II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 52

25. ProfessonBernba
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(Gaelieyengbe ohne Gewühs).
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Kunst, Wissenschaft und Literatur.
Aktur Schnitzlers Wiener Aerztelomödie „Professor
Bernhardi“wurde wie unser D. B.=Referent schreibt,
am Donnerstag im Berliner Kleinen Theater mit sehr
freundlichem Beifall ausgenommen. Der erste Akt gibt
lebensunmittelbare Bilder aus einem Wiener Hospital
und bringt die Szene, an die sich leider dann drei Akte
lang Disputationen über Gesinnungstüchtigkeit und
Gesinnungslumperei mit zionistischen und antise¬
mitischen Einschlägen heften. Der Leiter der von wohl¬
tätigen Stiftungen erhaltenen Krankenanstalt, der jü¬
dische Professor Bernhardi, verweigert einem katho¬
lischen Priester den Zutritt zu einem sterbenden Mäd¬
chen, weil die Patientin keine Ahnung von der Hoff¬
nungslosigkeit ihres Zustandes hat, und infolge der
sogenannten Euphorie, die sich zuweilen vor dem Ende
einstellt, gerade in der glückseligsten Gemütsverfassung
ist, deren Störung der Arzt für ein Verbrechen hält.
Sein Verhalten hat für ihn die peinlichsten Folgen,
und drei Aufzüge zeigen in sehr erregten und wort¬
reichen Auseinandersetzungen seiner Kollegen, wo seine
Getreuen und wo feine streberischen Neider stehen. Er
unterliegt, wenn er auch sein Haupt hochhält. Der
Unterrichtsminister, sein Jugendfreund, läßt ihn im
Parlament vor dem Ansturm der tlerikalen Majorität
fallen. Ja es kommt zu einer Anklage wegen Religions¬
störung und infolge einer falschen Aussage der Kranken
wied er vorurteilt. Den Kern des vierten
uktes bildet die Unterredung des gerichteten Arztes
mit dem Seelsorger und bringt eine feine, wenn auch
nicht bis zur letzten Klarheit vordringende Analyse der
Empfindungen, welche die beiden Männer bei jenem
Kampf um die Sterbende, bewußt und unbewußt, be¬
wegt haben. Der fünfte Aufzug ist erst der rechte
Schnitzler; er bringt die Erlösung vom allzu Rheto¬
rischen und Pathetischen, das doch in seinem innersten
Wesen recht glaubhaft war. Mit wirklich feiner Ironie
sagt sich Schnitzler von der engen Folgerichtigkeit seines
Helden los, der über dem Einzelfall doch das Schicksal
seines Lebenswerkes nicht bedacht hat. Die Handlung
gibt Schnitzler Gelegenheit, eine ganze Galerie von
Wiener Aerzten, Journalisten und Beamten zu spie¬
geln, und ist reich an geschmackvoll pointierten Dia¬
logen, die noch wirksamer wären, wenn Schnitzler sie
nicht hätte in die Breite fließen lassen. Die Darsteller
nahmen sich der Komödie mit ganzem Herzen an.
Bruno Decarli war ein gewinnend aufrichtiger und
aufrechter. Bernhardi. Alfred Abel sprach den jungen
Priester mit großer Besonnenheit. Das Publikum hielt
zu dem Sleptiker Schnitzler ebenso wie zu dem Rheto¬
riker und rief den anwesenden Dichter stürmisch applau¬
dierend vor die Rampe.
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Ausschnitt aus: Theater Courier. Berlin
5. 12.1912
vom:
Oll


Wahintttelne
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Berlin.
„Professor Bernhardi“ Komödie in 5 Akten von Arthur
Schnitzler—ettraufführung).
Kleines Theater. Ein merkwürdiger Zufall. Während
der künftige Direktor des Lessingtheaters, Viktor Barnowsky, den
von Brahm abgelehnten neuen Schnitzler zum Siege führt, schließt
Otto Brahm, der für so viele Dramen des Oesterreichers seine
Truppen und Kräfte ins Feld rücken ließ, seine Augen für immer.
Die neueste Komödie Schnitzlers schlägt gegenüber den letzten drama¬
tischen Werken allerdings ganz neue Töne an. Keine Spur von
Erotik und Liebe, Themen und Sujets, deren meisterhafte Behand¬
lung Schnitzlers letzte Werke verraten. Der neue Schnitzler paßte
nicht für den Brahmschen Geschmack; so überließ es Otto Brahm
seinem erwählten Nachfolger, dieses eigenartige Werk, das die
Charakterisierung als „Komödie“ ganz und gar nicht verdient,
herauszubringen.
