektor leimt den
Bruch zusammen; wie unappetitlich müßte einer
lügen, damit diese Che geschieden würde?! — Der
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dritte Einakter: „Das Bacchusfest“, ist die
Laune einer Frau in die Form einer Debatte ge¬
bracht, an der sich drei beteiligen: die Frau, der
Dichter, den sie nach fünfJahren Ehe verläßt und
der Dritte. Dieser Dritte ist ein häßlicher Blöd¬
sinn und vielleicht nur darum ein Ehevergister
von beschränkter Frist.
Die ersten beiden Stücke haben ihre Wirksam¬
keit bewiesen, die Plauderei „Das Bacchusfest“ ist
wohl mehr Literatur als Theaterstück. Allen drei
Akten aber täte ein wenig Wärme wohl. Vielleicht
gelingt es der Darstellung, die Temperatur zu
korrigieren. Es war eines von Schnitzlers Rätseln,
daß den Schauspielern eine Art Anteil am Werk
gebührte. Es galt einen Rest auszufüllen, der dem
Inhalt die Vollendung gab. Das war freilich der
wärmere Schnitzler. Ob hier die Schauspieler so¬
viel Glut aufbringen, bleibt eine Frage bis zum¬
Abend.
—.—
Ausschnitt aus:
Flager Iogblatt, Prag
vom:
Z7OE21915
Theater undheunss.
Komöbie der Worte.
Drei Einakter von Au
Am Samstag im Neuen Theater.
Die drei neuen Einakter Artur Schnitzlers
haben das Publikum amüsiert. Das letzte Wort
klingt in seiner Umgebung wohl etwas fremd, aber
nicht böse. Ein sanftes Geständnis ist fast gewichts¬
los gegen den Dichternimbus und die bessere von
zwei Möglichkeiten. Die andere heißt Verschweigen
und Schnitzler ungerecht werden. Die Darstellung
tat ihre volle Schuldigkeit und machte die Stücke
lebendig. Aber seltsam, je mehr das geschieht, desto
mehr büßen diese ein. Als Lektüre hat das Un¬
wahrscheinliche ihrer Motive immerhin etwas Pro¬
blematisches, scheint eine diskutable Welt, die uns
undeutlich, wie durch einen Schleier sichtbar wird.
Wird die Oplik schärfer, dann wird indessen das
Mißtrauen, das man der Distanz zuschob, zur Ent¬
täuschung. Was sphinxhaft schien, wird konstruierte
Fragenstellung, was rätselhaft über den Vorgängen
lag, bescheidet sich zu dürren Zweifeln. Was irgend¬
wie im ganzen poctisch behaucht schien, zerfällt in
kühle Auftritte und Abgänge: Disjecta membra
poctae. Es bleibt soviel, daß sich das Publikum
amüsiert.
Noch eiwas: Im Zuschauerraum wurde mehr
gehustet, als auf der Bühne gesprochen wurde. Eine
kleine, sich lohnende Dissertation über den Theater¬
husten könnte erweisen, daß es außer Kamillentee
noch ein Mittel gegen ihn gibt...
Die „Große Szene“ ist das Beste von den drei
Stücken. Den Talma in neuer Auflage (auch
Delobelle Ekdal, Kean u. s. f.) spielte Herr Paul
Becker, der sich übrigens in alle drei Rollen aus¬
gezeichnet hineinfand, mit Bravour, triesendem
Pathos, Schmieren=Gigantomachie und dem an¬
deren, üblen Beiwerk, ohne in Unappetitlichkeit
auszurutschen. Seine Frau, die gerade auch nicht
untheatralisch ist, Frl. Medelsk# Dey ab¬ #
A
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gehärteten Theaterdirektor gab Herr Bogyan¬
sky. In einer kleinen Episodenrolle fiel Fräulein
Newes angenehm auf. — „Stunde des Erken¬
nens“: Frl. Hübner suchte mit viel Glück die
Komponenten zusammen, aus denen Frau Klara
besteht: Empfindlichkeitsadel und Gemütsplump¬
heit. Der literarische Nachtisch „Das Bacchusfest“
wurde angenehm serviert: Frl. Helene Ries,
Herr Becker und Herr Hening besorgten die
ein wenig disreputierliche Plauderei, indessen ein
freundlicher Bahnhofsportier (Herr Hofer) die
Stationen, Strecke Wien—Salzburg, ausrief. Der
cholerische Schlußanfall des Schriftstellers fiel gleich
gleich einer Bombe in die Beschaulichkeit der Szene.
Doch war es keine Eisbombe, wie es sich für ein
Dessert gebührte. Die Regie (Fritz Bondy) ver¬
riet eine zärtliche Hand; der Abend hatte viel
Beifall.
w. t. „
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