II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 91

an
er
te
ie
en
enne e
Arthur Schnitzler hat eine Komödie ge¬
und der dramatisierte Liberalismus ergeben Rede¬
alle ihre Krankheiten zu erleben, man möchte a
schrieben, die keine Komödie ist, aber ein sehr
reien, Parlamentarismen, dramatische Odigkeiten.
der Vorsehung irre werden,“ schloß in eine
interessanter Schnitzler. Das Stück geht aus von
Vielleicht wäre einmal
von einem starken
Berliner Privatklinik der erfolgreich operiert
der Medizin und endet in der Politik; beginnt in
Hasser, der ein starker Könner sein müßte — jener
Otto Brahm, bis in die letzte Stunde über die
einer Klinik und klingt satirisch aus im Kultus¬
andre Antisemitismus zu dramatisieren, den
Schwere seines Leidens getäuscht, die kluge
ministerium. In Wien. Darum hat auch die
Nietzsche meinte, wenn er den Sklavenaufstand in
Augen für immer. Brahm hat sich um Schnitzle
Wiener Zensur die Aufführung gewehrt. Berlin
der Moral schalt: „Die Juden sind es gewesen, die
die größten Verdienste erworben, hat seine Drame
ist liberaler. Das Kleine Theater hat den „Pro¬
gegen die aristokratische Wertgleichung (gut=vor¬
in den mustergültigen Vorstellungen seiner von
fessor Bernhardi“ zu Wort kommen lassen;
nehm=mächtig=schön=glücklich=gottgeliebt) mit einer
höchsten künstlerischen Ernst geleiteten Bühne —
und daß er, wie Schnitzler, nicht nur ursprünglich
furchteinflößenden Folgerichtigkeit die Umkehrung
erst des Deutschen, dann des Lessingtheaters — her
Arzt und immer human denkender Mensch,
gewagt und mit den Zähnen des abgründlichsten
ausgebracht. Die Komödie vom Professor Bern
sondern auch geborener Inde und betonter Libe¬
Hasses (des Hasses der Ohnmacht) festgehalten
hardi, dem liberalen Juden, der die katholisch
raler ist, das hat — es muß gesagt werden — wohl
haben, nämlich, die Elenden sind allein die Guten,
Religion verletzt, nein „gestört“ haben soll, diese
vor dem Berliner Parkett den Erfolg beträchtlich
die Armen, Ohnmächtigen, Niedrigen sind allein
in Wien verbotene Stück, das ihm sicher zuerst an
verstärkt. Ein Erfolg, den die lange (im Buch
die Guten, die Leidenden, Entbehrenden, Kranken,
geboten war, hat er nicht gespielt; hat es den
noch viel längere als auf der Bühne) Komödie als
Häßlichen sind auch die einzig Frommen, die einzig
Kleinen Theater (das sich ausgezeichnet aus de
Bekenntnis, als Werk eines klugen Menschen¬
WGgttseligen, für sie allein gibt es Seligkeit — da¬
schwierigen Affäre zog) überlassen. Warum? E
schilderers und Szenenbauers gewiß
selbst war von Geburt Jude, war in
verdiente; nicht so sehr als Theaterstück.
letzten Jahr aus der jüdischen Gemeind
Als Theaterstück weist dieses medi¬
ausgetreten und wurde eine Zeitlang
zinisch=politische, liberal=polemische, tra¬
als Aussichtsreichster unter den Kan
gisch=satirische Schauspiel, das Schnitzler
didaten für den durch den Tod Berger¬
Komödie nennt und dem Andenken
erledigten Posten als Direktor der Burg
Max Burckhards widmet, manche Merk¬
genannt, der bekanntlich kein Jude sein
würdigkeiten auf. Es hat fünf Akte.
darf. Eine kleine höfliche Verbeugung
Das ist bei modernen Stücken schon
gegen Wien, den Klerikalismus, die
eine Seltenheit; sie bauen und wagen
Burg könnte in der Ablehnung de
selten mehr über drei Akte hinaus.
Schnitzlerschen Stückes gesehen werden
Jeder Akt ist eben ein neues Eramen.
