25. ProfessonBernhandr
Ausschnitt aus: Hamburger Nachrichter
29 P0
vom:
1n Hamburg
HME. Arthur Schnitzlers „Professor Bernhardi“. Unser Ber¬
liner Theater November zur Ergänzung
feihes Telegramms: Das köstlichste an diesem Schnitzlerabend war
vislleicht, daß man diese fünfaktige Komödie in ihrer ersten Hälfte
Fnst nahm, und daß das Publikum ihr einen großen Erfolg be¬
reitete. So konnte man denn in der Pause nach den ersten drei
Akten im Foyer zwei Kritiker in heftigem Streite über das Stück
sehen, wozu beide sich nach dem fünften Akte gewiß nicht mehr
bereit gefunden hätten, sondern sie wurden sich im Einverständnis
über den Bluff des Ganzen die Hand gedrückt haben. Es war
wieder das alte Spiel des Dialektikers, der, statt zu überzeugen,
in das überreden gerät und infolgedessen auf halbem Wege stecken
bleibt. So wurde denn die Rettung für Schnitzler wieder wie von
jeher der Dialog, der glänzend, wirkungsvoll gearbeitet ist. Der
ganze Fall, der hier konstruiert war, um den Charakter des Pro¬
fessors Bernhardi in einer vielfarbigen Beleuchtung und ver¬
schiedenen Reflektierung zu zeigen, war so: Der Direktor des
Krankenhauses Elisabethineum, Professor Bernhardi, ein jüdischer
Arzt, hat einem Geistlichen den Eintritt in das Sterbezimmer
einer Kranken, die sich im Zustande der Euphorie, d. h. des höchsten
Wohlbefindens befand, deren Tod aber zugleich ganz gewiß war,
sso daß der Katholikin also die letzte Olung hätte verabreicht werden
kmüssen, mit der Begründung verweigert, daß es eine unmenschliche
[Grausamkeit gegen die Sterbende, die jetzt im Glauben lebe, sie
werde gesund von ihrem Geliebten abgeholt werden, bedeuten
müsse, ihr durch die Darreichung der letzten Olung zu zeigen, sie
müsse sterben. Bei dieser Zurückweisung hat nun Bernhardi die
Unvorsichtigkeit besessen, den Geistlichen leicht an der Schulter zu
berühren. Aus diesem Fall wird dem jüdischen Professor, der, wie
selbst der Geistliche zugeben muß, ganz pflichtgemäß gehandelt hat,
der Strick gedreht, indem sich das Parlament der Angelegenheit in
einer Interpellation bemächtigt. Bernhardi wird wegen Religions¬
störung angeklagt und infolge des falschen Zeugnisses einer
hysterischen Schwester zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt. Als
Mann der Tat verzichtet er auf Revision des ihn zum Märtyrer
stempelnden Urteils; er verbüßt seine Strafe, um den Weg frei zu
haben. Als er aber nach dn zwei Monaten ins Kultusministerium
kommt, hört er, die Schwester habe ihre Zeugenaussage widerrufen,
und der Professor sieht sich vor der Notwendigkeit, daß die Regierung
seinen Prozeß noch ernmal aufrollt. Der Komödiensinn des Stückes,
soll also darin liegen, daß hier ein Mann der Tat von allen
Instanzen, die leer hin und her theoretisieren, von der Tat abge¬
halten wird, obwohl diese zum Guten der Menschheit ist. Hätte
Schnitzler diesen Gedanken klar herausgearbeitet, so hätte er eine
echte Komödie geben können, so gab er aber nur eine Aufreihung
von zahlreichen Szenen, Dialogen, Diskussionen, die jede für sich
nicht ohne gute Details waren, aber das Stück als solches voll¬
kommen auflösten, indem sie die Hauptgestalt, Bernhardi, zu dem
Mittel erniedrigten, an dem alle Parteien Vorteil zu nehmen
suchten. So enthüllte uns Schnitzler denn die verschiedensten Typen
der Professoren, der Geistlichkeit, des Kultusministeriums, deren
Gespräche das reichste Anschauungsmaterial über das Judenproblem
vom Antisemiten bis zum Philosemiten hergaben, aber doch einen
Zweifel im Zuschauer zurückließen: darf man all die viel redenden.
meist egoistischen Gestalten dort auf der Bühne auch als Menschen
auc Bertitt.
