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26.1. Konoedie der NorteZyklus
sechnitt aug: Tläger Tagblatt, Prag
GorziolS
in:
Theater und Kunst. ?4
„Komödie der Worte“.
Zur heutigen Erstaufführung von Sch
„Komödie der Worte in Reuen Deulschen
Theater.
Es kommt auf die Dosis der Skepsis an, was
Worte bedeuten können. Dem einen sind sie nur
Lügen, um die eigenen Gedanken verbergen zu
können, dem andern Mißverständnis, einem drit¬
ten Ueberzeugung, die sich selbst betrügt, einem
vierten Notbehelf. Für alle aber sind Worte eine
Umgangsmünze, die den unbeständigsten Kurs hat.
Man empfängt Gold und hält über Nacht Kohle
in der Hand. Zuweilen, das ist der Fall des Dich¬
ters, werden Worte, die vertrocknetes Laub schie¬
nen, seltsam lebendig und wach, werden Blüten im
Mai ... Es gab einmal einen Dichter Schnitzler,
der diese Macht über die Worte hatte. Das Ge¬
heimnis seiner Kraft schien so einfach wie unlös¬
bar. Er fädelte die toten Begriffe auf eine Schnur
nebeneinander, da wurden sie auf einmal zu einer
Perlenkette. Aus der Addition wurde eine kom¬
plizierte Rechnund. Das war die melancholische
Welt Schnitzlers, bei aller Sparsamkeit an Hori¬
zont und Perspektive reich und tief, eine Episode
konnte einen Schacht von Heimlichkeiten, ein Vor¬
fall eine Tragädie enthüllen. Er war ein hypno¬
tischer Magier, dem man ohne Sträuben folgte.
Denn er besaß den Schlüssel zu dem Märchenwald,
in dem alle Dichter spazieren gehen.
Nun ist wieder eine Einladung ergangen. Aber,
mir scheint, es ist nicht ganz mehr der alte Mär¬
chenwald. Der Frühling ist verflogen, die Linden¬
blüte duftet nicht mehr, das Flüstern in den Zwei¬
gen ist erstorben, die Vögel sitzen stumm, wie aus¬
gestopft und die Blätter sind gläsern. Es blühen
wohl schöne Blumen, vielleicht seltsamere als frü¬
her, aber es scheint, als wären sie bloß nachgemacht.
Auch die Sonne ist kalt und grell, als hätte sie ein
Künstler am Firmament aufgeklebt. —
Schnitzler
ist immer kühler und kühler geworden.
In der „Komödie der Worte“ ist seine Hand
ganz eisig kalt. Diese drei Stücke sind durchsichtig
wie Glas und kühl wie Septemberwind. Sie sind
die Kompositionen eines feinen Mechanikers, der
eine virtnose, leichte Hand und ein klares Auge hat.
Das, was sie bringen, ist eine „trauche de vie“,
eine Sektion ohne Herz und Skrupel, die keine ver¬
wegenen Aufschlüsse geben will. Ihre Ergebnisse
werden mit gedämpfter Ironie, die beinahe Gleich¬
gültigkeit ist, vorgetragen. Die Worte fallen so
leicht, als trüge sie ein Wind und zerflattern ein
wenig monoton; die Probleme sind gerade nur an¬
geschitten, als sollten sie rasch wieder liegen ge¬
lassen werden. „Komödie der Worte“ wird zwei¬
m algespielt. Einmal vom Dichter selbst und dann
erst vom Theater.
„Stunde des Erkennens“ ist die Ge¬
schichte eines Geheimnisses. Eine Diskussion um
einen Chebruch, die um zehn Jahre zu spät kommt.
Der betrogene Gatte öffnet nach so langer Zeit
den Mund, um zu verraten, daß das vor ihm ge¬
hütete Geheimnis nie eines war. Dieser Einakter
ist also eigentlich eine Komödie des Schweigens, das
eine Ehe wohltätig zusammenhielt. —
—„Die
große Szene“ ist die Lüge eines Komödianten,
die von Wahrheit nicht mehr zu unterscheiden ist.
Er lügt so verwegen, daß selbst seiner Frau un¬
heimlich wird. Ein Theaterdirektor leimt den
Bruch zusammen; wie unappetitlich müßte einer
llügen, damit diese Che geschieden würde?!
— Der
dritte Einakter: „Das Bacchusfest“ ist die
Laune einer Frau in die Form einer Debatte ge¬
bracht, an der sich drei beteiligen: die Frau, der
Dichter, den sie nach fünfJahren Ehe verläßt und
26.1. Konoedie der NorteZyklus
sechnitt aug: Tläger Tagblatt, Prag
GorziolS
in:
Theater und Kunst. ?4
„Komödie der Worte“.
