S S7
box 30//1
25 PrBernharai
Während im Kleinen Theater dieser „Professor Bernhardi“
gespielt wurde, starb der Mann, durch den wir Berliner Schnitzlers
Dramen vom ersten bis zum vorletzten kennen gelernt haben:
Otto Brahm. Er starb in dem Augenblick, wo auf der Bühne
ausgesprochen wurde, daß es nichts Höheres gibt, als sein Ziel
im Auge zu behalten, sein Werk sich nicht entwinden zu lassen.
Brahm hat nicht — er hatte sein Ziel erreicht, sein Werk voll¬
bracht. Wo lag dieses Ziel, was war dieses Werk? Er begann,
aus Liebe zu einer einfachen, harten, den Lebenskampf streng
abschildernden, treu abspiegelnden Kunst, 1880: Ibsen, 1889:
Hauptmann zu propagieren, und hatte bis 1912 dreizehn Dramen
von Ibsen, zweiundzwanzig, also sämtliche Dramen von Haupt¬
mann gespielt. Sein literarisches Glaubensbekenntnis war und
blieb das Wort Wilhelm Scherers: „Alle Poesie ist Stümperei,
welche nicht das umgebende, augenfällige, greifbare, fühlbare
Leben zu gestalten weiß. Er bekämpfte von 1880 an, zu Gunsten
des gefundenen ausländischen und des gesuchten deutschen Zeit¬
dramatikers, alles, was überlebt war und abgetan, den Schlendrian
und die Schablone, die Lüge in jeglicher Gestalt. Er war darin
nicht der Erste und nicht der Selbständigste, aber er war der
Eifrigste und der Konsequenteste. Er wußte, was er wollte, was
er sollte, was er durfte, was er konnte. Er leitete von 1889 an,
fast monarchisch, als unentwegter Parteimann, als energischer
Theatermann und als tüchtiger Geschäftsmann die Freie Bühne
und führte sie durch seine Gewandtheit und seine Unerschrocken¬
heit zu Siegen, die für deutsche Dramenkunst und deutsche Schau¬
spielkunst von gleich entscheidender Bedeutung wurden. In dem
Maße, wie beide Künste auf einander angewiesen sind. Die
Dramenkunst, wofern sie sich nicht mit einem Buchdasein begnügen
will, hängt ja ab von dem Entwicklungsgrade der Schauspiel¬
kunst, und die Schauspielkunst, wofern sie sich nicht mit der Schau¬
stellung äußerer Mittel und seelenleerer Kniffe zufrieden gibt, hängt
ab von der zunehmenden Verinnerlichung der Dramenkunst. Wo
im Drama Stoffe aus dem Leben mit realistischen Kunstmitteln
bezwungen wurden, mußten in der Darstellung das steifleinene
Gehaben und die gespreizte Pathetik der Konvention vor der Be¬
scheidenheit der Natur und der überzeugenden Sprache eines
menschlichen Gefühls weichen. Es fand sich ein Fähnlein von
Schauspielern, deren Kraft mit ihrer Umgebung verquickt war,
und die einfachen Empfindungen den überzeugendsten Ausdruck
—
box 30//1
25 PrBernharai
Während im Kleinen Theater dieser „Professor Bernhardi“
gespielt wurde, starb der Mann, durch den wir Berliner Schnitzlers
Dramen vom ersten bis zum vorletzten kennen gelernt haben:
Otto Brahm. Er starb in dem Augenblick, wo auf der Bühne
ausgesprochen wurde, daß es nichts Höheres gibt, als sein Ziel
im Auge zu behalten, sein Werk sich nicht entwinden zu lassen.
Brahm hat nicht — er hatte sein Ziel erreicht, sein Werk voll¬
bracht. Wo lag dieses Ziel, was war dieses Werk? Er begann,
aus Liebe zu einer einfachen, harten, den Lebenskampf streng
abschildernden, treu abspiegelnden Kunst, 1880: Ibsen, 1889:
Hauptmann zu propagieren, und hatte bis 1912 dreizehn Dramen
von Ibsen, zweiundzwanzig, also sämtliche Dramen von Haupt¬
mann gespielt. Sein literarisches Glaubensbekenntnis war und
blieb das Wort Wilhelm Scherers: „Alle Poesie ist Stümperei,
welche nicht das umgebende, augenfällige, greifbare, fühlbare
Leben zu gestalten weiß. Er bekämpfte von 1880 an, zu Gunsten
des gefundenen ausländischen und des gesuchten deutschen Zeit¬
dramatikers, alles, was überlebt war und abgetan, den Schlendrian
und die Schablone, die Lüge in jeglicher Gestalt. Er war darin
nicht der Erste und nicht der Selbständigste, aber er war der
Eifrigste und der Konsequenteste. Er wußte, was er wollte, was
er sollte, was er durfte, was er konnte. Er leitete von 1889 an,
fast monarchisch, als unentwegter Parteimann, als energischer
Theatermann und als tüchtiger Geschäftsmann die Freie Bühne
und führte sie durch seine Gewandtheit und seine Unerschrocken¬
heit zu Siegen, die für deutsche Dramenkunst und deutsche Schau¬
spielkunst von gleich entscheidender Bedeutung wurden. In dem
Maße, wie beide Künste auf einander angewiesen sind. Die
Dramenkunst, wofern sie sich nicht mit einem Buchdasein begnügen
will, hängt ja ab von dem Entwicklungsgrade der Schauspiel¬
kunst, und die Schauspielkunst, wofern sie sich nicht mit der Schau¬
stellung äußerer Mittel und seelenleerer Kniffe zufrieden gibt, hängt
ab von der zunehmenden Verinnerlichung der Dramenkunst. Wo
im Drama Stoffe aus dem Leben mit realistischen Kunstmitteln
bezwungen wurden, mußten in der Darstellung das steifleinene
Gehaben und die gespreizte Pathetik der Konvention vor der Be¬
scheidenheit der Natur und der überzeugenden Sprache eines
menschlichen Gefühls weichen. Es fand sich ein Fähnlein von
Schauspielern, deren Kraft mit ihrer Umgebung verquickt war,
und die einfachen Empfindungen den überzeugendsten Ausdruck
—