S
ansprechen? Man ist sehr geneigt, ein „Nein“ zu antworten, denn
wir lernen nur den Verstand, den Intellekt all dieser Pro¬
fessoren usw. kennen, aber die volle Lebensgrundlage, das Blut, das
Herz fehlt. Und muß fehlen, weil um logische Konsequenzen ge¬
stritten und von vornherein das innere Gefühl, das sich bei den
einzelnen Typen als allein maßgebend beweisen mußte, beiseite
geschoben wurde. So blieb denn ein kalter Eindruck zurück, die
innere, das Dichterische beweisende Ergriffenheit blieb aus.
Leugnen kann man aber nicht, daß das Stück im höchsten Grade
anregend, geistig beweglich und vielseitig ist; als interessantes
Bühnenwerk wird es für die, die sich mit dem Judenproblem in der
einen oder anderen Weise beschäftigen, immer von Wert sein; die,
die aber das Judenproblem nicht anerkennen, halten natürlich auch
alle Diskussion für überflüssig und dies Stück dann für langweilig.
Der Dichter ist mit diesem Werke nicht gewachsen, sondern allein,
der Polemiker. Die Aufführung im traulichen Kleinen!
Theater (Unter den Linden) war unter der Regie Victor
Barnowskys ganz vortrefflich. Die Rolle des Professors Bern¬
hardi, von Bruno Decarli vertreten, war nicht schwierig dar¬
zustellen, aber der Künstler brachte doch Herzenswärme in die Ein¬
seitigkeit der Gestalt. Unter den übrigen Professoren und Doktoren
wollen wir noch den Streber Professor Ebenwald hervorheben:
Rudolf Klein=Rohden gab ihm natürliche österreichischen
Färbung, und dazu den Professer Pflugfelder, von Heinz,
Salfner in der Maske Felix Dahns nicht gerade paxodiscy, aber
doch unnötig effektvoll gespielt. Die, Ausstattung deue jedem Akta
wechselnden Szenerie war stets geschmackvoll ukio dem kleinen
Bühnen= und Zuschauerraume angemessen.
box 30/1
Ausschnitt aus
ue Freussisene Lonlung, Berm
vom:
Thrater und Musir.
Kleines Theater.
Professor Bernhardi. Komödic in 5 Akten von Arthur
Schnitzler. Regie: Victor Barnowsky. Erste Aufführung am
28—Novemder.
Ein Zensurverbot hat sich noch stets als wirksame Reklame er¬
wiesen, besonders wenn es sich um literarische Erzeugnisse handelt,
die sich in Stoff oder Tendenz an Tagesfragen von mehr oder minder
lokaler Bedeutung anschließen. Und da es nun — vielleicht um
etlicher Pointen, vielleicht um zu deutlicher Portraitierung willen —
den Wienern verwehrt war, sich den neuesten Schnitzler daheim an¬
zusehen, mochten sie wohl Freunde und Anverwandte beauftragt
haben, einmal kritisch zu prüfen, wie diese „Komödie“ im Rahmen
einer norddeutschen Bühne wirke. Daher gab es im Foyer allerlei
fremde Gesichter und man hörte die weichen Laute der Donaustadt.
Auch viele katholische Geistliche waren da, denn Schnitzlers Thema #
fällt ins Bereich ihres Amtes. Ob sie aber auf ihre Rechnung ge¬
kommen sind und eine Bereicherung mit heimgenommen haben? —
Schwerlich. Denn wenn Schnitzler, der Erotiker, das schillernde Ge¬
wänd der den Augenblick genießenden Lebensfreude von sich tut und
einen tiefernsten Konflikt in fünf Komödienakte zwingt, so behält
er doch die süffisante Miene der Leute, die das Wort „Wahrheit“
nicht ohne Ironie aussprechen können. Und diese vermögen zwar
geistreich zu unterhalten, sind aber letzten Endes doch nicht ernst zu
nehmen.
