box 30/1
25. Professor Bernhandi
Ausschhlft aus
Suish tona 7
—
SE DE. 1972
vom:
Wer####
—
S
lebt man sich selbst ... so sehr ist das Leben unser aller ein
Austausch
Cheater
See, in den kein Stein fällt, ohne daß seine entferntesten Ufer¬
sie von jen
ränder beben. Nicht das Thematische reizt mich. Was ist es
weniger au
mir, daß Bernhardi ein Arzt und ein Jude, daß sein Wieder¬
Nicht de
Orofessor Bernbardi
sacher ein Priester ist? Daß sich der Liberale am Klerikalen
Schnitzler d
warmreibt und der Antisemit am Fortschrittsmann explodiert,
recht diekge
An Arthur=Schnitzlers Wollungen in den letzten Jahren
was ist er mir? Aber daß ich meinen Arm nicht bewegen
liberale Lei
gemessen, lebt im „Prösessik Vernhardi das Formproblem
werde, ohne einen Reflex davon in eine Straße Pekings zu
nicht Schni
des „Jungen Medardus“ weiter — aus einer Anekdote wächst
treiben (durch eben jene geheimnisvolle und höchst wahnsinnige
ein Drama heraus — aber es drücken auf diesem vor Gegen¬
schrittler
Macht, die nicht schreckenloser wird, wenn man sie Kausal¬
Nur
wart kreißenden, in jedem Molekül belebten Stücke keine toten
nerus nennt): diese Erkenntnis, die ich nach Kleist niemandem
Historismen; im „Jungen Medardus“ gab es manchen Feder¬
sa
verdankte, verdanke ich nach niemandem Schnitzler. Das Wun¬
hut, dr nur Garderobe war. Andererseits sind gewisse Seiten
dervollste, was der Naturalismus zeigte (nein: bildete, da Kunst
im „Professor Bernhardi“ von keiner geringeren Intimität
nicht zeigt) war, daß das Entfernteste auf mich wirkt. Berau¬
als die schönsten Partieen des „Weiten Landes“ ohne doch
schender nost ist die Erkenntnis — sie bejaht mich grenzenlos
Hohlräume mit Teegeschwätz ausfüllen zu müssen
Zwischen
daß auch ich auf das Entfernteste wirke, daß mein Handeln
leidiger Histoire-pour-Phistoire und leidigem Monde-vour¬
(mögen mich seine Folgen dann noch so bedipodeisch ver¬
le-monde ging Schnitzler sicher vorbei und schrieb ein Stück,
stricken) nicht untergeht. Und niemand fühlt, wie die Dichtung
das voller Geschichte und voller Gesellschaft ist, ein von
vom „Professor Bernhardi“ ganz voll ist von diesen Urdingen,
den Berlinern jedenfalls wunderbar unterschätztes Stück.
die jenseits alles Anekdotalen, Pragmatischen schweben? Und
Wenn ich jedoch (der ich dieses Stück nicht zu überschätzen
dabei ist hier nicht Kleist=Epigonismus, den, da dieser Dichter
hoffe) jetzt meiner berauschten Achtung, meinem seit der Ur¬
nicht ganz unbekannt ist, jeder empfunden haben würde, son¬
aufführung sich täglich steigernden Entzücken mit einem
dern, die man zu empfinden zögert, Kleist=Ebenbürtigkeit. Im
„Woher?“ kritisch nacheile, so finde ich, daß die Erkenntnis
einzelsten. Für tausend Jahre innerer Novellentechnik wird vor¬
von etwas rein Formphilologischem, diese schnitzlerhistorische
bildlich sein, wie harmlos das dae Katastrophenreihe auslösende
Seminarentdeckung von der Zusammenführung zweier Stile
Geschehnis im Michael Kohlhaas (das Zurückbehalten der
daran alleine nicht schuld sein kann.
Pferde) ursprünglich aussieht, ehe es Zähne, Klauen, Fänge
Dem Roßkamm Michael Kohlhaas — erzählte Kleist —
bekommt und wie ein Raubvogel über die erschrockene Zukunft
werden durch Junkerübermut zwei Pferde genommen;
stürzt: nur beobachtet einmal, wie wunderbar leise und schein¬
als er sie wiedererhält, sind sie (durch einen geheimnis¬
bar nichtssagend auch die Lawinenkern=Szene bei Schnitzler
vollen Wahnsinn des Weltlaufs, den man nicht schrecken¬
(das Rekontre zwischen Bernhardi und dem Priester) vor sich
loser macht, wenn man ihn Kausalnexus nennt) be¬
geht. Parturit mus, nascuntur montes.
hangen mit vielhundert Leichen und seinem eigenen Tode.
