II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 90

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25. Professer Bernhandi
1913. Nr. 14
395
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ist der erste Akt, mir sind die Szenen die liebsten,
da auf der Bühne des Kleinen Theaters der
in denen es sich nicht um das Waffenproblem
Schnitzlersche Professor Bernhardi den leise ironi¬
Gheater

handelt und das Politische, sondern um das Rein¬
D
schen Satz sprach: „Nein, wenn man denkt, daß
menschliche. Denn der politische Antisemitismus
manche Leute sozusagen gar nicht dazu kommen,
Arthur Schnitzlerhat eine Komödie ge¬
und der dramatisierte Liberalismus ergeben Rede¬
alle ihre Krankheiten zu erleben, man möchte an
schrieben, die keine Komödie ist, aber ein sehr
reien, Parlamentarismen, dramatische Odigkeiten.
der Vorsehung irre werden,“ schloß in einer
interessanter Schnitzler. Das Stück geht aus von
Vielleicht wäre einmal — von einem starken
Berliner Privatklinik der erfolgreich operierte
der Medizin und endet in der Politik; beginnt in
Hasser, der ein starker Könner sein müßte — jener
Otto Brahm, bis in die letzte Stunde über die
einer Klinik und klingt satirisch aus im Kultus¬
andre Antisemitismus zu dramatisieren, den
Schwere seines Leidens getäuscht, die klugen
ministerium. In Wien. Darum hat auch die
Nietzsche meinte, wenn er den Sklavenaufstand in
Augen für immer. Brahm hat sich um Schnitzler
Wiener Zensur die Aufführung gewehrt. Berlin
der Moral schalt: „Die Juden sind es gewesen, die
die größten Verdienste erworben, hat seine Dramen
ist liberaler. Das Kleine Theater hat den „Pro¬
gegen die aristokratische Wertgleichung (gut=vor¬
in den mustergültigen Vorstellungen seiner vom
fessor Bernhardi“ zu Wort kommen lassen;
nehm=mächtig=schön=glücklich=gottgeliebt) mit einer
höchsten künstlerischen Ernst geleiteten Bühne —
und daß er, wie Schnitzler, nicht nur ursprünglich
furchteinflößenden Folgerichtigkeit die Umkehrung
erst des Deutschen, dann des Lessingtheaters — her¬
Arzt und immer human denkender Mensch,
gewagt und mit den Zähnen des abgründlichsten
ausgebracht. Die Komödie vom Professor Bern¬
sondern auch geborener Jude und betonter Libe¬
Hasses (des Hasses der Ohnmacht) festgehalten
hardi, dem liberalen Juden, der die katholische
raler ist, das hat — es muß gesagt werden — woh!
haben, nämlich, die Elenden sind allein die Guten,
Religion verletzt, nein „gestört“ haben soll, dieses
vor dem Berliner Parkett den Erfolg beträchtlich
die Armen, Ohnmächtigen Niedrigen sind allein
in Wien verbotene Stück, das ihm sicher zuerst an¬
verstärkt. Ein Erfolg, den die lange (im Buch, die Guten, die Leidenden, Entbehrenden, Kranken,
geboten war, hat er nicht gespielt: hat es dem
noch viel längere als auf der Bühne) Komödie als
Häßlichen sind auch die einzig Frommen, die einzig
Kleinen Theater (das sich ausgezeichnet aus der
Bekenntnis, ais Werk eines klugen Menschen? 'Ggttseligen, für sie allein gibt es Seligkeit — da= schwierigen Affäre zog) überlassen. Warum? Er
schilderers und Szenenbauers gewiß
selbst war von Geburt Jude, war im
verdiente; nicht so sehr als Theaterstück.
letzten Jahr aus der jüdischen Gemeinde
Als Theaterstück weist dieses medi¬
ausgetreten und wurde eine Zeitlang
zinisch=politische liberal=polemische, tra¬
als Aussichtsreichster unter den Kan¬
gisch=satirische Schauspiel, das Schnitzler
didaten für den durch den Tod Bergers
Komödie nennt und dem Andenken
n
erledigten Posten als Direktor der Burg
Max Burckhards widmet, manche Merk¬
genannt, der bekanntlich kein Jude sein
würdigkeiten auf. Es hat fünf Akte.
darf. Eine kleine höfliche Verbeugung
Das ist bei modernen Stücken schon
gegen Wien, den Klerikalismus, die
eine Seltenheit; sie bauen und wagen
Burg könnte in der Ablehnung des
selten mehr über drei Akte hinaus.
Schnitzlerschen Stückes gesehen werden.
Jeder Akt ist eben ein neues Eramen.
Aber Brahm, der ein Mann der Arbeit
Wer macht freiwillig immerzu ein
und klugen Erwägung, aber just kein
neues Eramen? (Dazu muß man schon
Mann der Förmlichkeiten war, lagen
ein chinesischer Mandarin sein. Und
die Verbeugungen gar nicht. Er muß
auch in China ist's, glaub' ich, jetzt stiller
von dem Stück nicht so viel gehalten,
geworden mit den ewigen Prüfungen.)
muß seine ungedämmte Rhetorik nicht
Dann weist das Stück zwei Dutzend
für so bühnenwirksam gehalten haben,
Personen auf, von denen nur sechse —
um dem Werk des oft geförderten
nicht den Doktortitel haben. Das ent¬
Freundes sein Haus zu öffnen. Am
spricht bald annähernd so den tatsäch¬
Tage der Premiere, die ihn gewiß als
2
lichen Verhältnissen in deuschen Adre߬
aufmerksamen Gast gesehen hätte, starb
büchern. Unter den vierundzwanzig
er. Starb nicht mehr als Jude, starb
Personen nur eine Frau, eine Kranken¬
nicht mehr als Kandidat der Burg (die
schwester. Und die hat nur ein Röll¬
wohl — wie im ähnlichen Fall Kainz —
chen im ersten Akt. Ein in Frankreich
von der Aussichtslosigkeit seines Zu¬
unmögliches Stück. Das Wort Liebe
standes längst überzeugt war), starb
im Sinne der Geschlechtsliebe“
als Schützling jener gütigen Bernhardi¬
kommt überhaupt nicht vor. Dafür
schen Pflichtauffassung: „Zu meinen
Nn
regt sich die Menschenliebe, die Liebe
Otto Brahm?
Pflichten gehört es, wenn nichts andres
Gottes regt sich nun ...
mehr in meinen Kräften steht, meinen
Von der Liebe Gottes, wenn man so will, von
gegen ihr, ihr Vornehmen und Gewaltigen, ihr seid
Kranken, wenigstens soweit als möglich, ein glück¬
dem, was die Menschen Gott und Liebe nennen,
in alle Ewigkeit die Bösen, die Grausamen, die
liches Sterben zu verschaffen..
handelt im Grunde das Stück. Es könnte eine
Lüsternen, die Unersättlichen, die Gottlosen, ihr
In dem kleinen, unscheinbaren Brahm ist ein
Komödie in fünf philosophischen Disputen werden.
werdet auch ewig die Unseligen, Verfluchten und
großer Bühnenleiter gestorben. Einer, der als
Aber hinter Glaube, Bekenntnis, Überzeugung
Verdammten sein!“... Von dieser Logik, diesem
Revolutionär begann, als Schillerhasser und
steht die Partei, die politische Partei. Hier auf¬
Kampf, dieser Partei findet sich nichts unter den
Naturalist sans phrase; einer, der als zäher Fest¬
geklärter Arzt — dort Geistlicher So steht der
Gegnern Bernhardis, unter den österreichischen
halter an gewonnenen Idealen lebte und sich doch
Konflikt, das Problem am Anfang. Die These:
Politikern und wissenschaftlichen Strebern, die
nicht schämte, Irrtümer seiner Jugend vornehm
darf ich einen ahnungslos Sterbenden erschrecken
Schnitzler schildert. Sie haben Blut von jenem
in Taten zurückzunehmen. Er war —