Dem Pfarrer von St. Florian hat der jüdische Chefarzt eines
großen Wiener Krankenhauses den Eintritt in ein Sterbezimmer
verwehrt, um die Patientin, die sich des nahen Endes nicht be¬
wußt war, nicht zu beunruhigen. Durch die Intrigen einer dem
Professor Bernhardi nicht geneigten Gegenpartei wird die Sache an
die große Glocke gehängt, eine Interpellation im Reichsrat einge¬
bracht und Bernhardi wegen Religionsstörung unter Anklage ge¬
stellt. Den zu zwei Monaten leichten Kerkers Verurteilten sucht
der Pfarrer auf. Er will ihm sagen, daß er begreife, Bernhardi
habe als Arzt nicht anders handeln können. Aber während dieser
Unterredung, deren haarfein pointierte Dialektik den Grad von
Schnitzlers Gerechtigkeitsgefühl genau ermessen läßt, erfährt des Geist¬
lichen Haltung eine Wandlung. Er kann Bernhardis Benehmen
aus dem Motiv des Mitleids, der um jeden Preis lindern wollenden
Menschenliebe des Arztes verstehen; aber er empfindet nun sehr deut¬
lich, daß aus dem Fühlen des Juden kein Steg zu verständnisvoller
Wurdigung des Priesterberufs hinüberführt. Und somit weist der
Pfarrer des Arztes ironische Zweifel mit dem Vorwurf der Ver¬
messenheit zurück und läßt ein scharfes Schlaglicht in den Abgrund;
fallen, der die verschiedenen Welten — die des zwar großdenkenden,
aber ins Diesseits gebannten Arztes und die des Verkünders der
über die irdischen Grenzen hinausweisenden Mysterien — in alle
Ewigkeit trennt. Zwischen ihnen muß Feindschaft sein, die immer,
wenn auch unbewußt, ihr Handeln bestimmen wird. Was hiernach
kommt, ist ein Anhängsel: ein geistreiches Hin und Her zwischen dem
Arzt, dem die durch den Prozeß hervorgerufene unerwünschte
Popularität schweren Aerger bereitet, und seinem Jugendfreund, i8.
1
dem geschmeidige Prinzipien zum Ministersessel verholfen haben.
Einen Schluß hat das Stück natürlich nicht. Es endet mit einem
Witz, der obendrein eine Unwahrheit ist. Schnitzler kann sein Wesen
eben doch nicht verleugnen — das merkt man auch in der Licht= und
Schattenverteilung bei den Charakteren, wo die tüchtigen und
sympathischen ausschließlich auf Seiten Bernhardis und seiner
Freunde zu finden sind. Während der Vorstellung fiel das Wort: ;
„Gegen anständige Juden gibt's keinen Antisemitismus!“ Es wurde,
als Witz belacht. Warum wohl eigentlich? — Es war eine von den
wenigen ganzen Wahrheiten des Stückes!
Die Regie stellte einen ganzen Trupp prachtvoller Charakter¬
typen für die einzelnen Aerzte; Frauen sind ganz ausgeschaltet.
Decarli lieh?. Bernharbi die ruhige Vornehmheit ddes nur
seinem Berufe lebenden Gelehrten, womit Herfelds Bonhommie
und Salfners sprudelnde Beredtsamkeit wirkunhsvoll kon¬
trastierte. Auch von den übrigen war jeder am rechten Platz; es
genüge daher, außer Abels diskret würdevollem Pfarrer die
Herren Lomda, Adalbert, Wolf und Klein=Rohdey“zu nennen. Ob
der Beifall vornehmlich auf die glänzende Darstellung Bezug hatte,
dürfte erst später zu entscheiden sein.
