II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 22

25. BrofessBernhand
Ausschnitt aus:

30 11131805 Pan.
vom:

□ Berlin, 29. Nov. Eine Arzt=Komödie von Schnitzler. In
dem neuen Werk Arthur Schritzlers, der fünfaktigen Komödie
„Professor Bernhardi“, die am Kleinen Theater
ihre Uraufführung erlebte, klingen zwei Grundmotive
seines Schaffens zusammen: Seelenlage und Seelenkonflikt des
Arztes und der konfessionelle Zwiespalt unserer Zeit, wie er in
der Judenfrage zum Ausdruck kommt. Der Held ist Arzt und ist
Jude, und daß in einem dramatischen Augenblick seine Weltan¬
schauung mit aufwallender Heftigkeit in den Kreis seiner beruf¬
lichen Pflichten eingreift, das bietet den tragikomischen, eine Zeit¬
lang sogar sehr tragisch betonten Konflikt des Dramas. Der be¬
rühmte Internist Professor Bernhardi verweigert einem Priester
den Zutritt zu dem Sterbelager eines jungen Mädchens, das in
seiner Klinik in der letzten Todesverzückung, ihres Schicksals unbe¬
wußt, den Geliebten erwartet und das der den Trost der Reli¬
gion bringende Geistliche aus der letzten irdischen Seligkeit in
die bittere Todesgewißheit hinüberführen würde. Diese Hand¬
lung, die der für das leibliche Wohl seiner Kranken sorgende Arzt
für berechtigt hält, die aber kein Verständnis für den tieferen
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Sinn der katholischen Religion beweist, bringt dem Professor eine
Fülle von Unannehmlichkeiten; er wird von seinem Amte suspen¬
diert, eines Religionsvergehens angeklagt und zwei Monate ins
Gefängnis gesperrt. Und schließlich muß er sich von einem welt¬
klugen Hofrat sagen lassen, daß er, der Arzt ist mit Leib und
Seele und die politisch=religiösen Wirrungen qualvoll empfindet,
übereilt gehandelt habe, daß ihm das Zeug zum Bekenner, zum
Reformator und Märtyrer fehle und daß es richtiger sei, nicht
unüberlegt einen Schritt zu tun, dessen letzte Konsequenzen man
dann nicht ziehen wolle. Der Grundfehler des Dramas, das in
vielen Szenen die feine Kunst der Charaktergestaltung des Dich¬
ters verrät, scheint mir darin zu liegen, daß Schnitzler seinen
Helden gegenüber eine zwiespältige Stellung einnimmt. In den
ersten drei Akten stellt er uns in ihm ein Idealbild eines echten
Mannes und großen Gelehrten vor, während in den beiden
Schlußakten gie ernsten und mannhaften Töne ins Ironische,
Skeptische, Komödienhafte umgedeutet werden. Und so fällt
auch der künstlerische Stil auseinander: zuerst wuch¬
tige Schlager, eine spannende Dramatik, die sogar bisweilen grell
und absichtlich anmutet, und dann ein spielerisch leichtes Aus¬
klingen in eleganter Causerie. Die ungewohnte Theatralik in
ihrer Mischung mit dialektischer Grazie fand ein begeistertes
Publikum, das dem Werk einen starken Erfolg bereitete.
Wettbewerb oder freie Vergebung? Zu dieser Frage
schreibt uns Prof. Hans Eriwein=Dresden: Ich bin von
box 30/1
Ausschnitt AusCeutsche Allgemeine Zeitung,
Berlin.
030 1912
vom:
Theater und Musik.
m-I. Arzt und Priester, dieser Gegensatz von Welt¬
anschauungen, ist der Kern der neuen Komödie von Arthur
Schnitl###die— Donnerstag im Berliner Kleinen
Thenter aufgeführt worden ist. Für eine Komödie ist dieser
Gegensatz zu ernst und schwer, aber Schnitzlers leichte Hand
mildert ihn, mildert ihn so weit, daß er jedem recht gibt.
Arzt und Priester lösen den Konflikt, den man auch über¬
schreiben könnte „Krankenhaus und Gotteshaus“ mit einem
versöhnenden Händedruck. In Wien hatte das Stück den
Erfolg eines Zensurverbots; wir stehen ihm kühler gegenüber.
In Berlin war dem „Professor Bernhardi“ ein starker, wider¬
spruchsloser Theatererfolg beschieden. Die Komödie ist ganz
Gesinnungsstück. Gesinnungen Standpunkte werden an¬
gegriffen und verteidigt. Das erledigt man unter Männern
der Wissenschaft und der Kirche mit Worten. Es wurde für
ein Drama zu viel geredet, es wurde nur geredet. Doch
ein Schnitzlerscher Dialog hat seine feinen Reize, und