Aber das weitaus größte an dieser großen Dichtung ist nicht
Daß ein Ding, eine Geringfügigkeit, ein Nihil seine
das Antlitz Kleists, zu dem ihre Züge sich manchmal zusammen¬
Umgebung, zuerst seine nächste, anstößt, sich mit ihr
schließen, sondern die wunderbare Verwandlung, die aus diesem
amalgamiert, durch das Umliegende hinrollt, Interessen,
Gesicht langsam die Züge Shaws macht. Denn auch hier: Eben¬
m
Menschen, Meinungen, Taten reißend ansaugt und Lawine
bürtigkeit. Wen der Roßkamm in seiner tausendfüßigen
was
wird — la naissante d’ une affaire
hat seit Kleist
Seitenlic
Macht sich auf die tausendfüßige Macht des Junkers, den Staat,
niemand so bedeutend gebildet wie Schnitzler im „Professor
stürzt, so sind es immerhin zwei Willen, die auf einander platzen.
menschlichte:
Bernhardi“. Dieser Leiter eines großen Krankenhauses weist
An der Perpherie beider Sterne mögen manche Moleküle
diesen Szen
einen Priester, der gekommen ist einer Sterbenden die Sakra¬
lässiger denken, die beiden Zentren eilen jedenfalls aus wütend¬
ganz bekann
mente zu bringen, mit dem Bedeuten von der Schwelle, daß
stem Willen gegeneinander. Aber Bernhardi? Aber der Priester?
manchmal e
die Sterbende den Tod nicht erwarte und ihn auch nie er¬
Schnitzler ist in den genialen Einfall geraten, daß diese beiden
hoffnungen
fahren würde; er sei für das Glück seiner Kranken verantwort¬
Lawinenferne eigentlich nicht Lawinenkerne sein wollen, daß
etwas Süßes
lich und verbiete den Eintritt eines Menschen, der, sei es auch
ein Blumen
sie eigentlich Quietisten sind, daß sie am liebsten von innen aus
aus den heiligsten Ueberzeugungen, daran nimdere. Das Mäd¬
und der
gegen ihre Peripherie, ihre Anhänger, revoltieren möchten.
chen stirbt ohne den Kirchentrost, die Freunde des Priesters
Die Szene, in der sie sich dies gegenseitig entdecken, und sich
hervorbringt
gehen hin und denunzieren Vernhardi wegen Religionsver¬
nowskys ist
beide zaghaft zu nähern beginnen (Bernhardi handelt denn
letzung, das Geschehnis dringt aus den Mauern des Kranken¬
später nach seiner Erkenntnis, während der Priester, teilweise
den Willen
hauses und frißt sich tief ins Herz der Parteien. Ein Wort¬
aus Feigheit, teilweise aus heroischem Politismus schließlich
Unzulänglich
wechsel zwischen zwei Menschen — Parlamentskonflikt, Ge¬
in seiner einmal angenommenen Meinungskugel verbleibt) hat führung wi
längnis, Staatsstreich. So ist man verkettet... so wenig man edelmuttriefend genannt, weil man darin einen seltenen 1 D
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25. Professor Bernhandi
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lebt man sich selbst ... so sehr ist das Leben unser aller ein
Austausch
Cheater
See, in den kein Stein fällt, ohne daß seine entferntesten Ufer¬
sie von jen
ränder beben. Nicht das Thematische reizt mich. Was ist es
weniger au
mir, daß Bernhardi ein Arzt und ein Jude, daß sein Wieder¬
Nicht de
Orofessor Bernbardi
sacher ein Priester ist? Daß sich der Liberale am Klerikalen
Schnitzler d
warmreibt und der Antisemit am Fortschrittsmann explodiert,
recht diekge
An Arthur=Schnitzlers Wollungen in den letzten Jahren
was ist er mir? Aber daß ich meinen Arm nicht bewegen
liberale Lei
gemessen, lebt im „Prösessik Vernhardi das Formproblem
werde, ohne einen Reflex davon in eine Straße Pekings zu
nicht Schni
des „Jungen Medardus“ weiter — aus einer Anekdote wächst
treiben (durch eben jene geheimnisvolle und höchst wahnsinnige
ein Drama heraus — aber es drücken auf diesem vor Gegen¬
schrittler
Macht, die nicht schreckenloser wird, wenn man sie Kausal¬
Nur
wart kreißenden, in jedem Molekül belebten Stücke keine toten
nerus nennt): diese Erkenntnis, die ich nach Kleist niemandem
Historismen; im „Jungen Medardus“ gab es manchen Feder¬
sa
verdankte, verdanke ich nach niemandem Schnitzler. Das Wun¬
hut, dr nur Garderobe war. Andererseits sind gewisse Seiten
dervollste, was der Naturalismus zeigte (nein: bildete, da Kunst
im „Professor Bernhardi“ von keiner geringeren Intimität
nicht zeigt) war, daß das Entfernteste auf mich wirkt. Berau¬
als die schönsten Partieen des „Weiten Landes“ ohne doch
schender nost ist die Erkenntnis — sie bejaht mich grenzenlos
Hohlräume mit Teegeschwätz ausfüllen zu müssen
Zwischen
daß auch ich auf das Entfernteste wirke, daß mein Handeln
leidiger Histoire-pour-Phistoire und leidigem Monde-vour¬
(mögen mich seine Folgen dann noch so bedipodeisch ver¬
le-monde ging Schnitzler sicher vorbei und schrieb ein Stück,
stricken) nicht untergeht. Und niemand fühlt, wie die Dichtung
das voller Geschichte und voller Gesellschaft ist, ein von
vom „Professor Bernhardi“ ganz voll ist von diesen Urdingen,
den Berlinern jedenfalls wunderbar unterschätztes Stück.