P.
Ausschnitt aus: Hamburger Nachrichter
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vom:
1n Hamburg
HME. Arthur Schnitzlers „Professor Bernhardi“. Unser Ber¬
liner Theater November zur Ergänzung
feihes Telegramms: Das köstlichste an diesem Schnitzlerabend war
vislleicht, daß man diese fünfaktige Komödie in ihrer ersten Hälfte
Fnst nahm, und daß das Publikum ihr einen großen Erfolg be¬
reitete. So konnte man denn in der Pause nach den ersten drei
Akten im Foyer zwei Kritiker in heftigem Streite über das Stück
sehen, wozu beide sich nach dem fünften Akte gewiß nicht mehr
bereit gefunden hätten, sondern sie wurden sich im Einverständnis
über den Bluff des Ganzen die Hand gedrückt haben. Es war
wieder das alte Spiel des Dialektikers, der, statt zu überzeugen,
in das überreden gerät und infolgedessen auf halbem Wege stecken
bleibt. So wurde denn die Rettung für Schnitzler wieder wie von
jeher der Dialog, der glänzend, wirkungsvoll gearbeitet ist. Der
ganze Fall, der hier konstruiert war, um den Charakter des Pro¬
fessors Bernhardi in einer vielfarbigen Beleuchtung und ver¬
schiedenen Reflektierung zu zeigen, war so: Der Direktor des
Krankenhauses Elisabethineum, Professor Bernhardi, ein jüdischer
Arzt, hat einem Geistlichen den Eintritt in das Sterbezimmer
einer Kranken, die sich im Zustande der Euphorie, d. h. des höchsten
Wohlbefindens befand, deren Tod aber zugleich ganz gewiß war,
sso daß der Katholikin also die letzte Olung hätte verabreicht werden
kmüssen, mit der Begründung verweigert, daß es eine unmenschliche
[Grausamkeit gegen die Sterbende, die jetzt im Glauben lebe, sie
werde gesund von ihrem Geliebten abgeholt werden, bedeuten
müsse, ihr durch die Darreichung der letzten Olung zu zeigen, sie
müsse sterben. Bei dieser Zurückweisung hat nun Bernhardi die
Unvorsichtigkeit besessen, den Geistlichen leicht an der Schulter zu
berühren. Aus diesem Fall wird dem jüdischen Professor, der, wie
selbst der Geistliche zugeben muß, ganz pflichtgemäß gehandelt hat,
der Strick gedreht, indem sich das Parlament der Angelegenheit in
einer Interpellation bemächtigt. Bernhardi wird wegen Religions¬
störung angeklagt und infolge des falschen Zeugnisses einer
hysterischen Schwester zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt. Als
Mann der Tat verzichtet er auf Revision des ihn zum Märtyrer
stempelnden Urteils; er verbüßt seine Strafe, um den Weg frei zu
haben. Als er aber nach dn zwei Monaten ins Kultusministerium
kommt, hört er, die Schwester habe ihre Zeugenaussage widerrufen,
und der Professor sieht sich vor der Notwendigkeit, daß die Regierung
seinen Prozeß noch ernmal aufrollt. Der Komödiensinn des Stückes,
soll also darin liegen, daß hier ein Mann der Tat von allen
Instanzen, die leer hin und her theoretisieren, von der Tat abge¬
halten wird, obwohl diese zum Guten der Menschheit ist. Hätte
Schnitzler diesen Gedanken klar herausgearbeitet, so hätte er eine
echte Komödie geben können, so gab er aber nur eine Aufreihung
von zahlreichen Szenen, Dialogen, Diskussionen, die jede für sich
nicht ohne gute Details waren, aber das Stück als solches voll¬
kommen auflösten, indem sie die Hauptgestalt, Bernhardi, zu dem
Mittel erniedrigten, an dem alle Parteien Vorteil zu nehmen
suchten. So enthüllte uns Schnitzler denn die verschiedensten Typen
der Professoren, der Geistlichkeit, des Kultusministeriums, deren
Gespräche das reichste Anschauungsmaterial über das Judenproblem
vom Antisemiten bis zum Philosemiten hergaben, aber doch einen
Zweifel im Zuschauer zurückließen: darf man all die viel redenden.
meist egoistischen Gestalten dort auf der Bühne auch als Menschen
auc Bertitt.
