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25 Professor Bernbandi
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Arthur Eloesser, Schnitzler und Sohn
Zügen, die aber doch zu sehr durch Literatenhände
Der Mann der Wissenschaft und der Mann
geformt worden sind. Auch der Hofrat, der den Sa¬
der Kirche haben beide ihre Pflicht getan; darüber
loranarchisten spielt, um das ganze Treiben auf den
einigen sie sich als vornehme Charaktere, indem
sie sich einen Augenblick, wie es etwas melo¬
letzten Witz bringen zu können, stempelt sich zu offen¬
dramatisch heißt, über den Abgrund hinweg die
sichtlich mit der Marke aus Schnitzlers ironischer Ge¬
dankenfabrik; er hat im „Grünen Kakadu“ mit ge¬
Hand reichen. Meiner Meinung nach darf der
lassener Neugierde verkehrt. Aber wenn auch die
Priester einen Pflichtenkreis, der gegen die Ge¬
Existenz aller dieser Leute mehr in eine aktuelle
bote der Kirche gleichen Rang behauptet, durchaus
österreichische Wirklichkeit als in eine beständige und
nicht anerkennen, und ich hätte die ganze Szene gern
weiter zu verbreitende Tiefe des Menschlichen hinab¬
entbehrt, die sich eigentlich mit der Frage hätte aus¬
reicht, man muß Arthur Schnitzler beglückwünschen,
füllen müssen, ob es einen persönlichen Gott und
daß er sich als Fünfzigjähriger aus der etwas weichen
ein individuelles Fortleben nach dem Tode gibt. Oder
und dumpfen Atmosphäre der späten Liebeleien in
die nur eine gewisse Notwendigkeit für sich gehabt
die scharfe Zugluft des öffentlichen Lebens hinaus
hätte, wenn dem forschenden Menschen und dem gläu¬
gewagt hat.
bigen Menschen etwas fehlt, so daß beide mit einem
ungeklärten und uneingestandenen Verlangen in das
Reich des anderen hinüberschauen. Aber Schnitzler
„Aber die Poesie kann doch, zum Glück, farbig
schrieb kein philosophisches und kein religiöses Drama,
sein. Die Poesie ist doch so ein kleines Fenster
was wir ihm gar nicht verübeln wollen, keinen Uriel
mit der Aussicht auf das Märchen und auf die
Ewigkeit — wie der Traum, wie die Kindheit. Möge
Acosta und keinen Kohlhaasschen Kampf ums Recht;
es doch wenigstens in der Kunst solche Momente
denn dieser Bernhardi zeigt sich viel zu geschmack¬
geben, in denen tausenderlei duftet — in denen gleich¬
voll, um in einer Zeit, da auch für die Juden
zeitig Engelchen weinen und Teufelchen kichern.“ So
keine Scheiterhaufen mehr brennen, die Würde eines
schreibt Thaddäus Rittner, der von Österreich
Märtyrers zu beanspruchen. Er will seine Ruhe haben
stark empfohlen wird, in einem persönlichen Pro¬
vor Feinden und Freunden, um möglichst ungestört
gramm, und man sollte nun erwarten, daß er mit
sanften, wundertätigen Händen ein warmes Stück
sich gleichsam durch das ganze Drama, daß er als
Leben an seine Dichterbrust zieht, und daß in dieser
feiner ruhiger Mann ein Drama angezettelt habe.
liebevollen Hut die deutsche Tragikomödie flügge
Plötzlich ist überall Gesinnung da. Die Arzte, die
wird, nach der Michel sich schon so lange sehnt.
sich um ihre Patienten kümmern sollten, geben alle
Symptome politischer Vergiftung von sich, und in
und phantastisch ist, das unversehrte Leben als das
einer Skala von größter Vollständigkeit, von außer¬
reine Märchen. Diese Absicht läßt sich in Rittners
ordentlich erfinderischer und treffsicherer Satire steigt
Komödie wohl noch merken, aber auch nur die Absicht.
