II, Theaterstücke 26, (Komödie der Worte, 1), Komödie der Worte, Seite 384

26.1. Kongedie der Norte— Zyklus
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ADOLF SCHUSTERMANN
ZEITUNGSNACHRICHTEN-BUREAU
BERLIN SO 16, RUNGESTR. 22-24.
Zeitung:
Adyesse: ## Welt am Mentag, Darlee
Al 128
Datum:
„Theater und Musik.
Bassermann und Moissi.
kammerspiele und Deutsches Theater.)
Diese beiden Künstler an zwei aufeinanderfolgenden
Abenden zu sehen, gibtEinblick in zwei get ennte künstlerische
Oelten. Hier Fozm, da Farbe; der eine tragend, gliedernd,
herrschend; den ##dre t#nend, schwingend, gleitend. Die über¬
legene Kraft ist bei Bassermann. Er füllt das Theater
körperhaft, während von Moissi nur ein Klang bleibt.
Von den drei Einaktern, die Schnitzler unter dem
Titel „Komödie der Worte“ vereinigt, haben zwei
(„Stunde des Erkennens“ und „Ein Bachusfest“) bereits
einigen Staub angesetzt. Ihre Dialektik sunkelt nicht mehr,
ihre lyrische Begleitmelodie klingt matt. Die beziehungsreiche
Charakterisierungskunst allein trägt sie noch — vorausgesetzt,
daß ein Gestalter von stärkster Substanz die Einzelzüge
machtvoll zusammenfaßt. Dann freilich tauchen Gesichter
von erschüternder Lebensechtheit auf: das des nur „tüchti¬
gen“ Menschen, das durch eine jahrzehntlang sorgsam gehegte
Rachsucht zur Maske erstarrt ist und in der entscheidenden
Stunde seine ganze fratzenhafte (weil bürgerlich und daher
subaltern fundierte) Grausamkeit entblößt; oder das des
unbedingt überlegenen Künstlermenschen, der, durch Er¬
kenntnis gereift, das Schicksal meistert. Es ist schwer, gegen
so überzeugende Gestaltungen anzuspielen. Julie Serda
bot im ersten Stück eine Leistung, die aus übervollem Herzen
quoll; im andern führten Anni Mewes und Werner Holl¬
mann ihr hübsch=gespitztes Doppelspiel auch nach dem Ein¬
tritt Bassermanns mit Haltung weiter.
Den Schwerpunkt des Abends bildete die „Große
Szene“. Hier sprudelt das Leben noch aus dem Vollen;
Der große Komöbiant ist von Schnitzler selbst mit einem ge¬
wissen Uebermut angelegt, ohne allzu ängstliches Ausmessen.
Bassermann konnte sich ganz ausleben, in einer geradezu fest¬
lichen Fülle, ein Glückskind des Geschicks, naiv und verlogen
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zugleich, aber diese Doppelseitigkeit seines Daseins harmonisch
einend in der herrlichen Souveränität des Spiels. Die
willige Einstellung der Mitspieler (Else Bassermann,
Gien, Runberg) rundeten den Einakter unter Bildt's
Spielleitung zu einer hinreißenden kleinen Komödie.
Schnitzlers „Paracelsus“ bewegt sich auf der
Grenzlinie zwischen Wirklichkeit und Geheimnis, die einmal
die bevorzugte Balanzierstrecke des Wiener Dichters war.
Für die Familie des Waffenschmieds Cypriom sind die
psychoanalytischen Errungenschaftig Freuds, die sie durch den
berühmt=berüchtigten Theophrastus Bombastus Hohenstein,
genannt Paracelsus, am eigenen Leibe erfahren, neu und
höchst überraschend. Moissi ist der Wundermann, der auf
fremder Seele spielt wie auf einem Instrument: seine ein¬
schmeicheinde Suggestivität, die mit jedem Wort und jeder
Bewegung förmlich zielt, wirkt unwiderstehlich, obwohl man
ihr jezuweilen die Absicht anzumerken scheint. Aber diese
Absicht stört nicht, sie scheint ganz als Teil seines Wesens,
und sie wird sogar zum Reiz, wenn sie auf eine Partnerin
wie die Stobrawa trifft, die ganz Hingabe und Auf¬
nahme sein kann und zu den seltnen Darstellerinnen gehört,
deren Physis sich völlig zu lösen vermag. Hier erreichte das
Zusammenspiel etwas Sublimes, während das Ensemble
(unter Gerners Leitung, mit guten Typen Brandts,
Amendts, Rittas und Grete Moosheims sich auf
der braven Durchschnittlichkeit eines — freilich sehr guten —
Fulda hielt.
In der kleinen dramatisierten Kalendergeschichte Tol¬
stois „Er ist an allem schuld“ (wobei unter „Er“
der Schnaps zu verstehen ist) gibt Moissi einem Landstreicher,
der wie ein etwas zerzauster, aber lustiger und bunter Vogel
in die Enge eines Bauernhauses geflattert kommt. Er singt
auch, und seine Weise mengt aufs drolligste angelernte Töne
in den Naturlaut. Einmal aber, zum Schluß, kommt eine —
Erschütterung: wenn dieser gehetzte arme Teufel das stibitzte
Gut wiedergibt und reumütig=still verschwindet. Dann bleibt
von ihm wahrhaftig ein feiner, dünner, aber unvergeßlicher
Glanz zurück in dieser Bauernstube mit ihrem derben Le¬
ben, das in Brandt und Johanna Terwin kräftig=ein¬
dringliche Darstellung fand.
Hans W. Fischer.