S
ansprechen? Man ist sehr geneigt, ein „Nein“ zu antworten, denn
wir lernen nur den Verstand, den Intellekt all dieser Pro¬
fessoren usw. kennen, aber die volle Lebensgrundlage, das Blut, das
Herz fehlt. Und muß fehlen, weil um logische Konsequenzen ge¬
stritten und von vornherein das innere Gefühl, das sich bei den
einzelnen Typen als allein maßgebend beweisen mußte, beiseite
geschoben wurde. So blieb denn ein kalter Eindruck zurück, die
innere, das Dichterische beweisende Ergriffenheit blieb aus.
Leugnen kann man aber nicht, daß das Stück im höchsten Grade
anregend, geistig beweglich und vielseitig ist; als interessantes
Bühnenwerk wird es für die, die sich mit dem Judenproblem in der
einen oder anderen Weise beschäftigen, immer von Wert sein; die,
die aber das Judenproblem nicht anerkennen, halten natürlich auch
alle Diskussion für überflüssig und dies Stück dann für langweilig.
Der Dichter ist mit diesem Werke nicht gewachsen, sondern allein,
der Polemiker. Die Aufführung im traulichen Kleinen!
Theater (Unter den Linden) war unter der Regie Victor
Barnowskys ganz vortrefflich. Die Rolle des Professors Bern¬
hardi, von Bruno Decarli vertreten, war nicht schwierig dar¬
zustellen, aber der Künstler brachte doch Herzenswärme in die Ein¬
seitigkeit der Gestalt. Unter den übrigen Professoren und Doktoren
wollen wir noch den Streber Professor Ebenwald hervorheben:
Rudolf Klein=Rohden gab ihm natürliche österreichischen
Färbung, und dazu den Professer Pflugfelder, von Heinz,
Salfner in der Maske Felix Dahns nicht gerade paxodiscy, aber
doch unnötig effektvoll gespielt. Die, Ausstattung deue jedem Akta
wechselnden Szenerie war stets geschmackvoll ukio dem kleinen
Bühnen= und Zuschauerraume angemessen.
box 30/1
Ausschnitt aus
ue Freussisene Lonlung, Berm
vom:
Thrater und Musir.
Kleines Theater.
Professor Bernhardi. Komödic in 5 Akten von Arthur
Schnitzler. Regie: Victor Barnowsky. Erste Aufführung am
28—Novemder.
Ein Zensurverbot hat sich noch stets als wirksame Reklame er¬
wiesen, besonders wenn es sich um literarische Erzeugnisse handelt,
die sich in Stoff oder Tendenz an Tagesfragen von mehr oder minder
lokaler Bedeutung anschließen. Und da es nun — vielleicht um
etlicher Pointen, vielleicht um zu deutlicher Portraitierung willen —
den Wienern verwehrt war, sich den neuesten Schnitzler daheim an¬
zusehen, mochten sie wohl Freunde und Anverwandte beauftragt
haben, einmal kritisch zu prüfen, wie diese „Komödie“ im Rahmen
einer norddeutschen Bühne wirke. Daher gab es im Foyer allerlei
fremde Gesichter und man hörte die weichen Laute der Donaustadt.
Auch viele katholische Geistliche waren da, denn Schnitzlers Thema #
fällt ins Bereich ihres Amtes. Ob sie aber auf ihre Rechnung ge¬
kommen sind und eine Bereicherung mit heimgenommen haben? —
Schwerlich. Denn wenn Schnitzler, der Erotiker, das schillernde Ge¬
wänd der den Augenblick genießenden Lebensfreude von sich tut und
einen tiefernsten Konflikt in fünf Komödienakte zwingt, so behält
er doch die süffisante Miene der Leute, die das Wort „Wahrheit“
nicht ohne Ironie aussprechen können. Und diese vermögen zwar
geistreich zu unterhalten, sind aber letzten Endes doch nicht ernst zu
nehmen.
