II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 109

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25. Professor Bernhandi
Deutsche Rundschau.
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gewinnen sie sich durch Max Reinhardts originelle Einrichtung mit ihrem Stich in
das Naturalistische das moderne Publikum. Von den Neuigkeiten seien Maeter¬
lincks Märchenspiel „Der blaue Vogel“, das am Montag, den 23. Dezember,
zum ersten Male gespielt ward, und das Drama aus dem Nachlasse Tolstois
„Der lebende Leichnam“ hervorgehoben: sie bewiesen die Vielseitigkeit Rein¬
hardts, die der Phantastik des Märchens ebenso gerecht zu werden wußte wie
dem russischen Lokalkolorit. Zwei andere Gegensätze brachte er in den Aufführungen
der Renaissancetragödie „Fiorenza“ von Thomas Mann am Freitag, den
3. Januar, und der Komödie in Versen Bürger Schippel“ von Karl Stern¬
heim zum wohlgelungenen Ausdruck. Sie gestatten eine genauere Betrachtung,
da sie nicht ohne literarischen Wert sind: „Fiorenza“ im akademischen, Bürger
Schippel“ im naturalistischen Sinne. Stilvoller ist Theodor Manns „Fiorenza“,
ganz in Florentiner Renaissanceduft und Hauch getaucht. Die Sterbestunden
Lorenzos dei Medici am Nachmittage des 8. April 1492 auf seiner Villa in
Careggi bei Florenz geben den Stoff, der Gegensatz zwischen ihm und Savonarola
den Inhalt ab. Florenz, um dessen Herrschaft beide streiten, wird in der
schönen Frau Fiore symbolisiert, die halb als Sphinx, halb als Buhlerin er¬
scheint. Es ist bekannt, welchen Einfluß die Bußpredigten und noch mehr die
Prophezeiungen des Dominikaners Savonarola auf die sonst so festfreudige
Bürgerschaft der Stadt ausübten wie schwer sie die letzten Monate Lorenzos
verdüsterten und die Macht der Medici langsam, aber sicher untergruben. Auch
daß der Herrscher und der Mönch eine letzte Unterredung miteinander hatten, in
der Savonarola vergeblich die Freiheit der Stadt verlangte. Denn so tief war
die Tyrannis doch nicht durch die Reden des Mönchs erschüttert, wie er es sich
einbildete. Ohne jeden Widerstand folgte Piero dei Medici seinem Vater. Erst
als die Franzosen unter ihrem König Karl VIII. in Florenz einzogen, flüchteten
die Medici aus der Stadt, und es begann Savonarolas Bußregiment. In Manns
Schauspiel heben sich die beiden Hauptfiguren, Lorenzo und Savonarola, lebendig
voneinander ab, Fiore die dritte bleibt schemenhaft, eben weil sie mehr ein Symbol
als ein Weib ist. Von einer theatralischen Wirkung des Stückes kann nicht die
Rede sein, es steckt zu sehr in der Schilderung des Zuständlichen, in Erzählungen
und Schönredereien und wird an Frische und Natürlichkeit des Vortrags, an be¬
wegter Handlung weit von den Szenen in der „Renaissance“ des Grafen Gobineau
übertroffen, die Savonarolas Schicksal behandeln.
Karl Sternheim, der Verfasser der Komödie Bürger Schippel“, ist ein
merkwürdiger Heiliger, eine Mischung aus Romantik und Moderne. In dem
Städtchen, wo Schippel bisher als Strolch und Nichtstuer unter der Verachtung
der Philister gelitten, kommt er plötzlich zu Ehren wegen seines herrlichen Tenors.
Denn dem städtischen Quartett, das sich zu einem Wettgesang rüstet, ist der Tenor
gestorben und Schippel muß einspringen, wenn man nicht kläglich unterliegen will.
Und zugleich hofft der Leiter des Quartetts bei dieser Gelegenheit seine Schwester,
die sich mit dem jungen Fürsten des Ländchens durch ein nächtliches Stelldichein
kompromittiert hat, anständig unter die Haube zu bringen. Davon weiß er nichts,
daß diese Schwester längst die Dulcinea Schippels ist, das Ideal seiner Wünsche.
Gut gespielt, hatte die Komödie Erfolg, trotz der öden Stellen, welche die dünne
Handlung durch die Redseligkeit der zwischen Pathos und Alltäglichkeit hin und
her schwankenden Figuren in die Länge ziehen.
Am glücklichsten hat das Kleine Theater, der betannte Arnimsaal unter
den Linden, mit Arthur SchnitlensLemödie„Arofessor Bernhardi“
die Spielzeit durchgeführt. Seit Donnerstag den 28. November ist sie ununter¬
brochen auf dem Repertoire. Der enge Theatersaal, der kaum fünfhundert Personen
Raum bietet, kommt dem Erfolge zu Hilfe. Aber die Komödie hat nicht nur ihre
theatralischen, sondern auch ihre literarischen Verdienste. Sie hat die Niederlage
des auf eine ungleich tiefere Wirkung gerichteten Schauspiels „Das weite Land“
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