II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 46

25. Professor Bernhardi
ausschnitt Hannoverscher Courier
– 12 191.
von

——
Professor Bernhardi.
(Nachdruck verboten.)
Berlin, 1. Dezember.
So theatralisch ist uns Schnitzler noch nio gekommen. Es
fängt an wie ein ganz hansfestes Tendenzstück, stellt ein
aktuelles Problem und ordnet die Menschen kräftig nach
schwarz und weiß. Der Professor Vernhardi, Direktor des
großen Privatkrankenhaufes, Elisabethinum, will den Pfarver
mit der letzten Oelung nicht zum Bett eines Sterbenden
lgeen, der die „Euphorie“ den glücklichen Wahn voller Gesund¬
geit eingibt und die denn auch bei der bloßen Moldung von
der Anwosenheit des Pfarrers erschrickt, zusammenbricht und
stirbt. Dem Bernhardi aber wird aus seiner Haltung von
persönlichen Neidern und Berufspolitikern ein Strick ge¬
dreht, man drängt ihn aus dem Hause, das er selber ge¬
schaffen hat, und bringt ihn schließlich gar wegen Religions¬
störung ins Gefängnis. Das hat einen Schmiß und eine
Einfachheit im Zuschnitt wie der „Probekandidat“ und könnte
mit seinen intrigierenden Schurken und fabelhaft edlen
Gerlätsmenschen, seiner aufregenden Direktoriumssitzung und
seinen zahlreichen, höchst aufgeklärten, wenn auch nicht immer
neuen Witzen, eben solchen Bombenerfolg haben wie das
weiland berühmte Stück Max Dreyers vom heldenhaft dar¬
vinistischen Schullehrer. Aber dem Arthur Schnitzler kommt
allerlei in die Quere: seine Kultiviertheit, sein Geist, sein
Wienertum. Die Kultiviertheit hindert ihn, eine dem guten
Geschmack freilich fatale, aber immer wirksame Liebes¬
geschichte anzubringen, wie sie der Probekandidat hat. Dies
lange und personenreiche Stück hat beinahe gar kein Weib —
nur im ersten Akt tritt die hysterische Krankenschwester auf.
(Die im Verlauf Bernhardi mit falscher Aussage belastet und
zum Schluß durch ein Reuebekenntnis die Sache neu wenden
wird.) — Sein Geist verführt ihn bei jeder Gelegenheit in oft
amüsante, dramatisch aber tödliche Plaudereien abzuschweisen:
Bernhardi ist Jude, und so bekommen wir einige, aus
Schnitzlers „Weg ins Freis“ bekannte, nicht allzu tiefe Be¬
merkungen über die Judenfrage zu hören; Schnitzler ist Arzt
und so plaudert er einiges Sachkundige über medizinisches
Wesen — aber lange nicht so witzig wie ctwa Shaw in seinem
Aerztestück. — Vor allem aber ist Schnitzler ein Wiener, ein
Skeptiker, ein geborener Zuschauer und deshalb nicht der
Mann, ein robustes Tendenzstück mit ungeschwächter Energie
durchzuführen. Er ist nicht beschränkt genug, um wie Alltags¬
menschen den Schlagworten alter Ideen sich blind hinzugeben,
und er ist nicht stark genug, um wie geniale Menschen sich der
Leidenschaft für eine eigene neue Idee zu opfern. Mit in¬
telligenter Schwäche schaut er dem Kampf der andern skeptisch
zu. Er läßt jeden möglichen Gesichtspunkt ein wenig hinein
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spielen, seinen Helden auch ein wenig als Don Tulzole, seine
Gegner als bloß vernünftige Weltleute erscheinen; und
schließlich stellt er den Professor und den Priester zu einer
großen Szene zusammen, in der diese sich über den unüber¬
brückbaren Abgrund ihrer Weltanschauung respektvoll die
Hände reichen. Dieses sehr kluge Gespräch ist viel zu sehr
eingesetzte, geistreich ausgefeilte Szene, um die tragische
Stimmung, die in diesem weltgroßen Kontrast liegt, zu wecken;
sie ist nur momentan interessant und auf die Dauer lediglich
ein neuer Hemmschuh für den Elan des Tendenzstückes. Bei
diesem grobschlächtigen Stoff wirken überhaupt alle geistigen
und künstlerischen Qualitäten Schnitzlers nichts reinlich
Gutes, sie wirken nur wie stilistische Unsicherheiten, wie Ab¬
schwächung der angezeigten primitiven Wirkung. — In der
ausgezeichnelen Darstellung des „Kleinen Theaters“ hat das
Stück zunächst einen starken Publikumserfolg gehabt. Aber
ich glaube auf die Dauer wird es doch zu lang, zu breit, zu
uneinheitlich und zu kompliziert sein, um die Ehren eines
richtigen Reißers, nach denenlet doch nur zu sichtlich langt,
einzuheimsen. Und das ist gitt
dann schreibt Schnitzlers
vielleicht bald wieder Szenen##doen er sich liebevoll mit
Menschen, nicht schwach geist#ch#cht Perhemen beschäftigts
i, Tndend Aschpegene
Bb.
Aaillean
sschnitt auspziger Abendzeitung, Leipzig
— —
•3. DEZ 1912.
1:
—raufführung im
adt überlassent.
Artur Schnitzlors—Komodie—„Prosessok Bern¬
hardi“, die in Wien verboten wurde, fesselte
im Berliner Kleinen Theater durch den Stoff
und durch die Fülle echt wienerischer Gestalten, die
sie bevölkern. Der Konflikt, um den sich ein nur
allzu dichtes Gewebe politisch=ethischer Disputationen
legt, ist gleich vorausgestellt. Der berühmter Kli¬
niker Professor Bernhardi verweigert in dem von
ihm geleiteten Wohltätigkeitshospital, dem Elisa¬
bethinum, einem katholischen Geistlichen den Zutritt
zu einem sterbenden Mädchen, weil er der Ahnungs¬
losen nicht das Glück der letzten, von Genesungs¬
hoffnung erfüllten Stunde rauben lassen will.
Es kommt zur Anklage wegen Religionsstörung,
und infolge der Entstellung des Auftritts mit dem
Priester und infolge der falschen Aussage einer
Krankenschwester zu einer Verurteilung Bern¬
hardis. Der Arzt, der nur wieder Ruhe haben
will, verzichtet auf das Rechtsmittel der Berufung
und sitzt die Strafe ab. Esg ist für ihn ein ge¬
ringer Trost, daß der angeblich beleidigte Geistliche
ihm in einer Unterredung unter vier Augen guten
Glauben und beinahe noch mehr zubilligt.
Wedelinds „Franziska“ Aus München wird uns
geschrieben: „Ein Mustorium in # ##tend u#nnt 7.