Zur heutigen Erstaufführung von Sch
„Komödie der Worte in Reuen Deulschen
Theater.
Es kommt auf die Dosis der Skepsis an, was
Worte bedeuten können. Dem einen sind sie nur
Lügen, um die eigenen Gedanken verbergen zu
können, dem andern Mißverständnis, einem drit¬
ten Ueberzeugung, die sich selbst betrügt, einem
vierten Notbehelf. Für alle aber sind Worte eine
Umgangsmünze, die den unbeständigsten Kurs hat.
Man empfängt Gold und hält über Nacht Kohle
in der Hand. Zuweilen, das ist der Fall des Dich¬
ters, werden Worte, die vertrocknetes Laub schie¬
nen, seltsam lebendig und wach, werden Blüten im
Mai ... Es gab einmal einen Dichter Schnitzler,
der diese Macht über die Worte hatte. Das Ge¬
heimnis seiner Kraft schien so einfach wie unlös¬
bar. Er fädelte die toten Begriffe auf eine Schnur
nebeneinander, da wurden sie auf einmal zu einer
Perlenkette. Aus der Addition wurde eine kom¬
plizierte Rechnund. Das war die melancholische
Welt Schnitzlers, bei aller Sparsamkeit an Hori¬
zont und Perspektive reich und tief, eine Episode
konnte einen Schacht von Heimlichkeiten, ein Vor¬
fall eine Tragädie enthüllen. Er war ein hypno¬
tischer Magier, dem man ohne Sträuben folgte.
Denn er besaß den Schlüssel zu dem Märchenwald,
in dem alle Dichter spazieren gehen.
Nun ist wieder eine Einladung ergangen. Aber,
mir scheint, es ist nicht ganz mehr der alte Mär¬
chenwald. Der Frühling ist verflogen, die Linden¬
blüte duftet nicht mehr, das Flüstern in den Zwei¬
gen ist erstorben, die Vögel sitzen stumm, wie aus¬
gestopft und die Blätter sind gläsern. Es blühen
wohl schöne Blumen, vielleicht seltsamere als frü¬
her, aber es scheint, als wären sie bloß nachgemacht.
Auch die Sonne ist kalt und grell, als hätte sie ein
Künstler am Firmament aufgeklebt. —
Schnitzler
ist immer kühler und kühler geworden.
In der „Komödie der Worte“ ist seine Hand
ganz eisig kalt. Diese drei Stücke sind durchsichtig
wie Glas und kühl wie Septemberwind. Sie sind
die Kompositionen eines feinen Mechanikers, der
eine virtnose, leichte Hand und ein klares Auge hat.
Das, was sie bringen, ist eine „trauche de vie“,
eine Sektion ohne Herz und Skrupel, die keine ver¬
wegenen Aufschlüsse geben will. Ihre Ergebnisse
werden mit gedämpfter Ironie, die beinahe Gleich¬
gültigkeit ist, vorgetragen. Die Worte fallen so
leicht, als trüge sie ein Wind und zerflattern ein
wenig monoton; die Probleme sind gerade nur an¬
geschitten, als sollten sie rasch wieder liegen ge¬
lassen werden. „Komödie der Worte“ wird zwei¬
m algespielt. Einmal vom Dichter selbst und dann
erst vom Theater.
„Stunde des Erkennens“ ist die Ge¬
schichte eines Geheimnisses. Eine Diskussion um
einen Chebruch, die um zehn Jahre zu spät kommt.
Der betrogene Gatte öffnet nach so langer Zeit
den Mund, um zu verraten, daß das vor ihm ge¬
hütete Geheimnis nie eines war. Dieser Einakter
ist also eigentlich eine Komödie des Schweigens, das
eine Ehe wohltätig zusammenhielt. —
—„Die
große Szene“ ist die Lüge eines Komödianten,
die von Wahrheit nicht mehr zu unterscheiden ist.
Er lügt so verwegen, daß selbst seiner Frau un¬
heimlich wird. Ein Theaterdirektor leimt den
Bruch zusammen; wie unappetitlich müßte einer
llügen, damit diese Che geschieden würde?!
— Der
dritte Einakter: „Das Bacchusfest“ ist die
Laune einer Frau in die Form einer Debatte ge¬
bracht, an der sich drei beteiligen: die Frau, der
Dichter, den sie nach fünfJahren Ehe verläßt und