das Gesinnungsfieber bei den Liberalen und Kleri¬
In Wahrheit hat er Literatur gemacht, teils Schnitz¬
kalen, bei den Zionisten und Antisemiten, bei den
ler, von dem er unabsichtlich die weichen, schwebenden
Heuchlern und Strebern. Das ist Österreich, min¬
Sätze nimmt, ohne den er überhaupt kaum zu denken
destens Wien, und das ist eine Satire, wie sie
ist, und noch viel Alteres, was eigentlich schon ver¬
Deutschland vielleicht noch nicht hatte. Der Dichter
gessen worden war. Im siebzehnten oder achtzehnten
wirft mit seiner Affäre Bernhardi einen Köder hin
Jahrhundert hätte dieses Stück wahrscheinlich „Der
und nun läßt er alle schnappen, wie es ihm die wirk¬
Schüchterne“ geheißen. Das ist ja der Held der
lichste Wirklichkeit gesagt hat. Selten habe ich ein
alten Charakterkomödie, der von dem einen wesent¬
realistischeres Stück gesehen, nicht ein naturalistisches:
denn die Menschen werden nur in der Aktion, nur
lichen Zuge existieren kann, wie dieser Hans Torup,
ein Feigling vor den Frauen, der plötzlich zum Teufel
von der einen Seite gezeigt, nicht in der Ruhe des
Zuständlichen oder in ihrer Einsamkeit. Wollten wir
wird, weil ein eifersüchtiger Arzt ihn zum Tode
länger und tiefer mit ihnen verkehren, so würde es
verurteilt hat. Nun wird ihm die Schule des Lebens,
Bedenklichkeit und Verantwortung geschenkt, nun
sich wahrscheinlich zeigen, daß man nicht um sie
braucht er nach dem Sommer keinen Herbst mehr
herum gehen kann, weil sie mehr durch den Schnitt
zu fürchten. Bis er den Schwindel des Medizin¬
der Silhouette als durch runde plastische Eristenz
gekennzeichnet sind.
mannes entdeckt und der Schüchterne wieder schüchtern
Aber auf die Physiognomie versteht er sich
wird. Aber das Stück wurde im zwanzigsten Jahr¬
meisterlich. All diese arischen und semitischen Arzte,
hundert nach Schnitzler geschrieben, und nun füllt es
die Gesinnungstüchtigen, Gesinnungslosen, die stets
sich mit einem süßen Lyrismus, mit einer Schwär¬
Gereizten, stets Lauen, die mit der zottigen Hoch¬
merei von reifen, schweren Sommertagen, von wehen¬
den Frauengewändern, von Getändel und Gekose
brust, die durch wissenschaftliche Objektivität Ent¬
mannten, sie stecken nur die Nase ins Stück, aber
und faltergleichem Getaumel. Nur daß die beiden
es sind zwanzig eigenartige Nasen, die man nicht
Enden nicht zusammengebracht sind; der Witz wird
verwechseln kann. Diese Leute sind um so besser,
lang gezogen, die Poesie nicht minder, und sie kom¬
je fertiger sie sich vorstellen mit einer entschlossenen
men doch nicht zusammen, weil sie nicht ausreichen.
Wenn Thaddäus Rittner noch sehr jung wäre, müßte
Lokalfarbe, deren Gesamtheit und Kunterbunt die
man ihm sagen, daß ein Shakespeare dazu gehört,
künstlerisch wohlberechnete Farblosigkeit des Helden,
um aus Sommerfäden der träumenden Seele ihre
der kein Held sein will, überschreien muß. Meine
Kleider zu weben, die beim Erwachen nicht zerreißen.
Zweifel gehen gegen die Figuren, die sich Zeit gönnen,
die sich erklären und rechtfertigen, warum sie ins
Aber er ist alt genug, um sich das selbst schon sagen
Schillern gekommen sind, so gegen den Minister, der
zu können.
einst rot war, einen politischen Schlaukopf mit feinen
Arthur Eloesser.
