II, Theaterstücke 26, (Komödie der Worte, 1), Komödie der Worte, Seite 468

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X H. Andeis.
Der neue Schnitzler.
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wemäkter: Stunde des Erkennens; Große Szene;
(Komödie#
Das Bacchusfest. Erstaufführung im Burgtheater am 12. Oktober 1915.)
Der neue Schnitzler ist auch der alte Schnitzler. Als dramatische
Figuren erscheinen ein Arzt, ein Schauspieler, ein Schriftsteller.
Damit ist die Luft, die Atmosphäre der Schnitzlerischen Männer¬
welt ein für alle Male gegeben. Es sind Menschen, denen das
Wort leicht wird, die viel und gern von sich aussagen und deren
gescheite Anmerkungen zu den verworrenen Beziehungen des Lebens
fast etwas Berufliches haben. Und es ist klar, daß Arzt, Schau¬
spieler und Schriftsteller die Erotik erleben oder erleiden, die sich
in der Ehe immer mit dem Auf= oder Untertauchen eines oder
einer dritten ergibt — klar, weil es das Treibende, das Schöpferische
der Schnitzlerwelt ist.
Der neue Schnitzler ist auch der alte Schnitzler. Schein wird
mit Sein vertauscht, verwechselt, mengt sich, krallt sich ineinander,
daß keiner mehr am Ende erkennen kann, was Wahrheit ist.
Daraus wurde schon Schnitzlers schönste Bühnendichtung, die vom
„grünen Kakadu“ geboren, die seine ganze elegische zwischenlicht¬
artige Kunst in einem Akt zusammenpreßt. Es ist dieselbe ironische
Freude am Spiel, die aus einer Stunde des Erkennens, da die
nächsten Menschen sich entschleiern, eine des ewigen Nichterkennens
macht. Wer wird geliebt, wer liebt, wo ist Heimat, Bestimmung,
beginnt der Sinn eines Lebens?
wo hört das Abenteuer auf
Ein jeder spricht davon, ein jeoer hat ein Wort dafür und davon,
die Seele aber bleibt leer und blickt ins Leere und geht ins Leere.
Gewendet, von der anderen Seite her, im zweiten Einäkter. Wie?
Wiro anes zur großen Szene, unwahr, verbogen und unwahr¬
scheinlich und ist dennoch im tiefsten, ganzverschütteten Grunde wahr¬
hafter Ausdruck eines Menschen, der einfach nicht anders kann?
Sollte es das geben, Lüge zugleich Wahrheit sein können, Armut
zugleich Reichtum? Das drittemal aber gehen Worte hin und
her, Worte, die nichts bedeuten, die anders sein können, die am
Tatsächlichen sehr schnell vorüberflattern und den Schein eines
bedeutungslosen Friedens geb n, dennoch entscheidet sich Letztes, an
den Worten vorbei, ohne Worte: Die Zusammengehörigkeit von
Menschen. Komödie der Worte — oder auch: Wir spielen immer,
wer es weiß, ist klug.“ Es ist die Weisheit Schnitzlers, seine Er¬
kenntnis, die in seinem ganzen Werk zu finden ist.
Der neue Schnitzler ist auch der alte Schnitzler. Was er
diesmal dreimal zeigt, ist wieder die faule, wurmige Welt kleinlicher,
vager, verlogener und pendelhafter Beziehungen. Vergebens fragen
die Dämmerseelen nach einem Menschen, nach einem Weg ins
Freie. Es bleibt alles, wie es war: Große Szene. Zehn Jahre
können sich hier Menschen absperren, vergiften, um auf den Moment
zu warten, der den anderen erniedrigt. Bräute empfangen Schau¬
spieler und zwischen Umarmungen und Bettwärme wird an das
Alibi gedacht, der Betrug des Betruges ausgeheckt. In sechs Wochen
Sommerfrische geht der Sinn eines Lebens zu Zweien kaput und
kann im nächsten Augenblick wieder geleimt werden. Welche Welt!
Immer wird sie bei Schnitzler überwunden — er begann schon:
„Liebelei“ und sollte Liebe heißen, Liebe sein, statt dessen geht
alles an Liebeleien zugrunde — immer hebt er sich davon ab,
sondert sich von dieser geilen Gefräßigkeit, der alles Freiwild ist:
Seele, Menschentum, Kunst, Natur, Liebe. Die verschmutzten Dinge
einer entgötterten Zeit werden in die Hand genommen, melancholisch
angeschaut, aber auch fallen gelassen. Das ist es: Immer wieder
geschieht die Überwindung dieser Welt durch Worte, die einem
etwas zagen und fast unentschiedenen Gefühl entkommen, nie aber
durch die Tat, die auch Wort sein könnte, nur müßte es von
einem donnernden: Sei! gerufen sein. Und vielleicht ist das erst
die richtige Komödie der Worte, die Komödie, der der Melancholiker
Schnitzler erliegt. Hier endet auch sein Reich, seine Zeit, hier ist
er bereits von gestern. Denn morgen wird nur dieses gelten, dieses: Sei!
Diese drei Einakter werden nun am Hof=Burgtheater
unendlich soigniert gespielt. Wahrscheinlich wird man an keiner
Bühne Deutschlands ähnlich Vornehmes sehen. Es bleibt dabei
ganz gleichgültig, ob es Herr Walden oder Frau Medelsky oder
Herr Tiedtke oder Herr Baumgartner ist. So wurden Lustspiele
im Burgtheater immer gespielt und werden immer gespielt werden.)
Die Zeiten wechseln, die Stammsitzinhaber wechseln, die Stücke
wechseln, die Schauspieler wechseln, aber dieser gepudette Burg¬
theaterlustspielton bleibt (aber sonst auch nichts von der alten
Herrlichkeit.) Und diese unpersönliche Dauer im persönlichen Wechsel
hat etwas beunruhigend Beruhigendes.
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