II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 462

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25. Prof Bernhardi box 31/2
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Hollass-Couner,
Theater und Kunst.
„Professor Bernhardi“.
Komödie in fünf Aufzügen von Arthur Schnitzler.
Erstaufführung am Deutschey Volkstheater zu Wien
am 21. Dezember 1918.
Es war nicht nur die würdigste, literarische
Feier zur Errichtung der deutschösterreichischen Re¬
publik, es war auch die erste und einzige, die bisher
veranstaltet wurde. So stark und ehrlich hat noch
niemand dem früheren Regime die Wahrheit gesagt,
so noch niemand das Lawieren zwischen Ignoranz
und Arroganz, zwischen Heuchelei und Schlamperei,
zwischen „Kultus und Konkordat,, zu zeigen gewagt
und gewußt als Arthur Schnitzler in der Zeit!
eines Gautsch, Stürgkh und Konsorten. Und es war
literarisch, sozial und politisch und vor allem drama¬
turgisch eine Tat von Alfred Bernau, dem Di¬
rektor des Deutschen Volkstheaters dieses Werk auf¬
zuführen, das ebenso in seiner Art wie „Die Hochzeit
des Figaro, ein Vorspiel und Vorbild der glorreichen
Revolution genannt werden darf.
Die Stoffrage oder die Fabel des Stückes ist
eigentlich Nebensache: Der Chefarzt einer Poliklinik
verwehrt einem Geistlichen den Eintritt zu einer in
den letzten Zügen liegenden Kranken um ihre körper¬
liche Ruhe nicht zu stören. Aber was daraus folgt und
in
was daraus gemacht wird, darum händelt es sich
diesem Stücke. Das ist das österreichische Problem der
d; des Parteifanatismus. Zwar
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der
älle Tystem, der alte österreichische Geist
ist
so ist
Ge losigkeit noch nicht aufgegeben worden und
ver¬
Schnitzler noch nicht veraltet, sondern geradezu
jüngt. Sein Mut und sein Werk bietet die Gewähr und
zeigt den Weg, auf welchem Deutschösterreich saniert
werden kann, durch die Achtung vor dem Geiste, dem
heiligen Geiste der menschlichen Rechte.
Zwar fällt die Aufführung von Professor Bern¬
hardi in die dunkelste Zeit der österreichischen Thea¬
tergeschichte, in den Monat, wo wir kein Holz und
keine Kohle haben und die Theater deshalb gesperrt
werden müssen und trotzdem kann man sagen, daß die
voraussichtliche Zahl der Besucher von Professor Bern¬
hardi die Majorität der deutschösterreichischen frei¬
staatlich gesinnten Wähler in Wien bilden wird und
schon für diese politische Tat und Erziehung müssen
wir dem Dichter Schnitzler und dem Direktor Bernau
dankbar sein.
Gegenüber diesen hohen politischen Werten kom¬
men die dramatischen Fehler des Werkes nicht in Be¬
tracht, nämlich daß der Held kein Held ist, weil er kein
Held sein will. Er will nicht kämpfen u. damit kann sich
weder das Publikum, noch der Kritiker, noch ein Psy¬
chologe zufriedenstellen, wenn der Räsonneur des
Stückes zum sogenannten Helden des Stückes am
Schlusse sagt, daß er „a Viech“ ist. Wir verstehen; daß
ein Mann der Wissenschaft die Politik haßt ob er nichts!
dagegem tut, daß er zwei Monate eingesperrt werden
soll und sich bequem rehabilitieren könnte, wenn die
Kronzeugin sich selbst der Lüge beschuldigt, das gehört
in das literar=psychologische Kapitel: Arthur Schnitzler.
Daß einer die Schwäche hat, nichts tun zu wollen, daß
er zu müde, zu melancholisch, zu blasiert ist ala Anatol