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25 Professor Bernbandi
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Arthur Eloesser, Schnitzler und Sohn
Zügen, die aber doch zu sehr durch Literatenhände
Der Mann der Wissenschaft und der Mann
geformt worden sind. Auch der Hofrat, der den Sa¬
der Kirche haben beide ihre Pflicht getan; darüber
loranarchisten spielt, um das ganze Treiben auf den
einigen sie sich als vornehme Charaktere, indem
sie sich einen Augenblick, wie es etwas melo¬
letzten Witz bringen zu können, stempelt sich zu offen¬
dramatisch heißt, über den Abgrund hinweg die
sichtlich mit der Marke aus Schnitzlers ironischer Ge¬
dankenfabrik; er hat im „Grünen Kakadu“ mit ge¬
Hand reichen. Meiner Meinung nach darf der
lassener Neugierde verkehrt. Aber wenn auch die
Priester einen Pflichtenkreis, der gegen die Ge¬
Existenz aller dieser Leute mehr in eine aktuelle
bote der Kirche gleichen Rang behauptet, durchaus
österreichische Wirklichkeit als in eine beständige und
nicht anerkennen, und ich hätte die ganze Szene gern
weiter zu verbreitende Tiefe des Menschlichen hinab¬
entbehrt, die sich eigentlich mit der Frage hätte aus¬
reicht, man muß Arthur Schnitzler beglückwünschen,
füllen müssen, ob es einen persönlichen Gott und
daß er sich als Fünfzigjähriger aus der etwas weichen
ein individuelles Fortleben nach dem Tode gibt. Oder
und dumpfen Atmosphäre der späten Liebeleien in
die nur eine gewisse Notwendigkeit für sich gehabt
die scharfe Zugluft des öffentlichen Lebens hinaus
hätte, wenn dem forschenden Menschen und dem gläu¬
gewagt hat.
bigen Menschen etwas fehlt, so daß beide mit einem
ungeklärten und uneingestandenen Verlangen in das
Reich des anderen hinüberschauen. Aber Schnitzler
„Aber die Poesie kann doch, zum Glück, farbig
schrieb kein philosophisches und kein religiöses Drama,
sein. Die Poesie ist doch so ein kleines Fenster
was wir ihm gar nicht verübeln wollen, keinen Uriel
mit der Aussicht auf das Märchen und auf die
Ewigkeit — wie der Traum, wie die Kindheit. Möge
Acosta und keinen Kohlhaasschen Kampf ums Recht;
es doch wenigstens in der Kunst solche Momente
denn dieser Bernhardi zeigt sich viel zu geschmack¬
geben, in denen tausenderlei duftet — in denen gleich¬
voll, um in einer Zeit, da auch für die Juden
zeitig Engelchen weinen und Teufelchen kichern.“ So
keine Scheiterhaufen mehr brennen, die Würde eines
schreibt Thaddäus Rittner, der von Österreich
Märtyrers zu beanspruchen. Er will seine Ruhe haben
stark empfohlen wird, in einem persönlichen Pro¬
vor Feinden und Freunden, um möglichst ungestört
gramm, und man sollte nun erwarten, daß er mit
sanften, wundertätigen Händen ein warmes Stück
sich gleichsam durch das ganze Drama, daß er als
Leben an seine Dichterbrust zieht, und daß in dieser
feiner ruhiger Mann ein Drama angezettelt habe.
liebevollen Hut die deutsche Tragikomödie flügge
Plötzlich ist überall Gesinnung da. Die Arzte, die
wird, nach der Michel sich schon so lange sehnt.
sich um ihre Patienten kümmern sollten, geben alle
Symptome politischer Vergiftung von sich, und in
und phantastisch ist, das unversehrte Leben als das
einer Skala von größter Vollständigkeit, von außer¬
reine Märchen. Diese Absicht läßt sich in Rittners
ordentlich erfinderischer und treffsicherer Satire steigt
Komödie wohl noch merken, aber auch nur die Absicht.
