II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 57

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25. Professor Bernhardi
und
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lebt man sich selbst ... so sehr ist das Leben unser aller ein
Austausch von „Gerechtigkeiten“ erblickte. In Wirklichkeit ist
See, in den kein Stein fällt, ohne daß seine entferntesten Ufer¬
sie von jenem tragischen Humor, der Shaw heißt — dabei viel
ränder beben. Nicht das Thematische reizt mich. Was ist es
weniger auftrumpfend, knochennackt und deiktisch.
mir, daß Bernhardi ein Arzt und ein Jude, daß sein Wieder¬
Nicht deiktisch zu sein: diese ihm stets teure Tugend köstete
sacher ein Priester ist? Daß sich der Liberale am Klerikalen
Schnitzler diesmal fast die Halswirbel. Es treiben da in dem
warmreibt und der Antisemit am Fortschrittsmann explodiert,
recht dickgeschwollenen zweiten und dritten Alt recht zahlreiche
tten Jahren
was ist er mir? Aber daß ich meinen Arm nicht bewegen
liberale Leitartikel herum, häßliche Geschwülste — konnte da
Formproblem
werde, ohne einen Reflex davon in eine Straße Pekings zu
nicht Schnitzler demonstrativer gestalten, daß ihm der Fort¬
Eldote wächst
treiben (durch eben jene geheimnisvolle und höchst wahnsinnige
schrittler genau so gleichgiltig sei wie der Christlichsoziale?
vor Gegen¬
Macht, die nicht schreckenloser wird, wenn man sie Kausal¬
Nunmehr verwechselten ihn die Morgenblätter (ja; ungestraft
e keine toten
nexus nennt): diese Erkenntnis, die ich nach Kleist niemandem
schreibt man die Antithese „Kirchenbau — Krankenhausbau“
nchen Feder¬
eben heute nicht mehr hin, Herr Doktor!) mit ... Anton
verdankte, verdanke ich nach niemandem Schnitzler. Das Wun¬
wisse Seiten
dervollste, was der Naturalismus zeigte (nein: bildete, da Kunst
Ohorn, und ein Vergleich mit Anton Ohorn kann da dieser
n Intimität
Autor viel aufklärender, freiheitlicher, lichtbringender schreibt,
nicht zeigt) war, daß das Entfernteste auf mich wirkt. Beran¬
ohne doch
schender nost ist die Erkenntnis — sie bejaht mich grenzenlos
immer nur zu Ungunsten Schnitzlers ausfallen. Aber im
Zwischen
Ernst: daß Schnitzler überhaupt soweit mißverstanden werden
daß auch ich auf das Entfernteste wirke, daß mein Handeln
Monde-pour-
konnte, spricht sehr gegen ihn; von dem Lob der Bürger, min¬
(mögen mich seine Folgen dann noch so bedipodeisch ver¬
b ein Stück,
stricken) nicht untergeht. Und niemand fühlt, wie die Dichtung
destens zwei Akte lang ein liberales Thsenstück geschrieben zu
ein von
haben, wird kein ehrlicher Anwalt ihn reinwaschen können.
vom „Professor Bernhardi“ ganz voll ist von diesen Urdingen,
Stück.
die jenseits alles Anekdotalen, Pragmatischen schweben? Und
Recht um die Hälfte stürzt damit das Werk das „Professors
überschätzen
dabei ist hier nicht Kleist=Epigonismus, den, da dieser Dichter
Bernhardi“ herunter. Es ist sehr schade. Gerne hätte man
seit der Ur¬
in einem Kunstwerk von so großen Maßen diese Kleinlichkeit
nicht ganz unbekannt ist, jeder empfunden haben würde, son¬
mit einem
vermißt..
