II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 23

merhn.
vom: 20NUU 137
Theater und Musik.
m-1. Arzt und Priester, dieser Gegensatz von Welt¬
anschauungen, ist der Kern der neuen Komödie von Arthur
chnhDonnerstag im Berliner Kleinen
T###ter aufgeführt worden ist. Für eine Komödie ist dieser
Gegensatz zu ernst und schwer, aber Schnitzlers leichte Hand
mildert ihn, mildert ihn so weit, daß er jedem recht gibt.
Arzt und Priester lösen den Konflikt, den man auch über¬
schreiben könnte „Krankenhaus und Gotteshaus“ mit einem
versöhnenden Händedruck. In Wien hatte das Stück den
Erfolg eines Zensurverbots; wir stehen ihm kühler gegenüber.
In Berlin war dem „Professor Bernhardi“ ein starker, wider¬
spruchsloser Theatererfolg beschieden. Die Komödie ist ganz
Gesinnungsstück. Gesinnungen, Standpunkte werden an¬
gegriffen und verteidigt. Das erledigt man unter Männern
der Wissenschaft und der Kirche mit Worten. Es wurde für
ein Drama zu viel geredet, es wurde nur geredet. Doch
ein Schnitzlerscher Dialog hat seine feinen Reize, und
von denen durfte auch der auf einen für die Berichterstattung
recht ungünstigen Platz Gesetzte einige genießen. Alle hätten
vielleicht ausgereicht, für die Mängel des redseligen Stücks zu
entschuldigen. So aber —. Also manches gute Wort wurde
gewechselt; über manche feine Anspielung dankend quittiert;
zuweilen blitzte Glanzlicht der Ironie auf. Die Wirkung war
stilles Lächeln; niemals ein frisches Lachen, auch am Schlusse
nicht, als der Dichter sich darauf zu besinnen schien, daß er eine
Komödie schreiben wollte. Die ist ihm nicht ganz gelungen
weil er trotz der Toleranz des Dramatikers, wie man auf
Hebbelsch seine Wiener Weichheit schmeichelhaft nennen könnte,
als Arzt doch zu stark und einseitig für den Stoff interessiert
ist, um zur eigentlichen Höhe des Humors aufzusteigen und
den Hörer mit sich zu nehmen. Er hat es nicht ver¬
mocht, den besonderen Fall menschlich zu verallgemeinern.
Dadurch schränkt er die Möglichkeit der Anteilnahme am
Inhalte seines Werkes ein und speist uns mit dem wohligen
Genießen seiner Sprachvirtuosität und seiner guten Einfälle ab.
Nur nach dem lebhafteren dritten Akte, der Sitzung eines
Kuratoriums am grünen Tische mit allen Reizen aufeinander¬
platzender Meinungen, mit dem Kontraste männlicher Ehrlichkeit
und erbärmlichen Strebertums subalterner Kollegengeisterchen,
wurde das Publikum warm, klatschte Beifall und ruhte nicht
eher, als bis der Dichter sich drei= oder viermal verneigt hatte.
Am Schlusse wiederholte sich der Beifall, sodaß ein starker
Erfolg verzeichnet werden darf. Schnitzler hat sich folgenden
Fall als Anwalt für den Vertreter reiner Menschlichkeit an¬
genommen: Das süße Mädel, die kleine liebe Sünderin, liegt
in irgendeinem Ziamer des Elisabethinums todkrank und
träumt den köstlichen Traum von Genesung und Liebe, #r die
letzten Augenblicke des schwindenden Lebens verklärt. De##
ohne Wissen des Anstaltsleiters herbeigerufen, der Pfar##e, der
Sterbenden die letzte Oelung zu geben. Der menschlich fühlende
Direktor Professor Dr. Bernhardi will den Glückstraum eines
armen Menschenkindes nicht durch das Erscheinen des Priesters
stören lassen und verweigert dem Pfarrer den Zutritt. Die
Folge ist, daß er wegen Religionsstörung angeklagt wird. Da
er Jude ist, wird der Vorfall von Antisemiten und Klerikalen
arch im Parlament ausgenutzt. Entsiellt und übertrieben er¬
scheint Bernhardis menschliches Vorgehen wirklich als ein
schweres Vergehen im kirchlichen Sinne; er wird zu zwei Monaten
Kerkers verurteilt und tritt stolz seine Strafe an. Als Sieger
kehrt er aus dem Kerker wieder. Als eine Zeugin in dem Prozeß
sich selbst nachträglich des Meineides anklagt, widersetzt er sich
einer Wiederholung der Gerichtsverhandlung „in anderer
Beleuchtung“ und verzichtet auf den Ruhmesglanz des gerecht¬
fertigten Triumphators. Die Aufführung der Komödie war
musterhaft und ließ die Polemik, die der Dichter nicht über¬
wunden hat, in einer genußreichen Kunstleistung der Dar¬
steller verblassen. Bruno Decarl: hatte den warmen
menschlichen Ton für den Gefühlsfanatiker Professor Bernhardi
und ließ durch Heiterkeit und Ironie die Wärme des Herzens
leuchten. Seinen Gegenfüßler, den Pfarrer Reder, verkörperte
Alfred Abel ale den Religionsfanatiker mit feiner Zurück¬
haltung; vielleicht gebührt ihm vor allee Dank für einen mensch¬
lichen Ausgleich von Anschauungsgegensätzen. Unter den
Medizinern des Elisabethinums war mancher köstliche,
gut beobachtete Typus, nur
es schwer, einzelne
nach dem Theaterzettel hervorzuheben, weil sie nicht al
Spezialisten etikettiert üver die Bühne gingen. So können
nur Robert Hartbergs pathologischer Anatom Dr.