das Gesinnungsfieber bei den Liberalen und Kleri¬
In Wahrheit hat er Literatur gemacht, teils Schnitz¬
kalen, bei den Zionisten und Antisemiten, bei den
ler, von dem er unabsichtlich die weichen, schwebenden
Heuchlern und Strebern. Das ist Österreich, min¬
Sätze nimmt, ohne den er überhaupt kaum zu denken
destens Wien, und das ist eine Satire, wie sie
ist, und noch viel Alteres, was eigentlich schon ver¬
Deutschland vielleicht noch nicht hatte. Der Dichter
gessen worden war. Im siebzehnten oder achtzehnten
wirft mit seiner Affäre Bernhardi einen Köder hin
Jahrhundert hätte dieses Stück wahrscheinlich „Der
und nun läßt er alle schnappen, wie es ihm die wirk¬
Schüchterne“ geheißen. Das ist ja der Held der
lichste Wirklichkeit gesagt hat. Selten habe ich ein
alten Charakterkomödie, der von dem einen wesent¬
realistischeres Stück gesehen, nicht ein naturalistisches:
denn die Menschen werden nur in der Aktion, nur
lichen Zuge existieren kann, wie dieser Hans Torup,
ein Feigling vor den Frauen, der plötzlich zum Teufel
von der einen Seite gezeigt, nicht in der Ruhe des
Zuständlichen oder in ihrer Einsamkeit. Wollten wir
wird, weil ein eifersüchtiger Arzt ihn zum Tode
länger und tiefer mit ihnen verkehren, so würde es
verurteilt hat. Nun wird ihm die Schule des Lebens,
Bedenklichkeit und Verantwortung geschenkt, nun
sich wahrscheinlich zeigen, daß man nicht um sie
braucht er nach dem Sommer keinen Herbst mehr
herum gehen kann, weil sie mehr durch den Schnitt
zu fürchten. Bis er den Schwindel des Medizin¬
der Silhouette als durch runde plastische Eristenz
gekennzeichnet sind.
mannes entdeckt und der Schüchterne wieder schüchtern
Aber auf die Physiognomie versteht er sich
wird. Aber das Stück wurde im zwanzigsten Jahr¬
meisterlich. All diese arischen und semitischen Arzte,
hundert nach Schnitzler geschrieben, und nun füllt es
die Gesinnungstüchtigen, Gesinnungslosen, die stets
sich mit einem süßen Lyrismus, mit einer Schwär¬
Gereizten, stets Lauen, die mit der zottigen Hoch¬
merei von reifen, schweren Sommertagen, von wehen¬
den Frauengewändern, von Getändel und Gekose
brust, die durch wissenschaftliche Objektivität Ent¬
mannten, sie stecken nur die Nase ins Stück, aber
und faltergleichem Getaumel. Nur daß die beiden
es sind zwanzig eigenartige Nasen, die man nicht
Enden nicht zusammengebracht sind; der Witz wird
verwechseln kann. Diese Leute sind um so besser,
lang gezogen, die Poesie nicht minder, und sie kom¬
je fertiger sie sich vorstellen mit einer entschlossenen
men doch nicht zusammen, weil sie nicht ausreichen.
Wenn Thaddäus Rittner noch sehr jung wäre, müßte
Lokalfarbe, deren Gesamtheit und Kunterbunt die
man ihm sagen, daß ein Shakespeare dazu gehört,
künstlerisch wohlberechnete Farblosigkeit des Helden,
um aus Sommerfäden der träumenden Seele ihre
der kein Held sein will, überschreien muß. Meine
Kleider zu weben, die beim Erwachen nicht zerreißen.
Zweifel gehen gegen die Figuren, die sich Zeit gönnen,
die sich erklären und rechtfertigen, warum sie ins
Aber er ist alt genug, um sich das selbst schon sagen
Schillern gekommen sind, so gegen den Minister, der
zu können.
einst rot war, einen politischen Schlaukopf mit feinen
Arthur Eloesser.
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