II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 463

des Figaro, ein Borsr
Revolution genannt werden darf.
Die Stoffrage oder die Fabel des Stückes ist
eigentlich Nebensache: Der Chefarzt einer Poliklinik;
verwehrt einem Geistlichen den Eintritt zu einer in
den letzten Zügen liegenden Kranken um ihre körper¬
liche Ruhe nicht zu stören. Aber was daraus folgt und
was daraus gemacht wird, darum händelt es sich
1::
diesem Stücke. Das ist das österreichische Problem der
Zwar
des Parteisanatismus.
der
ist
alle Cystem, der alte österreichische Geist
so ist
Ge losigkeit noch nicht aufgegeben worden und
ver¬
Schnitzler noch nicht veraltet, sondern geradezu
jüngt. Sein Mut und sein Werk bietet die Gewähr und
zeigt den Weg, auf welchem Deutschösterreich saniert
werden kann, durch die Achtung vor dem Geiste, dem
heiligen Geiste der menschlichen Rechte.
Zwar fällt die Aufführung von Professor Bern¬
hardi in die dunkelste Zeit der österreichischen Thea¬
tergeschichte, in den Monat, wo wir kein Holz und
keine Kohle haben und die Theater deshalb gesperrt
werden müssen und trotzdem kann man sagen, daß die
voraussichtliche Zahl der Besucher von Professor Bern¬
hardi die Majorität der deutschösterreichischen frei¬
staatlich gesinnten Wähler in Wien bilden wird und
schon für diese politische Tat und Erziehung müssen
wir dem Dichter Schnitzler und dem Direktor Bernau
dankbar sein.
Gegenüber diesen hohen politischen Werten kom¬
men die dramatischen Fehler des Werkes nicht in Be¬
tracht, nämlich daß der Held kein Held ist, weil er kein
Held sein will. Er will nicht kämpfen u. damit kann sich
weder das Publikum, noch der Kritiker, noch ein Psy¬
chologe zufriedenstellen, wenn der Räsonneur des
Stückes zum sogenannten Helden des Stückes am
Schlusse sagt, daß er „a Viech“ ist. Wir verstehen; daß
ein Mann der Wissenschaft die Politik haßt ob er nichts
dagegem tut, daß er zwei Monate eingesperrt werden
soll und sich bequem rehabilitieren könnte, wenn die
Kronzeugin sich selbst der Lüge beschuldigt, das gehört
in das literar=psychologische Kapitel: Arthur Schnitzler.
Daß einer die Schwäche hat, nichts tun zu wollen, daß
er zu müde, zu melancholisch, zu blasiert ist a la Anatol
das kommt vor, ebenso das einer tut, als ob er nichts
tut, aber das Nichtstun als eine Tat aufzufassen, das
kann jedenfalls kein Drama sein, welches griechische
Wort Tathandlung bedeutet. Hier wäre Pathos und
Empörung, Opposition und Kampf notwendig gewesen.
Vom ärztlichen Standpunkt allein aus, kann die Welt
nicht besser gemacht werden, Wie sagt der ehemalige
Mediziner Schiller? Er zitiert den ältesten Mediziner
Hypokrates: Was die Arzneien nicht heilen, das heilt
das Eisen, was das Eisen nicht heilt, heilt das Feuer.
Schade, daß Professor Bernhardi kein Schöpfer ist. —
Um so glänzender ist die Ironie und Charakteri¬
stik statt des fehlenden Pathos. Das Milien der Herren
Professoren und Doktoren S###ler, Vater und Sohn
die Poliklinik und der sezi
er=Holla¬
brunn, antiarische und antisemitische Aerzte aus bei¬
den Lagern das ist köstlich und wurde auch von allen
Darstellern mit größtem Realismus dargestellt.
war. Eine Prachtleistung ersten Ranges war die
schlichte Natürlichkeit und selbstbewußte Ruhe Bernaus
der an die besten Zeiten von Baumeister erinnerte.
Auch die Herren Forest, Götz, Homma, Kutzschera waren
prächtig und gediegen.
