II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 448

e0- Einiges von weittragender Beden¬
tung hat sich ereignet, Throne haben stürzen,
Reiche entstehen und vergehen müssen, ehe die
erste Aufführung von ArthurSchuitlers-
Komödie „Professor Bernhardi“ in Wien
möglich werden konnte. Sieben Jahre — aber
welche Jahre! — liegen zwischen dem Erscheinen
des Buches und gestern. Der Fall Bernhardi war
einmal eine große politische Affäre bei uns;
sogar die geplante Aufführung in Preßburg vor
geladenen Gästen wurde durch „höhere“ Gewalt
verhindert, und die politischen Parteien von
rechts und von links schlugen förmliche Schlachten
um diese so vornehm und so taktvoll kühne
Komödie. Wenn man jetzt die „Freiheiten“ er¬
lebt, die wir uns erst durch Weltkrieg und
Revolution erobern mußten, fühlt man so recht
die Beschämung der Vormundschaft, unter der
wir nun zusammengebrochen sind. Man darf die
Gefahren, vor denen sie uns bewahrt hat,wirklich
nicht mit denen vergleichen, denen sie uns aus¬
ungerecht
geliefert hat, sonst müßte man
werden.
Schnitzler versucht in seinem Professor
Verhardi einen Arzt zu zeigen, der zum
Politiker oder Märtyrer einer Weltanschauung
weder Lust noch Veranlagung hat. Er ver¬
weigert dem Priester, der einer Sterbenden die
letzte Oelung erteilen will, den Eintritt zu der
Kranken, weil diese keine Ahnung hat, daß sie
sterben muß, sondern im Gegenteil von dem
Glücksgesühl sicherer Genesung erfüllt ist.
Dieser Arzt ist ein Jude. Klerikale und Anti¬
stark
semiten bemächtigen sich des Falles. Der
opportunistische Minister für Kultus und
Unterricht gibt den Freund bei einer Inter¬
pellationsbeantwortung im Abgeordnetenhaus
preis, weil er es sich mit den Klerikalen nicht
verderben darf, die Anklage wegen Religions¬
störung wird erhoben, Professor Bernhardi zu
zwei Monaten Kerker verurteilt. Am Tage, da
er das Gefängnis verläßt, sellt sich seine
Unschuld heraus. Die Kronzeugin der Anklage
hat in der Beichte gestanden, daß ihre Aussage,
Bernhardi habe den Priester mit Gewalt am
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Bekreren des Krankenzimmers verhindert, eine #
falsche war. Nichts steht der Wiederaufnahme z
des Prozesses entgegen, aber Bernhardi erachtet
den Fall für sich als erledigt. Er ist kein Kämpfer, !
er war nur ein Opfer, er will nicht mehr in
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den Gerichtssaal, sondern nur zurück zu seiner
Arbeit.
Schnitzler hat sich seine Arbeit nicht leicht
gemacht. Er hat Licht und Schatten mit
äußerster Delikatesse zu verteilen versucht, das
Thema, das er selbst anstimmt, und die Beglei¬
tung, die von der Umgebung beigestellt wird,
möglichst streng auseinander gehalten. Die
Figuren sind meisterhaft nach dem Leben ge¬
zeichnet. Die technische Führung der Aus¬
einandersetzung über den Fall ist von einer
künstlerischen Vollendung, die über
die
Handlungsarmut von vier Akten glänzend hin¬
weghilft.
Die Aufführung des Deutschen Volks¬
theaters war eine ausgezeichnete, man merkte
ihr die unfreiwillige Muße sehr vorteilhaft an,
ohne Kohlennot kommen so gründlich durch¬
gearbeitete Vorstellungen bei uns selten zu¬
stande. In der Titelrolle bot Direktor Bernau,
der auch die Spielleitung besort hatte, selbst den
Frcunden seiner Schausvielkunst eine angenehme
Ueberraschung; es war eine wirklich außer¬
ordentliche Leistung, wenn man der Figur viel¬
leicht auch ein etwas nervöseres Temperament
gewünscht hätte. Neben ihm gibt es nur ver¬
hältnismäßig kleinere Rollen, die aber mit ver¬
schwindenden Ausnahmen eine tadellose Dar¬
stellung fanden. Der Erfolg war ein durch¬
schlagender. Entgegen allen Prophezeiungen,
bei denen der Aunsch der Vater des Gedankens
war, wurde der stürmische Veifall durch keinen
Mißton gestört. Nach dem dritten Akte bedankte
sich der Dichter persönlich.

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Sonntag
jeder dieser Menschen sein eigenes Gesicht. Das ist das Pracht= sy
volle in der Komödie Schnitzlers. Zum Dichten, hier wird es bei=G
spielmäßig, gehört Verdichten, und jede Gedankenkammer muß, nach F
dem schönen Wort Jean Pauls, an eine Herzkammer stoßen. Neun=si
zehn Darsteller haben die Komödie zu stützen; neunzehn Figuren] E
haben ihr Atem und Profil zu geben. Es stehen gute und ei
weniger gute Schauspieler auf der Szene, keinesfalls schlechtere, #t#
maiche sogar besser als jene waren, die in Berlin am Kleinen] 2
Theater den Bühnenerfolg des Professors Bernhardi vor sechsk
Jahren begründeten. Nicht nur die Erinnerung an jene Auf-19
führung, die mir in aller Eindringlichkeit lebendig blieb, bietet 0
im Vergleich zu gestern eine leise Enttäuschung. Die Wieder=ld
gabe geht nicht ganz in die Tiefe, versucht nur zu charakterisieren
und kommt nicht ins Charakteristische. Bei Mensch, Ton
und Gebärde fehlt da und dort das
Allgemein¬
gültige, ist der Typus mehr angedeutet als kernhaft.
