„Professor Vernhardi“.
Komödie in fünf Akten von Arthur
Schnitzler. Gesteum ersten Male im
„Kleinin Theater“.
In der Klinik des Professors Bernhardi
liegt ein armes Menschenkind im Ster¬
ben. Ein junges Mädchen, dessen sün¬
diger Leib irgend einem verbrecherischen
Eingriff den Todeskeim verdankt. Sie ist ver¬
loren. Aber im letzten Augenblick vor dem
Ende gerät sie in den Zustand der „Euphorie“
in jene traumhafte Illusion der Rettung und des
Glückes, den die Natur mitunter in gnädiger;
Laune der Vernichtung unmittelbar vorangehen
lüßt. Da tritt, von der übereifrigen Kranken¬
schwester herangeholt, ein Priester ein, der Tod¬
geweihten die Sterbesakramente zu reichen.. Der
Arzt bittet ihn, davon abzustehen, die Unglück¬
liche nicht durch sein Erscheinen aus ihrem kurzen
holden Wahn zu reißen. Es gibt einen raschen
Wortwechsel. Der Pfarrer besteht auf seinem
Recht. Professor Bernhardi verbietet es ihm.
Da tritt der Assistent ein: es ist vorbei. Die
Kranke ist ohne die Tröstungen der katholischen
Religion dahingegangen.
So stellt Arthur Schnitzler in seinem
jüngsten Werke, das, in Wien von der Zensur ver¬
boten, gestern hier unter starken Bei¬
fallsstürmen die erste. Aufführung erlebte,
sein Thema. Ja, es ist ein richtiges „Thema“,
ein „Fall“ im Geschmack der Thesenstücke fran¬
zösischer Schule, der nun zunächst auch mit allen
Mitteln weltlicher und theatermäßiger Logik
durchgefochten wird. Die Sache wird lächerlich
aufgebauscht, sie wird in den Streit der öster¬
reichischen Parteien hereingezogen, zumal da
Bernhardi Jnde ist, es kommt zur Interpellation
im Parlament, ja zur Anklage und Verurteilung
wegen „Religionsstörung". Bernhardi muß auf
zwei Monate ins Gefängnis.
Wie Schnitzlers Theaterinstinkt diese Vor¬
gänge für die Szene zubereitet, ist erstaunlich.
Man wird nicht viele in Deutschland
sinden, die das wie er vermöchten, ohne
geschmacklos zu werden. Es ist ein Triumph
der Bühnentechnik. Der Dichter, der selbst von
Hause aus Arzt ist, läßt ein medizinisches Milien
aufleben, das gestern abend, als gerade die er¬
schütternde Nachricht vom Tode des Mannes,
der Schnitzler einst zuerst aufs Theater gebracht,
die Zuschauer erreichte, in seiner Wahrheit dop¬
pelt stark berührte. Alles rings lebt und bewegt
sich aus der Kraft einer unmittelbaren An¬
schauung. Oft fast zu realistisch, zu sehr Wahr¬
heit und zu wenig Dichtung. Drei Akte lang
bleiben die Verhandlungen über das Thema
propositum trotz aller bewunderswerten
Klugheit der
Szenenführung einiger¬
maßen äußerlich, nicht eigentlich schnitzlerisch.
Aber da kommt
im vierten Aufzug eine
Szene zwischen dem Arzt und dem
Priester, der den Gegner nach der Ver¬
urteilung aufsucht — und dies Gespräch, in dem
zwei Weltanschauungen ohne Phrase einen Men¬
surgang miteinander ausfechten, hob das Ganze
sofort in eine andere, höhere, nun erst wirklich
Schnitzlers ganz würdige Sphäre. Und der
Schlußakt im „K. K. Ministerium für Kultus
und Unterricht“ steigt, fast unerwartet, zur Höhe
der Komödie auf, wo nicht das wichtig ist, daß
der aus dem Gefängnis heimgekehrte Bernhardi
hört, seine verlogen=hysterische Belastungszeugin,
jene Schwester, habe revoziert, sondern die ewig
alte, ewig neue Erkenntnis, daß die Welt ein
Gaukelspiel ist. So wurde es ein außerordent¬
licher Erfolg.
Die Aufführung unter Barnowskys Re¬
gie war ein Meisterstück hohen Ranges. Herr
Decarli aus Leipzig als sympathischer Träger
der Titelrolle, ringsum die Herren Klein¬
Rohden, Herzfeld, Salfner, Wolff,
Wurmser, Platen als die tüchtigen, neidi¬
schen und streberischen Herren Kollegen, Herr
Landa als Minister und Herr Adalbert
als sein Hofrat, Herr Abel als Priester bildeten!
ein glänzendes Ensemble. Die einzige, kleiny
Frauenrolle der Schwester hielt Fräuhln
Corlsen.