dern, die man zu empfinden zögert, Kleist=Ebenbürtigkeit. Im
Erkenntnis
einzelsten. Für tausend Jahre innerer Novellentechnik wird vor¬
Wäre dem Regisseur Barnowsky bisher nichts anderes ein¬
lerhistorische
bildlich sein, wie harmlos das dae Katastrophenreihe auslösende
gefallen als dies: während der Streit zwischen Bernhardi und
zweier Stile
Geschehnis im Michael Kohlhaas (das Zurückbehalten der
dem Pfarrer zum heiligen Florian ausbricht, die übrigen
Pferde) ursprünglich aussieht, ehe es Zähne, Klauen, Fänge
Schauspieler wegzuhalten, sie mit Kleinigkeiten zu beschäftigen,
te Kleist -
bekommt und wie ein Raubvogel über die erschrockene Zukunft
so daß sie nicht zuhören — dadurch wird nicht etwa, materia¬
genommen;
stürzt: nur beobachtet einmal, wie wunderbar leise und schein¬
listisch, nur dargetan, daß diese Szene widersprechende Zeugen¬
geheimnis¬
bar nichtssagend auch die Lawinenkern=Szene bei Schnitzler
aussagen später aufweisen kann, sondern, daß dies Geschehnis
cht schrecken¬
(das Rekontre zwischen Bernhardi und dem Priester) vor sich
selbst ursprünglich ganz geringfügig, unwichtig, ungefährlich
nennt) be¬
geht. Partarit mus, nascuntur montes.
auch den Darumstehenden erscheint — wäre diesem Regisseur
igenen Tode.
sonst nie etwas gelungen, er wäre schon der Einzige in Berlin,
Aber das weitaus größte an dieser großen Dichtung ist nicht
Nihil seine
der neben Reinhardt in Betracht kommt. Er brachte diesmal
das Antlitz Kleists, zu dem ihre Züge sich manchmal zusammen¬
mit ihr
mit den Seinen (Adalbert, Landa, Klein=Rhoden, Marx, Platen,
schließen, sondern die wunderbare Verwandlung, die aus diesem
Interessen,
Herzfeld, Gottowt, Abel) alles, aber auch restlos alles heraus,
Gesicht langsam die Züge Shaws macht. Denn auch hier: Eben¬
und Lawine
was Schnitzler wollte; sämtliche Halbstimmen, Zwischentöne,
bürtigkeit. Wen der Roßkamm in seiner tausendfüßigen
seit Kleist
Seitenlichter. Er sorgte nicht nur, daß sich der Leitartikel ver¬
Macht sich auf die tausendfüßige Macht des Junkers, den Staat,
„Professor
menschlichte: er übersah auch nicht die kleinen Lieblichkeiten in
stürzt, so sind es immerhin zwei Willen, die auf einander platzen.
hauses weist
diesen Szenen. Wenn das Wort Euphorie auftauchte — die
An der Perpherie beider Sterne mögen manche Moleküle
ndie Sakra¬
ganz bekannte Bezeichnung eines Zustandes, der vor dem Tode
lässiger denken, die beiden Zentren eilen jedenfalls aus wütend¬
Schwelle, daß
manchmal eintritt und der dem Kranken die süßesten Lebens¬
stem Willen gegeneinander. Aber Bernhardi? Aber der Priester?
auch nie er¬
hoffnungen vorgankelt — so war es, als ob sich auf einmal
Schnitzler ist in den genialen Einfall geraten, daß diese beiden
verantwort¬
etwas Süßes, Wohlduftendes in diesem Aerztezimmer verbreite:
Lawinenferne eigentlich nicht Lawinenkerne sein wollen, daß
,sei es auch
ein Blumenstrauß mochte, verborgen in einem einzigen Worte
sie eigentlich Quietisten sind, daß sie am liebsten von innen aus
Das Mäd¬
und der Spiegelung, die es auf den Gesichtern der anderen
gegen ihre Peripherie, ihre Anhänger, revoltieren möchten.
des Priesters
hervorbringt, vorübergetragen worden sein. — Die Tat Bar¬
Die Szene, in der sie sich dies gegenseitig entdecken, und sich
Religionsver¬
nowskys ist um so höher anzuschlagen, als sie entschieden gegen
beide zaghaft zu nähern beginnen (Bernhardi handelt denn
des Kranken¬
den Willen seines Hauptdastellers Decarli erfolgte, in dessen
später nach seiner Erkenntnis, während der Priester, teilweise
Ein Wort¬
Unzulänglichkeit, ohne den Regisseur die Vorzüge dieser Auf¬
aus Feigheit, teilweise aus heroischem Politismus schließlich
konflikt, Ge¬
in seiner einmal angenommenen Meinungskugel verbleibt) hat) führung wie in ein Vakuum hineingestürzt wären.
so wenig man edelmuttriefend genannt, weil man darin einen seltenen 1 U.mr Heinrich Eduard Jacob.