II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 350

Aber alles, das war früher eingebettet in eine Form,
die das Leben zum Symbol zwang, liegt aber heute flach
und ungezwungen in einem breiten, wortreichen Dialog:
ein Stück Leben, ein Stück Poli k, ein Stück Milien, aber
kein Schicksal! Ueber dieser Komödie wölbt sich die Decke
eines Versammlungslokals, aber nicht der Himmel. Man
möchte den Kollegen von der Politik bitten, über das Stück
zu schreiben, da es mit Kunst ja gar nichts zu tun hat.
Aber Sache des Politikers ist ja, selbst Leitartikel zu
schreiben und nicht die eines andern auf ihre Qualitäten
zu untersuchen.
Gewiß werden viele Menschen den „Prosessor Bernhardi“.
interessant finden. Denn er ist, wie man so schön sagt,
aus dem Lesen gegrifsen.
Aber er ist dem Leben entwunden.
01
Der
Es bleibt beim „"
Fall is aler so: P##¬
ri der jüdische Leiter
Der
eines Krankenhauses, wehrt einm Prieser, einem Mädchen
die heiligen Sakramente zu geben, weil die dem sicheren
Tod geweihte Kranke meint, bald zu genesen und ins Leben
zurückkehren zu können. Der Arzt also will für eine noch
kurze irdische Seligkeit, der Priester für eine lange himm¬
lische sorgen. Jeder hat von seinem Standpunkte aus Recht.
ber Fanatismus und politischer Haß bemächtigt sich des
Vorgangs, zeiht Bernhardi der Religionsstörung und brini
ihn mit Hilfe des falschen Zeugnisses einer hysterischen Krat
lenschwester ins Gefängnis. Bernhardi büßt die Strafe a
Am Tage seiner Entlassung aber widerruft die Schweste
pe###roklussage. Er könnte sich vor dem Gesetze rehabilitieren
es aber ab, er will Kranke heilen, aber nicht in de¬
Ooffentlichkeit kämpfen und bekämpft werden.
Um diesen interessanten Haupt= und Generalfall ranke
sich eine Reihe von nicht minder interessanten Einzel
fragen, z. B.: Nach welchen Gesichtspunkten werden i
Oesterreich Lehrstühle besetzt? Oder: Welches sind
Pflichten eines Ministers? Oder: Ist die Judenfrage prin
zipiell oder individuell zu lösen? Lauter Fragen, die viel
leicht wichtiger sind als Fragen der Kunst, die aber in
diesem Stück leider nicht zu Fragen der Kunst werden
Herr Kollege von der Politik, Sie haben das Wort!
Gewiß ist die Komödie mit geschickter Theatralik auf¬
gebaut. Aber so freudig man das Handwerk bei einem
Handwerker loben muß, so bitter muß man es bei einem
Künstler, der es durch keinerlei Kunst verklärt hat, ver¬
dammen. Schnitzler war doch einmal ein Dichter, heute
ist er ein Debatter und Arrangeur von Diskussionen. Nur¬
in einer Gestalt hat er versucht und (teilweise) vermocht,
eine debattelose Menschlichkeit in das Stück einzuflechten:
in der Gestalt des Priesters. Das ist einer, der glaubt und
dessen Glauben nicht nur für ihn selbst, sondern auch
für uns zur Notwendigkeit wird. Hier schält sich schüchtern
aus einer dünnen Schicht von Argumenten eine plastische
Gestalt heraus. Schmale Ernte bei so breiter Saat!