#l. 9
Auschalt unet Köinischa Zeitung
vom:
26 Nau 7912
Theater und Musik.
Professor Bernhardi von Schnitzler.
#. Berlin. Mit dem fünsaktigen Drama Professor Bernhard
die am Donnerstag den 28. ihre Uraufführung im Kleinen Theatere¬
lebte, hat Arthur Schnitlersicher eines seiner merkwürdigsten
bedeutendsten Stücke geschrieben. Das Stück ist schon deshalb mer
würdig, weil es lauter Männerrollen enthält, und nur eine einzige Fraue¬
rolle, die ganz episodische einer Krankenschwester im ersten Akt, vo
kommt. Wir haben nicht mehr Schnitzler, den Dichter des Dandi
und des Süßen Mädels vor uns, sondern Schnitzler den Satiriker, de
alle unsere Gesellschafts= und Moralbegriffe in feines Gespinst auflö
und uns dann lächelnd aber ohne alle Aufregung versichert: „Seh
es ist nichts!“ Das Drama Professor Bernhardi, dessen Aufführung
Österreich verboten wurde, ist
ein Medizinerdrama. Der Ar
Dr. Schnitzler hat es mit naturgetreuem Milieu und offenbar nach gute
Beobachtungen geschrieben. Professor Bernhardi, ein berühmter Kliniker
und Direktor des Elisabethinums, erlebt am Bett einer Sterbenden einen
unangenehmen Zusammenstoß mit einem Priester: In seiner Klinik
stirbt ein junges Mädchen an den Folgen einer Fehlgeburt; bis zum
letzten Augenblick ist sie in Täuschungen über ihren Zustand befangen
und glaubt an ihre Wiederherstellung. Der Arzt hält es für seine
Pflicht, sie in dieser Täuschung zu erhalten; da erscheint der Priester,
um sie mit dem Allerheiligsten zu versehen und ihre letzte Beichte zu
hören. Mit seinem Erscheinen müßte die Täuschung schwinden, der
Arzt verbieiet daher dem Priester den Zutritt; dieser zieht sich zurück,
und die Kranke stirbt ohne Beichte und Absolution. Der Fall macht
Aufsehen, Professor Bernhardi wird
von den
verschiedensten
Seiten angegriffen,
und neidische Kollegen,
sowie junge
Streber verbünden sich gegen ihn, um ihn aus seiner Stellung
zu verdrängen. Das gelingt auch, Bernhardi sieht nicht nur,
daß das Elisabethinum seine einflußreichen Gönner verliert, es erlebt
auch eine Interpellation der Klerikalen im Parlament, die ihm eine An¬
klage wegen Religionsstörung zuzieht. Er wird verurteilt, bleibt zwei
Monate im Gefängnis, und kehrt dann zu seinen Freunden und An¬
hängern zurück, um zum Besten der Menschheit weiter zu wirken, zumal
sich auch herausgestellt hat, daß bei der Gerichtsverhandlung die Kranken¬
schwester falsches Zeugnis gegen ihn ausgesagt hat. Schnitzler hat mit
dieser satirischen Komödie kein liberales Kampfstück schreiben
wollen. Er verteilt Licht und Schatten nach beiden Seiten, was die
Persönlichkeiten betrifft; seine so elegante Satire nimmt nur dann eine
schneidende Schärfe an, wenn sie sich gegen den Staat richtet, der mit
dem Anspruch, „christlich“ zu sein, seine Bürger in unausbleibliche Kon¬
flikte des praktischen Lebens bringt, und der zwei unvereinbare Welt¬
anschauungen unter einen Hut bringen will. Darin liegt die hohe Be¬
deutung des Stücks. Dessen Hauptfehler besteht darin, daß die Gestalt
Bernhardis selbst, die doch im Mittelpunkt steht, eigentlich zu wenig
lebendig ist. Das ist schade, und um so mehr, weil die andern Gestalten,
die verschiedenen Typen der Mediziner, vortrefflich gezeichnet sind. Eine
Prachtfigur und von echt Schnitzlerschem Blut ist der satirische Hofrat
des letzten Akts. Die Handlung steigt dramatisch und effektvoll an bis
zum dritten Akt, läßt dann in ihrer Spannung etwas nach, und verflacht
im letzten Akt ein bißchen durch zu viel episodische Reden. Trotzdem
bleibt Schnitzlers Professor Bernhardi eine sehr bedeutsame Leistung,
die erste wirkliche Premiere des Berliner Winters. Das Publikum
nahm das Stück mit sehr starkem Beifall auf, der nur am Schluß etwas
schwöcher wurde; nach dem dritten Akt mußte der anwesende Dichter
mehrere Male vor dem Vorhang erscheinen.
—
—.—