Adler und Rudolf Klein=Rohdens Chirurg Dr. Eben¬
wald hervorgehoben werden. Den Vertreter des deutsch und
antiklerikal gesinnten Professors in der Maske Felix Dahns
kann ich leider nicht besonders namhaft machen. Ein Kabinett¬
stück bot Max Abel mit dem Salonanarchisten Hofrat im
Unterrichtsministerium Dr. Winkler. Max Landa als
Unterrichtsminister Professor Dr. Flink gab echtes Wienertum
in der gut durchgeführten Haltung des hohen Staatshamten.

Ausschnitt aus:
Prankturter Nnchrichten.
und lutelligens Platt
vom: 30 17 19
— Frankfurt u.
Kunst und Wissenschaft.
Schnitzlers „Professor Bernardi“, Schnitzlers
Agroßei“, die die Wiener
Zensur verboten hatte, fand nun am Donnerstag im
Berliner Kleinen Theater die Stätte einer sehr
guten Aufführung und einen ziemlich reichen, wenn
auch etwas forcierten Beifall. Von den seelischen
Problemen seines letzten Dramas kommt Schnitzler
in diesem lustigen Spiel zu derberen Farben und
einem halb satirisch gemeinten Zeitbild oder besser
gesagt zu einem Bild Wiens, wo es am wienerisch¬
sten ist. Ein Professor an einer Anstalt verbietet
dem Priester den Eintritt zu einer Sterbenden, weil
diese nicht an ihren Tod glaube und ihr durch den
Diener Gottes die Wahrheit nicht in letzter Stunde
enthüllt werden soll. Er ist ein Jude und seine
Gegner politischer und persönlicher Art beuten den
Fall zu einer Affäre aus, interpellieren im Hause
der Volksvertreter und Professor Bernardi wird
suspendiert und wegen Religionsstörung zu zwei Mo¬
naten Kerker verurteilt. Er nimmt die Sache nicht
ernst, trotzdem seine Freunde ihn zum Helden machen
wollen „und lehnt eine Wiederaufnahme des Verfah¬
rens ab, auch als die Hoffnung einer Freisprechung
besteht. Ein wenig ohne Ende endigt die Komödie.
Im Grunde ist sie kaum etwas mehr, als eine amu¬
fable und oft sehr gescheite Causerie über allerlei
Dinge politisch=seelischer Art. Dabei verfällt Schnitz¬
ler elwas in die Manier der Typenmalerei, verliebt
sich in Diskussionen über jüdische und antijüdische
Fragen, die er schon in seinem großen Roman in
aller Ausführlichkeit dargestellt hatte, und erschafft
eine Fülle guter und böser Charaktere vom strebe¬
rischen Kandidaten bis zum egoistischen und sehr
schön redenden Minister. Natürlich bewahrt ihn
sein außerordentlicher Geschmack davor, Schablonen
zzu malen — die Nuance ist auch in diesem neuesten
Stüg des Wieners das besondere Moment. De¬
kea#li gab den Professor gut, vielleicht in etwas zu
lgchter Auffassung. Landa als Minister
abel als Priester spielten mit anersennenz#rter
Kunst.
Unnf.