II, Theaterstücke 26, (Komödie der Worte, 1), Komödie der Worte, Seite 364

26. 1. Kongedie der NorteZyklus
Nr. 120.
Erstes Beiblatt.
„Komödie der Worte.“
Schnitzlers drei Einakter in den
Kammerspielen.
Albert Bassermann, der Gast, gibt jetzt
den Kammerspielen ein Repertoire. Salten,
Strindberg, Schnitzler. Schade, daß er ihm auch
nicht gleich ein Ensemble mitbringt. Aber in
einer Umgebung, die sich ihm leidlich anzupassen
sucht und über die er sich nicht virtuosisch hinaus¬
bläht, weil er zu solch eitlem Tun viel zu sehr
wahrer Künstler ist, entbindet er die ganze un¬
gebrochene Kraft und unverblichene Herrlichkeit
seines Naturells. Und das Publikum, entzückt
von der prächtigen Unmittelbarkeit dieses We¬
sens, rast (nach dem zweiten Stück der un¬
gleichen Drei) vor Vergnügen und ruft den star¬
ken Könner ein halb Dutzendmal.
Was er bringt, ist alles schon gestrig, pati¬
niert von Erfolgen, die gewesen sind. Aber in
dem zweiten Stückchen der Einakterreihe, die vor
fast zehn Jahren im Lessingtheater neu war, der
„Großen Szene“ spielt er den großen
Mimen Konrad Herbot, dem die Weiber nach¬
laufen, der die Braut eines braven jungen
Mannes verführt hat und dem armen Teuferl
die Hucke voll lügt, wie keusch alles zugegangen
ist und was für ein tadelloses, unberührtes Ge¬
schöpf er ins Ehebett bekommt.
Schnitzler hat hier das Theater im Leben,
das Spielen mit großen Worten und Gefühlen,
die wilde Wellen schlagende Seele verwöhnter
Mimen sehr amüsant durchleuchtet. Es ist schon
reizvoll lustig, wenn der große Mime mit
einem Riesenapaprat von Worten, Sentimentali¬
täten, dreisten Lügen, pathetischen Posen, dem
Bräutigam allen Verdacht ausredet und so lange
lügt, bis er selber die Lüge für Wahrheit hält.
Ich habe es nicht vergessen, wie Bassermann
diesen Hofschauspieler Herbot damals im
Lessingtheater spielte. Mit voller Gelöstheit einer
unstörbaren Laune, herrlich in natürlicher
Jungenhaftigkeit, wirblich, strahlend in aus¬
brechendem Uebermut. Das ist alles so geblieben,
in Idee, Kontur, Rhythmus und Elan. Nur daß
er jetzt, im Vollgefühl, gerade in dieser Rolle un¬
widerstehlich zu sein, sich zuweilen tiefer hinein¬
kniet als nötig und etwas aufträgt. Paul Bildt
führt Regie, und er hat eine kluge Hand, aber !
er hätte seinem Oberkollegen Bassermann doch
sagen dürfen:
„Du, Albert, hier machst du ein bißchen zu¬
viel, übertreibe nicht, du bist ein so herrlicher
Kerl, daß du das gar nicht brauchst! Sei wie
du bist, und du bist mehr als alle!“
Nun, das hat er ihm nicht gesagt, und Basser¬
mann, vom Zügel losgerissen, übersprudelt und
überschäumt. Aber: das ist eben Reichtum, Basser¬
mann kann viel zu viel geben und sich doch nicht
ausgeben. Es bleibt eine starke Freude auch so,
einen ganz Großen, den wir heute noch haben
und den wir hochhalten sollen, so aus voller
Lust und mit restloser Beherrschung aller Mittel
echtes und rechtes Theater spielen zu sehen. Das
gibts nicht alle Tage, das gehört zu den Festen.
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Neben ihm wirkt denn alles wie Notbehelf.
Herr Nunberg etwa, der den Theaterdirektor
spielt, den einmal Carl Forest so kühl=sarkastisch
als eine Art von hochblondem Otto Brahm gab.
Else Bassermann, noch immer undeutlich im
Sprechen, ist aber diesmal einfach und zurück¬
haltend diskret.
Dieses in die Mitte gestellte Stückchen,
bester Schnitzler, aus des Dichters glücklichen
Tagen, ist umrahmt von zwei schwachen, aus
der Routine erwachsenen und schon schlissig ge¬
wordenen Einaktern: „Stunde des Erken¬
nens“ und „Das Bachusfest“ Auch sie
gelten, dem allen dreien gemeinsamen Thema von
den Worten, die um die Dinge herumgehen,
oder dem Verschweigen, in dem zuweilen eine
Tat von fortwirkender Bedeutung liegen kann.
Im ersten gibt Bassermann jenen gehörnten
Gatten, der zehn Jahre schwieg und tat als wisse
er nichts vom Ehebruch seiner Frau. Bis er den
Augenblick der Abrechnung gekommen sieht, in
dem er der Frau sagen kann, daß sie zehn Jahre
hindurch seine Zärtlichkeiten falsch gedeutet hat,
daß sie ihm nichts weiter gewesen ist als eine
Kokotte. Das Geschichtchen ist reine Konstruk¬
tion, die Lebenswahrscheinlichkeit dünn. Bas¬
sermann als der Gatte, der seine Rache so
eiskalt genießt, daß er sich fast den Magen
erkälten mag, gibt einen vollbärtigen Pedanten
mit hartem bebrilltem Gesicht. Kalt, messer¬
scharf und zynisch bis zur Widerwärtigkeit. Die
Frau neben ihm: Julie Serda in milder Ge¬
lassenheit. Dann im letzten, mageren Stückchen,
dem „Bachusfest", ist Bassermann der in
Tirol herumbummelnde Gatte, der seine mit
einem jungen Gecken entlaufene Frau zurück¬
erobert. In festem Umriß hält er die Gestalt,
ohne Zutat, karg und deswegen um so reicher.
Norbert Falk.
Kassen — küssen lassen — geküßt werden.
Mit den subtilsten Unterschieden des Kusses
hatte sich das Wiener Oberlandesgericht kürzlich
in einem Ehescheidungsprozeß zu befassen. Die
Ehefrau Berta D. bgehrte die Scheidung ihrer
Ehe, weil ihr Gatte Franz D. angeblich ein
Mädchen geküßt habe. Der Gatte behauptete
jedoch, daß der von den Zeugen bestätigte Tat¬
bestand trüge, er habe nicht geküßt, sondern er
sei geküßt worden. Dies sei ein wesentlicher
Unterschied. Niemand könne dafür verantwort¬
lich gemacht werden, wenn sich ein paar fremde
Lippen den eigenen allzu bedrohlich näherten.
Hierauf neuerliche Zeugenvernehmung mit
Eid und weitläufigem Protokoll und schließlich
das Urteil: Franz D. habe wohl nicht geküßt,
sei jedoch auch nicht geküßt worden, sondern habe
sich küssen lassen. Und dafür sei er ver¬
antwortlich, denn Sünde dulden sei in diesem
Falle nicht besser als selbst sündigen. Damit
war der pikante Rechtsfall entschieden und die
Scheidung der Ehe aus dem alleinigen Ver¬
schulden des Gatten ausgesprochen. Also: nicht
küssen lassen!
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