Den Titelhelden hatte sich Direktor Bernau selbst vorbehalten.
Daß er ein tüchtiger Schauspieler ist, tüchtig im Handwerkssinn,
ohne den gewissen Persönlich eitsfunken, weiß man bereits; es
zeigte sich auch wiederum in seiner gut und klug durchdachten
Leistung, die nur ein bißchen jenseits vom Oesterreichertum stand
und in einem etwas spröden Gleichmaß blieb. Aus dem Pro¬
fessorenkollegium stachen Herr Homma hervor, ein aalglatter
Streber und lächelnder Biedermann, dann Herr Fprest, der
köstlich war in seiner unruhigen Hast und in seiner vom Jargon
beherrschten Gebärdensprache und Denkweise. Den fübrigen Pro¬
fessores ist eine mehr oder minder starke Pauschalserkennung zu
widmen. Minister und Hofrat fanden in Klitsch und Edi¬
hofer prägnante Vertreter, während eines Figur, ein
armer Teufel von jüdischem Provinzarzt, sder in
der
Berliner Darstellung durch John Gottowt einem die Tränen in
die Augen trieb, hier ganz eindruckslos vorüberzhg. Aber die
Gesamtwirkung dieser Komödie war mächtig. Was hier von Glaube
und Wissenschaft,
von Klerikalismus, Ueberzeugungstreue,
Speichelleckerei, Strebertum und Schurkerei balt in sittlichem
Pathos, bald in Hohn, bald in schlagendem Pitz durch Rede
und Gegenrede aufgerührt wurde, traf auf stärkste Empfänglich¬
leit. Ein wahrer Jubel, ein donnerndes Hoch- und Bravorusen
grüßte den Dichter, als er auf der Bühne erschicht. Der stille
und feine Artur Schnitzler stand wie ein Kämpfer in der Arena,
und seine Stimme war die Stimme der Zeit!
(Kammerspiele.) Ludwig Fuldas vigaktige Komödie
„Der Lebensschüler“ ist eine Mischung von Lustspiell
und Schauspiel. Im Grunde genommen ist der #icheste Fulda ein#
alter Sudermann. Ein wenig Erotik aus BerlinW., ein wenige
Gesellschaftssatire und viel Theater. Man kennt diesen Tanz der
Marionetten. Zu dem gewissen weltkundigen Berliner Rechts¬
anwalt (Zyniker) kommt ein junger Träumer aus der Provinz.#
Der Erfahrene lehrt ihn das Leben, das heißt die Liebe. Das
große Abenteuer des Jungen ist eine angenehm verruchte Dame
(Individualität), mondän bis i Fuldas Fingerspitzen. Im letzten
Augenblick
das ist die Spannung des Stückes
wird der Lebensschüler
von
seiner
Leidenschaft
geheilt. Dort, wo die Komödie nichts wie eine liebenswürdiges
Nichtigkeit sein will, wirkt sie in ihrer ganzen sehr geschickten Arti
am sympathischesten. Die Figur der Kokette, die bereits mehrere
Schritte vom Wege gemacht hat, verrät hie und da echte Züge.
Der Dialog trägt den gepflegten Vollbart Sudermanns. Da¬
zwischen gibt es allerdings Pointen und halbkecke Aphorismen:
Ironie mit Monokel. Gespielt wurde vortrefflich. Fräulein
Woiwode lächelte sich mit persönlicher Anmut und Lustspiel¬
eleganz über ihre heikle Rolle hinweg und bot eine ihrer besten
darstellerischen Leistungen. Sehr gut führte sich Herr Prangen
ein. Er hat einen schlichten, warmen Ton. Bemerkenswert in
seiner sicheren Charakterisierungskunst Herr Werner Kahle.
(Raimund=Theater.) Bruno Granichstädten.
der seit seinem großen Erfolg mit „Auf Befehl der Herzogin“
nichts Neues geschaffen hatte, wurde gestern mit einem Singspiel
„Das alte Lied“ zum erstenmal aufgeführt, das sehr
starken, unbestrittenen Beifall fand. Das hübsche und von zarten
Alt-Wiener Stimmungen erfällte Libretto, das ebenfalls von
Granichstädten stammt, dreht sich in der Hauptsache um die Liebes¬
schicksale eines prinzlichen Generals, der zwischen einer kleinen Tänzerin
und einer polnischen Gräfin schwankt, die nebenbei ein bisserl gegen
ihn intrigiert. Er entscheidet sich schließlich dafür, keine von beiden.
zu wählen und sein Leben sernerhin nur den von ihm befehligten