von denen durfte auch der auf einen für die Berichterstattung
recht ungünstigen Platz Gesetzte einige genießen. Alle hätten
vielleicht ausgereicht, für die Mängel des redseligen Stücks zu
entschuldigen. So aber —. Also manches gute Wort wurde
gewechselt; über manche feine Anspielung dankend quittiert;
zuweilen blitzte Glanzlicht der Ironie auf. Die Wirkung war
stilles Lächeln; niemals ein frisches Lachen, auch am Schlusse
nicht, als der Dichter sich darauf zu besinnen schien, daß er eine
Komödie schreiben wollte. Die ist ihm nicht ganz gelungen,
weil er trotz der Toleranz des Dramatikers, wie man auf
Hebbelsch seine Wiener Weichheit schmeichelhaft nennen könnte,
als Arzt doch zu stark und einseitig für den Stoff interessiert
ist, um zur eigentlichen Höhe des Humors aufzusteigen und
den Hörer mit sich zu nehmen. Er hat es nicht ver¬
mocht, den besonderen Fall menschlich zu verallgemeinern.
Dadurch schränkt er die Möglichkeit der Anteilnahme am
Inhalte seines Werkes ein und speist uns mit dem wohligen
Genießen seiner Sprachvirtuosität und seiner guten Einfälle ab.
Nur nach dem lebhafteren dritten Akte, der Sitzung eines
Kuratoriums am grünen Tische mit allen Reizen aufeinander¬
platzender Meinungen, mit dem Kontraste männlicher Ehrlichkeit
und erbärmlichen Strebertums subalterner Kollegengeisterchen,
wurde das Publikum warm, klatschte Beifall und ruhte nicht
eher, als bis der Dichter sich drei= oder viermal verneigt hatte.
Am Schlusse wiederholte sich der Beifall, sodaß ein starker
Erfolg verzeichnet werden darf. Schnitzler hat sich folgenden
Fall als Anwalt für den Vertreter reiner Menschlichkeit an¬
genommen: Das süße Mädel, die kleine liebe Sünderin, liegt
in irgendeinem Zimmer des Elisabethinums todkrank und
träumt den köstlichen Traum von Genesung und Liebe, der die
letzten Augenblicke des schwindenden Lebens verklärt. Da kommt,
ohne Wissen des Anstaltsleiters herbeigerufen, der Pfarrer, der
Sterbenden die letzte Oelung zu geben. Der menschlich fühlende
Direktor Professor Dr. Bernhardi will den Glückstraum eines
armen Menschenkindes nicht durch das Erscheinen des Priesters
stören lassen und verweigert dem Pfarrer den Zutritt. Die
Folge ist, daß er wegen Religionsstörung angeklagt wird. Da
er Jude ist, wird der Vorfall von Antisemiten und Klerikalen
auch im Parlament ausgenutzt. Entstellt und übertrieben er¬
scheint Bernhardis menschliches Vorgehen wirklich als ein
schweres Vergehen im kirchlichen Sinne; er wird zu zwei Monaten
Kerkers verurteilt und tritt stolz seine Strafe an. Als Sieger
kehrt er aus dem Kerker wieder. Als eine Zeugin in dem Prozeß
sich selbst nachträglich des Meineides anklagt, widersetzt er sich
einer Wiederholung der Gerichtsverhandlung „in anderer
Beleuchtung“ und verzichtet auf den Ruhmesglanz des gerecht¬
sertigten Triumphators. Die Aufführung der Komödie war
musterhaft und ließ die Polemik, die der Dichter nicht über¬
wunden hat, in einer genußreichen Kunstleistung der Dar¬
steller verblassen. Bruno Decarli hatte den warmen
menschlichen Ton für den Gefühlsfanatiker Professor Bernhardi
und ließ durch Heiterkeit und Ironie die Wärme des Herzens
leuchten. Seinen Gegenfüßler, den Pfarrer Reder, verkörperte
Alfred Abel als den Religionsfanatiker mit feiner Zurück¬
haltung, vielleicht gebührt ihm vor allem Dank für einen mensch¬
lichen Ausgleich von Anschauungsgegensätzen. Unter den
Medizinern des Elisabethinums war mancher köstliche,
gut beobachtete Typus, nur ist es schwer, einzelne
nach dem Theaterzettel hervorzuheben, weil sie nicht als
Spezialisten etikettiert über die Bühne gingen. So können
nur Robert Hartbergs pathologischer Anatom Dr.
Adler und Rudolf Klein=Rohdens Chirurg Dr. Eben¬
wald hervorgehoben werden. Den Vertreter des deutsch und
antiklerikal gesinnten Professors in der Maske Felix Dahns
kann ich leider nicht besonders namhaft machen. Ein Kabinett¬
stück bot Max Abel mit dem Salonanarchisten Hofrat im
Unterrichtsministerium Dr. Winkler. Max Landa als