Für die Schauspieler ist das Stück ein dankbares und
darum auch verpflichtendes Material. Sie können aus dem
ungestalteten Leben, das der Dichter gab, lebendige Gestalten
formen. Und sie haben es auch in der gestrigen Aufführung
zum großen Teil getan. Die Regie des Herrn Inten¬
danten Bernan zwang den Ueberfluß der Worte in einen
#ten Fluß einer Gesamtdarstellung von
ziemlich diszipli

Niveau. Die Bildinszenierung war
Haltung und
geschmackvoll und bewies, daß auch aus
sogar bemerken
onen gute neue Bilder entstehen können.
teilweise alten 2
llern stand Herr Alberti als Bern¬
Unter den
hardi nicht nur du # den Umfang der Rolle an erster Stelle,
Er hütete sich gleicherweise vor zu hurtiger Dialektik und
zu träger Sentimentalität. Er war ein undiplomatischer Diplo¬
mat seiner Gefühle. Sein Gegenspieler Hr. Kolmarwar neben hr
Kupfer, der einen jungen Streber sehr diskret spielte,
id der einzige, der in diesem österreichischen Streit österreichisch ir
e
n spielte und wirkte. Darüber hinaus war er von einer
knappen Sachlichkeit, die das Intriguenspiel der Gestalt
eines Kollegen Bernhardis, förmlich vertiefte und ver¬
innerlichte.
Von ein paar jüdischen Chargen abgesehen, die von
olden Herren Garrison, Maur und Müllermit¬
allzuviel Freude am Jargon gespielt wurden, entbehrten
alle übrigen Darsteller jener Leichtigkeit, Weichheit und
gefälligen Formlosigkeit, die man als österreichisch kennt
und österreichisch nennt. Vor allem litt darunter der sonst
famos gestaltete Minister des Herrn Godeck und der
[ofrat des Herrn Liedtke, der vollends einen preußi¬
schen Referendar spielte.
Außerordentlich wirksam war Herr Hecht in der Rolle
eines alten treu=biederen Professors. Auch die Herren
Schreiner, Tautz und Schmöle zeichneten gut gesehene
Typen, ohne sie bis ins Individuelle der Wirkung steigern
zu können. Vollkommen versagte Herr Steudemann an
der Rolle eines eleganten Arztes und aristokratischen Man¬
nes der Gesellschaft. Dagegen erweckte Herr Grünberg
die Rolle des Geistlichen zu stärkstem, eindrucksvollstem Leben.
In der einzigen Frauenrolle des Stückes, als Krankenschwester
wirkte Frl. Köckeritz sehr sympathisch.
Publikum fand großen Gefallen an der Affäre
und nahm in angeregtester Stimmung Kenntnis
von den vielen Argumenten und Gegenargumenten der Par¬
teien, über denen leider nicht als Dichter, sondern in denenf
bald als Anhänger, bald als Gegner
hur Schnitzler
H. S.
Thraternt #. „
9
Sadische Landoszeitung, Karsenuhis
Ausschnitt aus:
2-0K11913
undrA
Kunst. Wisienschaft und Literatur.
M. Mannheimer Hof= und Nationaltheater. Etwas spät ist
„Professor Bernhardi“ auf der Mannheimer Bühne er¬
schienen, und es ist inzwischen genug über die neueste und nicht
beste Schöpfung Schnitzlers
geschrieben, um hier nicht noch ein¬
mal ausführlich ghe Es war ein anregender und
dankbarer Abend für die Schauspieler und für das Publikum.
Herr Alberti zeigte in der Titelrolle eine beachtenswerte Leistung¬
und von den Chargenrollen fiel Herr Garrison auf, der den Ton
des respektlosen Privatdozenten besonders gut traf. Das Public ##
kum fühlte sich geistvoll unterhalten und war reichlich dankbar.
Zu Verdis Jubiläum brachte die Oper gestern eine Neueinstudie¬
rung des „Maskenballs“ unter der gediegenen Leitung des
2. Kapellmeisters, Herrn Lederer. Frl. Rabl als Amelia“
bot eine vollkommene Leistung, der gegenüber der Gouverneur
des Herrn Corfield etwas abfiel. Ueber Erwarten gut war die
Wahrsagerin des Frl. Lippe.
D Parsifal=Aufführungen inMa