Von Liebe und Frauenzimmern waren in diesem:
Schnitzler keine Rede, mit Ausnahme der hysterischen
Krankenschwester deren Worte von denjenigen die de¬
ren Bedeutung nicht im Vorhinein kannten, ganz
iberhört wurden. Umso lebendiger wirkte, die
im
Stücke gar nicht auftretende Protektorin des Elisa¬
sethinums — lies Poliklinik — Fürstin Stix=Stixen¬
ein und viele andere Abwesende.
Dr. Pl,
Men.
052
Warlage-Biete Geen 40.), u
(Deutsches Volkstheater.) „Professor Bernhardi“.
von Artur Schnitler=
Damals, lang, lang, lang
ssheint's uns her, kam der Zensor und ließ ein Extra¬
schiff mit Freimaurern und anderen Weltanschauungs¬
pretzen gen Preßburg dampfen; so weit mußten die
Österreicher fahren, um des verbotenen Genusses einer
Separatvorflellung der Tragikomödie teilhaftig zu werden.
Alle Rüchlein, die der verbotenen Frucht so verlockend
anhafteten, sind seither verraucht und übrig blieb ein
„Dialog über Österreich“ Der Einzelfall, die Fabel ist —
beinahe Nebensache; nicht hie Glaube, hie Wissenschaft
heißt es, wie die Logenbrüder von anno dazumal
meinten, nicht Dogma oder medizinische Forderung und
gewiß nicht katholischer Zelotenwahn oder jüdischer
Freisinn. Sondern einfach toder vielmehr kamplizierter)
wie die einfachste Geschichte in unserem lieben Vater¬
lande, wenn sie nur ein Zipfelchen hat, an dem man es
parteipolitisch fassen, auf ein Forum zerren und zu
öffentlicher, tendenziöser Mohrenwäsche verwenden kann,
eine Affäre“ ein Politikum, eine Sensation, ein Ob¬
jekt für allerlei Ausschrottungen, für eine Kampagne,
fürs Karrieremachen wird. Am Ende ist der Professor
Bernhardi, dieser passive Held orne Heldentum, ohne
Tathandlung ein völliges Nichts und es ist nur öster¬
reichisch, nur wienerisch, wenn er selbst nichts will, als
„seine Ruah hahen“. Gespich wurde ganz vortrefflich,
wenn auch Direktor Be#### in der Titelrolle das
Individuell=reizvolle, die pers zlichen Spitzlichter über
der konventionellen Deckfarbe vermissen ließ. Aus der
langen Reihe der übrigen Darsteller seien die Herren
Homma, Onno, Edthofer hervorgehoben. Stürmischer
Beifall dankte dem Dichter.
Wien, SRRGerdigP Nr. 4.
Frankfurt a. M. 31012.7916
##tener Theater.] Aus Wien wird uns gemeldet:
Infolge der nur für wenige Tage aufgehobenen Theatersperre und
#r bevorstehenden Feiertage hat sich eine angestaute Flut von Pre¬
ièren am vergangenen Samstag über das Wiener Publikum er¬
gossen. Das Hauptinteresse konzentrierte sich auf Arthur
11— —
or Bernhardi“, ein Stück, das in B
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erst gespielt werden darf, nachdem zuvor eine Revolution kommen
mußte, um diesem ganz wienerischen und österreichischen Stück den
Weg zu einer Wiener Bühne zu öffnen. Das Deutsche Volks¬
theater hat sich des Wetkes Eigenommen und bei guter Besetzung
damit einen starken Erfolg erzielt. Es scheint heute fast unbegreif¬#
lich, daß eine Behörde einmal an dem Stücke Anstoß nehmen konnte.
Darf man einen Sterbenden, der sich in der Illusion der Gesund¬
heit wiegt, durch die aufgedrungene Verabreichung der letzten Oelung 5#
aus seinem Glückstraum reißen? Das ist eine Weltanschauungs¬
frage, und wer da glaubt, daß man den Sterbenden um die ewige
Seligkeit betrügt, wenn man ihm die Sterbesakramente nicht reicht.
der darf allerdings vor einer Grausamkeit nicht zurückschrecken. Für
eine ihrer Sache sichere Kirche liegt gewiß nicht der geringste Anlaß,
vor, die Diskussion dieser Frage auf der Bühne zu verhindern. Es,
war eben klerikaler Machtkitzel und die Rücksicht auf die bigotte
Dynastie, die dem Werke so lange den Zugang zur Bühne versperrt
haben. Nun ist das alles gottlob baräber