die jenseits alles Anekdotalen, Pragmatischen schweben? Und
Wenn ich jedoch (der ich dieses Stück nicht zu überschätzen
dabei ist hier nicht Kleist=Epigonismus, den, da dieser Dichter
hoffe) jetzt meiner berauschten Achtung, meinem seit der Ur¬
nicht ganz unbekannt ist, jeder empfunden haben würde, son¬
aufführung sich täglich steigernden Entzücken mit einem
dern, die man zu empfinden zögert, Kleist=Ebenbürtigkeit. Im
„Woher?“ kritisch nacheile, so finde ich, daß die Erkenntnis
einzelsten. Für tausend Jahre innerer Novellentechnik wird vor¬
von etwas rein Formphilologischem, diese schnitzlerhistorische
bildlich sein, wie harmlos das dae Katastrophenreihe auslösende
Seminarentdeckung von der Zusammenführung zweier Stile
Geschehnis im Michael Kohlhaas (das Zurückbehalten der
daran alleine nicht schuld sein kann.
Pferde) ursprünglich aussieht, ehe es Zähne, Klauen, Fänge
Dem Roßkamm Michael Kohlhaas — erzählte Kleist —
bekommt und wie ein Raubvogel über die erschrockene Zukunft
werden durch Junkerübermut zwei Pferde genommen;
stürzt: nur beobachtet einmal, wie wunderbar leise und schein¬
als er sie wiedererhält, sind sie (durch einen geheimnis¬
bar nichtssagend auch die Lawinenkern=Szene bei Schnitzler
vollen Wahnsinn des Weltlaufs, den man nicht schrecken¬
(das Rekontre zwischen Bernhardi und dem Priester) vor sich
loser macht, wenn man ihn Kausalnexus nennt) be¬
geht. Parturit mus, nascuntur montes.
hangen mit vielhundert Leichen und seinem eigenen Tode.
Aber das weitaus größte an dieser großen Dichtung ist nicht
Daß ein Ding, eine Geringfügigkeit, ein Nihil seine
das Antlitz Kleists, zu dem ihre Züge sich manchmal zusammen¬
Umgebung, zuerst seine nächste, anstößt, sich mit ihr
schließen, sondern die wunderbare Verwandlung, die aus diesem
amalgamiert, durch das Umliegende hinrollt, Interessen,
Gesicht langsam die Züge Shaws macht. Denn auch hier: Eben¬
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Menschen, Meinungen, Taten reißend ansaugt und Lawine
bürtigkeit. Wen der Roßkamm in seiner tausendfüßigen
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Seitenlic
Macht sich auf die tausendfüßige Macht des Junkers, den Staat,
niemand so bedeutend gebildet wie Schnitzler im „Professor
stürzt, so sind es immerhin zwei Willen, die auf einander platzen.
menschlichte:
Bernhardi“. Dieser Leiter eines großen Krankenhauses weist
An der Perpherie beider Sterne mögen manche Moleküle
diesen Szen
einen Priester, der gekommen ist einer Sterbenden die Sakra¬
lässiger denken, die beiden Zentren eilen jedenfalls aus wütend¬
ganz bekann
mente zu bringen, mit dem Bedeuten von der Schwelle, daß
stem Willen gegeneinander. Aber Bernhardi? Aber der Priester?
manchmal e
die Sterbende den Tod nicht erwarte und ihn auch nie er¬
Schnitzler ist in den genialen Einfall geraten, daß diese beiden
hoffnungen
fahren würde; er sei für das Glück seiner Kranken verantwort¬
Lawinenferne eigentlich nicht Lawinenkerne sein wollen, daß
etwas Süßes
lich und verbiete den Eintritt eines Menschen, der, sei es auch
ein Blumen
sie eigentlich Quietisten sind, daß sie am liebsten von innen aus
aus den heiligsten Ueberzeugungen, daran nimdere. Das Mäd¬
und der
gegen ihre Peripherie, ihre Anhänger, revoltieren möchten.
chen stirbt ohne den Kirchentrost, die Freunde des Priesters
Die Szene, in der sie sich dies gegenseitig entdecken, und sich
hervorbringt
gehen hin und denunzieren Vernhardi wegen Religionsver¬
nowskys ist
beide zaghaft zu nähern beginnen (Bernhardi handelt denn
letzung, das Geschehnis dringt aus den Mauern des Kranken¬
später nach seiner Erkenntnis, während der Priester, teilweise
den Willen
hauses und frißt sich tief ins Herz der Parteien. Ein Wort¬
aus Feigheit, teilweise aus heroischem Politismus schließlich
Unzulänglich
wechsel zwischen zwei Menschen — Parlamentskonflikt, Ge¬
in seiner einmal angenommenen Meinungskugel verbleibt) hat führung wi
längnis, Staatsstreich. So ist man verkettet... so wenig man edelmuttriefend genannt, weil man darin einen seltenen 1 D
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