Vorweg sei bemerkt, daß Schnitzler einen starken Erfolg er¬
zielte. Warmer und anhaltend starker Beifall rief den anwesen¬
den Dichter nach jedem Akt vor den Vorhang. —
Den Fünf¬
akter „Professor Bernhardi“ kann man mit Fug und Recht eine
wohlgelungene „Tragikomödie“ nennen. Es
gehört Schnitzlers¬
meisterhafte Dialogführung, seine souveräue Sprachbegabung dazu,
derartig ernste Probleme, wie sie im „Professor Bernhardi“ auf¬
gerollt werden, zu erörtern und zu einer nicht nur den Zuschauer
befriedigenden, sondern auch logischen Lösung zu führen. Das
Thema „Glaube und Wissenschaft“ erfährt eine Erörterung, die man
begreiflicherweise auf Wiener und österreichischen Bühnen nicht zu¬
lassen kann. Die Fabel des Stückes erweist das ganz unzwei¬
deutig. Professor Bernhardi, der leitende Arzt einer Geburts¬
klinik in Wien, verwehrt einem katholischen Priester den Zutritt
zum Sterbezimmer eines armen Mädchens, deren letzte selige Stunde,
in der sie auf ein glückliches Leben mit dem Geliebten zusammen in
voller Gesundheit hofft, er durch den die Sterbesakramente bringen¬
den Priester nicht stören will; daraus drehen klerikale und anti¬
semitische Kreise dem jüdischen Arzt einen Strick. Die Zeugenaus¬
sage einer hysterischen Krankenschwester veranlaßt den Kultus=Mi¬
nister, seinen Kollegen von der Justiz zu bestimmen, gegen Prof.
Bernhardi eine Untersuchung wegen Vergehens der Religions¬
störung einzuleiten, die zum Prozeß führt und mit der Verurtei¬
lung des Angeklagten zu zwei Monaten Kerker endigt, trotz der
Aussage des beteiligten Priesters, nach dessen Ueberzeugung Pro¬
fessor Bernhardi keine feindselige Demonstration gegen die katho¬
lische Kirche beabsichtigt habe. Als sich später herausstellt, daß
die Krankenschwester falsch aussagte, als sie behauptete, der Arzt
habe den Pfarrer von dem Sterbezimmer fortgestoßen, verzichtet
Professor Bernhardi auf ein Wiederaufnahmeverfahren. Bern¬
hardi ist nach wie vor von der Berechtigung seiner Handlungs¬
weise überzeugt; er hielt den Pfarrer nicht zurück, um eine Frage
lösen zu wollen, sondern, weil er überzeugt war, ein gutes und
richtiges Werk zu tun. Als er mit dem Hofrat des Kultus¬
ministeriums seine Angelegenheit bespricht und diesem zuruft: „Sie
in meinem Falle hätten genau so gehandelt!“, erwidert dieser
prächtige Mann, nach dessen Ansicht der Beamte nur die Wahl
hat, ein Trottel oder ein Anarchist zu sein: „Möglich, da wär ich
halt — grad' so ein Viech gewesen wie Sie.“ Mit dieser Charak¬
terisierung des Verhaltens Professor Bernhardis aus „Dummheit“.
schließt das Stück, dessen letzter Akt Schnitzlers Begabung für
gesstreihe und witzfunkelnde Dialoge aufs neue erweist, ab.
Die Aufführung war, wie das im Kleinen Theater nich
anders sein kann, ausgezeichnet. Es hieße, den ganzen Theater
zettel abschreiben, wollte man allen Leistungen der 19 Männer
rollen voll gerecht werden. Es seien nur Bruno Decarli (Leipzig
in der Titelrolle, der mir allerdings nicht alt genug für seins
Rolle erschien, Heinz Salfner als treudeutscher Mann, der seinen
Kollegen Bernhardi fest zur Seite steht, Mar Lando als Tyg¬
eines Ministers, der seiner Karrière zu Liebe vor gar nichts zus
rückschreckt, Alfred Abel als schlichter Pfarrer besonders genannt
Der einzigen ganz kurzen Frauenrolle des Stückes, der Kranken“
schwester, lieh Traute Carlsen viel Schlichtheit und Innerlichkeit
Ein paar Worte über die Bühnenbilder dürfen umsoweniges
fehlen, als Barnowski in nicht allzu ferner Zeit an bedeutungs¬
vollerer Stelle stehen wird. Das Krankenhauszimmer des ersten
Aktes gab den richtigen Hintergrund für die tragische Handlung
(Tod der Kranken) ab. Das Ordinationszimmer im Hause Berns#
hardis wirkte mit seinen vollbeladenen Bücherregalen und der¬
behaglichen Einrichtung, dem Dunkel seiner Wände sehr anheimelnds
Der Sitzungssaal im Krankenhaus wirkte verblüffend echt und
stilvoll. Weniger geschmackvoll war der Salon. Das Bürozimmer#
des letzten Aktes könnte in der Wirklichkeit nicht zweckdienlicher¬
Alle diese Faktoren ergeben eine Gesamt¬
eingerichtet sein.
aufführung, deren Erfolg, wie schon angedeutet, nicht ausbleb.
Johann Gottfried Haggss.