II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 13

box 30/1
25. ProfessenBernhardi
— iE
29: Nöbember 1912.

1
Eingang in die bereits verschlossenen Räumt zu
erzwingen.
2
Glaube
und
Anfang Oktober 1893 feierte L'Arronge
im
kleinen Kreise im Hotel Saxonia das Ihn¬

jährige Bestehen seines Deutschen Theaters. PEr
Wissenschaft.
war längst entschlossen, zu gehen, und in der
Ecke an der improvisierten Tafel, ganz beschei¬
Artur Schnitzlers Komödie“„Professor
Vernhardi“ im Kleinen Theater.
Es spricht für die dialektische Kraft dieses
furchtlosen Stückes, dieser Tendenzkomödie in des
Wortes bester Bedeutung, daß sie durch fünf
breite Akte das Interesse ansteigend zu halten
vermag. Ohne erotische Reizungen, ohne femi¬
nistisches Schillern, durchaus als Männerstück,
als ein dramatisches Politikum. Neunzehn
Männer verzeichnet die Personenliste und eine
einzige Frau; und die verschwindet nach dem
ersten Akt. Also keine Kunst für unverstandene
Lebemänner und nur zu tief verständige Frauen.
Ein Politikum. Und ein echt wienerisches obendrein.
Auch gut zu begreifen ist es, daß dieses kecke
Stück im klerikalisierten Oesterreich zur Auf¬
führung nicht zugelassen wird. Und doch stehen
nur jenseits der schwarz=gelben Pfähle die
Bühnen, von denen herab Schnitzlers Werk noch
ungleich stärkere Wirkungen auslösen würde als
in Berlin, wo für einen Lebenskonflikt, wie der
des Professors Bernhardi, Voraussetzung und
Entwicklungsmöglichkeit fehlen.
Aber auch Anzengrubers Pfarrer von Kirch¬
feld war in Oesterreich bodenständig und fand in
Deutschland den stärksten Widerhall. Sonst hat
allerdings Schnitzlers Komödie mit den volkstüm¬
lichen Zügen des Anzengruberwerks nichtviel mehr
gemeinsam, als daß es einen Gewissenskonflikt auf¬
rührt. Näher steht es Ibsens „Volksseind“ und
Professor Bernhardi wird für Schnitzler etwa
sein, was für den Norweger der Doktor Stock¬
mann war. Professor Bernhardi verweigert
einem Priester, der einer jungen Sterbenden die
letzten Töstungen des Glaubens bringen will, den
Zutritt zum Krankenbett, weil er der Schwindenden
die noch immer nicht die Lebenshofnung aufgege¬
ben hat, die letzte Stunde nicht trüben lassen will.
Sie soll in einem schönem Traum für immer
entschlafen. Diese aus rein menschlichem Ge¬
fühl entspringende Hapblung wird zur „Religions¬
störung“ gestempelt und der hervorragende Arzt
muß ins Gefängnis. Er hätte sich vor solchen
Konsequenzen bewahren können, wenn er zu
Kreuz gekrochen wäre, wenn er ein reumütiges
Zugeständnis gegeben hätte, daß er seine Hand¬
lung bedauere. Er tut das nicht, er bleibt auf¬
recht und muß büßen.
Schnitzler kompliziert den Konflikt noch da¬
durch, daß er Bernhardi jüdischer Abstam¬
mung sein läßt. Damit trägt er in seine Komödie
noch den ganzen Komplex von Religions= und
Rassefragen, wie sie im heutigen Oesterreich wil¬
der brennen, als anderswo; aber Schnitzler geht
solchen Problemen gern zu Leibe, im Vertrauen auf
sein künstlerisches Geschick und den Takt, der den
unerschrockensten Erörterungen das Peinliche
nimmt. In seiner neuen Komödie gelingt ihm
das nicht immer, und eine gewisse Häufung von
gleichartigen Motiven gibt vielen Szenen etwas
Unterstrichenes und Aufgetragnes. So wenn
Bernhardi, dessen Verhalten eine Interpellation
im Abgeordnetenhause verursacht hat, durch eine
Tat beweisen soll, daß seine Abweisung des
Priesters nicht aus einem antikatholischen Prinziv
heraus geschehen sei. Er soll sich in seiner Eigen¬
schaft als Direktor des Elisabethinums bei der
ARE