Aber Brahm, der ein Mann der Arbei
Wer macht freiwillig immerzu ein
und klugen Erwägung, aber just kein
neues Eramen? (Dazu muß man schon
Mann der Förmlichkeiten war, lagen
ein chinesischer Mandarin sein. Und
die Verbeugungen gar nicht. Er mu
auch in China ist's, glaub' ich, jetzt stiller
von dem Stück nicht so viel gehalten
geworden mit den ewigen Prüfungen.)
muß seine ungedämmte Rhetorik nich
Dann weist das Stück zwei Dutzend
für so bühnenwirksam gehalten haben
Personen auf, von denen nur sechse —
um dem Werk des oft geförderten
nicht den Doktortitel haben. Das ent¬
Freundes sein Haus zu öffnen. An
spricht bald annähernd so den tatsäch¬
Tage der Premiere, die ihn gewiß als
#
lichen Verhältnissen in deutschen Adre߬
aufmerksamen Gast gesehen hätte, starl
büchern. Unter den vierundzwanzig
er. Starb nicht mehr als Jude, starl
Personen nur eine Frau, eine Kranken¬
nicht mehr als Kandidat der Burg (die
schwester. Und die hat nur ein Rönl¬
wobl — wie im ähnlichen Fall Kainz —
chen im ersten Akt. Ein in Frankreich
von der Aussichtslosigkeit seines Zu
unmögliches Stück. Das Wort Liebe
standes längst überzeugt war), starl
im Sinne der Geschlechtsliebe —
als Schützling jener gütigen Bernhardi¬
kommt überhaupt nicht vor. Dafür
schen Pflichtauffassung: „Zu meinen
Won, Ainder arnn.
regt sich die Menschenliebe, die Liebe
Otto Brahm?
Pflichten gehört es, wenn nichts andres
Gottes regt sich nun...
mehr in meinen Kräften steht, meinen
Von der Liebe Gottes, wenn man so will, von
gegen ihr, ihr Vornehmen und Gewaltigen, ihr seid
Kranken, wenigstens soweit als möglich, ein glück¬
dem, was die Menschen Gott und Liebe nennen,
in alle Ewigkeit die Bösen, die Grausamen, die
liches Sterben zu verschaffen ...
handelt im Grunde das Stück. Es könnte eine
Lüsternen, die Unersättlichen, die Gottlosen, ihr
In dem kleinen, unscheinbaren Brahm ist ein
Komödie in fünf philosophischen Disputen werden.
werdet auch ewig die Unseligen, Verfluchten und
großer Bühnenleiter gestorben. Einer, der als
Aber hinter Glaube, Bekenntnis, Überzeugung
Verdammten sein!“... Von dieser Logik, diesem
Revolutionär begann, als Schillerhasser und
steht die Partei, die politische Partei. Hier auf¬
Kampf, dieser Partei findet sich nichts unter den
Naturalist sans phrase; einer, der als zäher Fest¬
geklärter Arzt — dort Geistlicher. So steht der
Gegnern Bernhardis, unter den österreichischen
halter an gewonnenen Idealen lebte und sich doch
Konflikt, das Problem am Anfang. Die These:
Politikern und wissenschaftlichen Strebern, die
nicht schämte, Irrtümer seiner Jugend vornehm
darf ich einen ahnungslos Sterbenden erschrecken
Schnitzler schildert. Sie haben Blut von jenem
in Taten zurückzunehmen. Er war
mit
durch die Nachricht: Du wirst sterben! Der Arzt
Lessingschen Patriarchen Jerusalems, der neben
Harden, Schlenther, Schlaf — der Mitbegründer
denkt: aufhören zu leben; der Priester denkt: vor
der Abgeklärtheit des weisen Nathan die komische
der Freien Bühne, er war ihr Literarhistoriker,
Gott stehen. Aber hinter dem Arzt, der Jude und
Figur macht. Als dem Assistenten Bernhardis, dem
er war ihr Vorkämpfer und Wortführer in der
liberal ist, stehen die Liberalen und Juden, die
tüchtigen jungen Dr. Pflugfelder, der pathologische
von ihm geleiteten Zeitschrift, die er Freie
Aufgeklärten und Gelehrten, hinter dem Priester
Anatom die vorsichtige Frage wie einen Spieß
Bühne taufte. Als er die erste Nummer am
stehen die Katholiken, die Antiliberalen, die Anti¬
hinhält: „Sie waren deutsch=nationaler Couleur¬
29. Januar 1890 erscheinen ließ, schrieb er im
semiten. So wird aus der These ein dramatischer
student?“ antwortet der junge Doktor hübsch und
Geleitwort: „Dem Naturalismus Freund, wollen
Konflikt. Fakultät und Parlamente und Gerichte
zuversichtlich: „Und Antisemit. Jawohl, Herr
wir eine gute Strecke Weges mit ihm schreiten,
werden bemüht. Die Starken siegen, die den Buch¬
Dozent. Bin's sogar noch immer, im allgemeinen.