durch die Nachricht: Du wirst sterben! Der Arzt
Lessingschen Patriarchen Jerusalems, der neben
Harden, Schlenther, Schlaf — der Mitbegründer
denkt: aufhören zu leben; der Priester denkt: vor
der Abgeklärtheit des weisen Nathan die komische
der Freien Bühne, er war ihr Literarhistoriker,
Gott stehen. Aber hinter dem Arzt, der Jnde und
Figur macht. Als dem Assistenten Bernhardis, dem
er war ihr Vorkämpfer und Wortführer in der
liberal ist, stehen die Liberalen und Inden, die
tüchtigen jungen Dr. Pflugfelder, der pathologische
von ihm geleiteten Zeitschrift, die er Freie
Aufgeklärten und Gelehrten, hinter dem Priester
Anatom die vorsichtige Frage wie einen Spieß
Bühne taufte. Als er die erste Nummer am
stehen die Katholiken, die Antiliberalen, die Anti¬
hinhält: „Sie waren deutsch=nationaler Couleur¬
29. Jannar 1890 erscheinen ließ, schrieb er im
semiten. So wird aus der These ein dramatische
student?“ antwortet der junge Doktor hübsch und
Geleitwort: „Dem Naturalismus Freund, wollen
Konflikt. Fakultät und Parlamente und Gerichte
zuversichtlich: Und Antisemit.
Jawohl, Herr wir eine auf: Strecke Weges mit ihm schreiten,