Dem Pfarrer von St. Florian hat der jüdische Chefarzt eines
großen Wiener Krankenhauses den Eintritt in ein Sterbezimmer
verwehrt, um die Patientin, die sich des nahen Endes nicht be¬
wußt war, nicht zu beunruhigen. Durch die Intrigen einer dem
Professor Bernhardi nicht geneigten Gegenpartei wird die Sache an
die große Glocke gehängt, eine Interpellation im Reichsrat einge¬
bracht und Bernhardi wegen Religionsstörung unter Anklage ge¬
stellt. Den zu zwei Monaten leichten Kerkers Verurteilten sucht
der Pfarrer auf. Er will ihm sagen, daß er begreife, Bernhardi
habe als Arzt nicht anders handeln können. Aber während dieser
Unterredung, deren haarfein pointierte Dialektik den Grad von
Schnitzlers Gerechtigkeitsgefühl genau ermessen läßt, erfährt des Geist¬
lichen Haltung eine Wandlung. Er kann Bernhardis Benehmen
aus dem Motiv des Mitleids, der um jeden Preis lindern wollenden
Menschenliebe des Arztes verstehen; aber er empfindet nun sehr deut¬
lich, daß aus dem Fühlen des Juden kein Steg zu verständnisvoller
Wurdigung des Priesterberufs hinüberführt. Und somit weist der
Pfarrer des Arztes ironische Zweifel mit dem Vorwurf der Ver¬
messenheit zurück und läßt ein scharfes Schlaglicht in den Abgrund;
fallen, der die verschiedenen Welten — die des zwar großdenkenden,
aber ins Diesseits gebannten Arztes und die des Verkünders der
über die irdischen Grenzen hinausweisenden Mysterien — in alle
Ewigkeit trennt. Zwischen ihnen muß Feindschaft sein, die immer,
wenn auch unbewußt, ihr Handeln bestimmen wird. Was hiernach
kommt, ist ein Anhängsel: ein geistreiches Hin und Her zwischen dem
Arzt, dem die durch den Prozeß hervorgerufene unerwünschte
Popularität schweren Aerger bereitet, und seinem Jugendfreund, i8.
1
dem geschmeidige Prinzipien zum Ministersessel verholfen haben.
Einen Schluß hat das Stück natürlich nicht. Es endet mit einem
Witz, der obendrein eine Unwahrheit ist. Schnitzler kann sein Wesen
eben doch nicht verleugnen — das merkt man auch in der Licht= und
Schattenverteilung bei den Charakteren, wo die tüchtigen und
sympathischen ausschließlich auf Seiten Bernhardis und seiner
Freunde zu finden sind. Während der Vorstellung fiel das Wort: ;
„Gegen anständige Juden gibt's keinen Antisemitismus!“ Es wurde,
als Witz belacht. Warum wohl eigentlich? — Es war eine von den
wenigen ganzen Wahrheiten des Stückes!
Die Regie stellte einen ganzen Trupp prachtvoller Charakter¬
typen für die einzelnen Aerzte; Frauen sind ganz ausgeschaltet.
Decarli lieh?. Bernharbi die ruhige Vornehmheit ddes nur
seinem Berufe lebenden Gelehrten, womit Herfelds Bonhommie
und Salfners sprudelnde Beredtsamkeit wirkunhsvoll kon¬
trastierte. Auch von den übrigen war jeder am rechten Platz; es
genüge daher, außer Abels diskret würdevollem Pfarrer die
Herren Lomda, Adalbert, Wolf und Klein=Rohdey“zu nennen. Ob
der Beifall vornehmlich auf die glänzende Darstellung Bezug hatte,
dürfte erst später zu entscheiden sein.
P.