allein es soll uns nicht erstaunen, wenn im Ver¬
staben und den Richter und die ererbte Unvernunft
Nur bin ich seither auch Antiarier geworden. Ich
lauf der Wanderschaft, an einem Punkt, den
für sich haben. Professor Bernhardi geht zwei
finde, die Menschen sind im allgemeinen eine recht
wir heute noch nicht überschauen, die Straße
Monate ins Gefängnis, verurteilt wegen Religions¬
mangelhafte Gesellschaft, und ich halte mich an
plötzlich sich biegt und überraschende neue Blicke
störung; obschon die Krankenschwester, die Zeugin,
die wenigen Ausnahmen da und dort.“ Ganz
in Kunst und Leben sich auftun. Denn an keine
eine hysterisch=bigotte Person, die beschworen hatte,
früh im Stück, im ersten Akt steht das jugendlich
Formel, auch an die jüngste nicht, ist die unend¬
daß der Professor die Hand an den Priester ge¬
mutige Bekenntnis, das doch schon alle Schnitz¬
liche Entwicklung menschlicher Kultur gebunden;
legt, das falsche oder doch übertriebene Zeugnis
lersche Lebensreife in sich schließt. Denn das ist
und in dieser Zuversicht, im Glauben an das ewig
widerrufen will und eine Revision bevorsteht. Der
der Vorzug auch dieser Komödie, die in langen
Werdende, haben wir eine freie Bühne auf¬
Professor will die Revision nicht; er will die Ruhe,
Reden, in einer manchmal quälenden Umständlich¬
geschlagen für das moderne Leben.“
will dem Lärm entfliehen. Er ist mit dem Gezänke
keit starke dramatische Fehler hat, daß sie die
Er ist sein eigner Prophet geworden. Er ist
fertig. In der Haft hat er den ganzen Fall be¬
mangelhafte Gesellschaft der Menschen versteht,
als Bühnenleiter an Punkte gekommen, die er,
schrieben, und da war auf einmal das Problem
durchschaut und sich an die wenigen Ausnahmen
da er kämpfend begann, noch nicht überschauen
nicht mehr österreichische Politik oder Politik über¬
hält — da und dort. Sie verteilt ohne Haß Licht
konnte; er hat Straßenbiegungen mitgemacht
haupt, sondern es handelte sich plötzlich um all¬
und Schatten, wo sie nur Menschen und Über¬
auf seiner langen Wanderschaft, von denen er
gemein ethische Dinge, um Verantwortung und
zeugungen spürt. Sie karikiert den Priester nicht
sich damals nichts träumen ließ; er hat aber auch
Offenbarung, und im letzten Sinne um die Frage
und nicht den ehrlichen Politiker und schminkt dem
bis zur letzten Stunde fest und unerschütterlich an
der Willensfreiheit ...
liberalen Juden, der ihr dramatischer Held ist, nicht
die unendliche Entwicklung der menschlichen Kultur
Und dieses Problem ist auch für uns das
alle Farben der Herrlichkeit an. Und gibt, heraus¬
geglaubt.
interessantere. Und darum: so gut die Szenen der
gerissen aus dem Ganzen, ideenreiche Dialoge über
Die Alten hat er nicht bekämpft, sondern das
„politischen“ Akte geführt sind, so Kluges und
Leben und Sterben.
Alte, der Schablone hat er den Krieg erklärt und
Feines in und zwischen den Zeilen über Liberalis
Das Leben selbst aber ist manchmal für die, so
das Individuelle gesucht. Sein Buch über Kleist
mus, Antisemitismus, Geschäftspolitik, Pro¬
Augen haben zu sehen, ein Regisseur von wunder
hat ihm, dem Schererschüler, den Preis für
fessorenstreberei und so weiter gesagt wird #mir barem Geschick. Am selben Tag, zur selben Stunde,
deutsche Literatur eingebracht. Für Ibsen hat