II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 517


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Publikom ausgenommen worden; eine derartige
einem Kerzelweiberstück ins Theater zu
Unkultur und einen derartigen Tiefstand
gehen, so wenig brauchen diese „Vollblut¬
in der Beurteilung eines dichterischen
arier“ mit jüdischen Namen sich aufregen,
Werkes bleibt wirklich den Leuten à la
wenn einmal ein Stück aufgeführt wird,
Dr. Thurner vorbehalten. Es wäre auch hier
das ihnen nicht paßt. Wohin kämen wir, wenn
wir jedes Stück von der politischen Seite aus betrachten
in Wiener=Neustadt die Aufführung ohne Zwischenfälle
würden? Aber die Herren wollen nichts weiter als ihre
vorübergegangen, wenn nicht die Christlichsozialen eine
schmutzigen politischen Geschäfte betreiben und dazu war
schamlose Hetze inszeniert hätten. Der Herr Dr. Thurner
ihnen die Aufführung des „Professor Bernhardi“ ein
ging so weit, dem Theaterbirektor zu drohen, wenn
willkommener Anlaß. Das sieht man ganz deutlich an
das Stück noch einmal aufgeführt wird,
wird er mit seinen Lausbuben das
der Berichterstattung der „Wiener-Neustädter Zeitung“
Theater demolieren und einen großen
und der „Nachrichten“. Die Krawallszenen, die Laus¬
bübereien, die einige Windbeuteln im Theater hervor¬
Skandal provozieren, der auf der Straße
gerufen haben, werden zu einem Politikum gemacht.
seine Fortsetzung finden wird. Das hat der
Von Versammlung zu Versammlung geht der Doktor
Herr alles sich in der „Wiener=Neustädter Zeitung“
zu schreiben getraut.
Thurner mit seinem studentischen Troß damit krebsen
und gefällt sich in der Rolle des Heldendarstellers und
Der Theaterdirektor hat nun, um jedem Skandal
des Judenbezwingers. Die Herren mögen auf der Hut
auszuweichen und sich von der Schuld zu befreien.
sein, sie mögen den Bogen nicht überspannen! Die or¬
eventuell durch die Aufführung Weiterungen herbei¬
ganisierte Arbeiterschaft unserer Stadt
zuführen, das Stück einmal sogar vom an¬
weiß ganz gut, daß diese Theaterkrawalle
gesetzten Spielplan abgesetzt. Nach einiger
nur der Vorwand einer versteckten monar¬
Zeit versuchte nun der Theaterdirektor ein Ueberein¬
chistischen Gesinnung sind und wird es
kommen mit den Christlichsozialen herbeizuführen, das
nicht zulassen, daß die Herrschaften unter
Stück anführen. nachdem ihn der Kontrakt dazu ver¬
einem
neutralen Mäntelchen ihre
pflichtete. Der Dr. Thurner gefiel sich in der Rolle des
reaktionären Pläne durchsetzen.
Zensors; er sagte gnädig zu, machte aber die klaglose
Abwicklung von der Streichung bestimmter Stellen ab¬
Krawalle auch nach dem Theater.
hängig. Dabei drohte er neuerdings dem Theaterdirektor,
wenn sein Wille nicht geschehe, wird es zu großen
Koch der Beendigung der Vorstellung zogen di
Krawallen kommen. Der Theaterdirektor nahm wohl
Studenten vor das Rathaus und verlangten dort die
Streichungen vor, sie genügten aber dem Dr. Thurner
Freilassung der vier aus dem Theater gewiesenen
nicht. Mittwoch sollte neuerdings „Professor Bernhardi“
Studenten. Diese konnten nicht freigelassen werden, da
aufgeführt werden. Was machte der Dr. Thurner? Er
sie überhaupt nicht eingesperrt waren, sondern nur ihr
kaufte durch die Gelder des Volksbundes Karten und
Nationale festgestellt wurde. Unter dem Ruf „Nieder
verkeilte diese Freikarten unter den hiesigen Mittel¬
mit den Juden“ zogen diese nächtlichen Ruhestörer
schülern. Nicht nur das allein. Er stattete die Mittel¬
zum Rathaus. Während des Zuges dorthin teilten sie
schüler mit Sturmpfeischen aus und instruierte sie in
die bekannten Hetzzettel „Der Schmachfriede ein Werk
einer tagszuvor gehabten Zusammenkunft ganz genau,
der Juden“ und auch sonstige Agitationszettel aus, die
ganz deutlich erkennen lassen, daß die ganze Sache plan¬
bei welchen Stellen sie den Krawall im Theater be¬
mäßig vorbereitet war. Vor dem Rathaus erklärte den
ginnen sollen. Ein Herr Mann, der wenig männische
Allüren hat, war der Ausführer der Thurnerschen Ein¬
Versammelten der Polizeiinspektor Schreiber, sie mögen
ruhig nach Haufe gehen und die Ruhestörungen unter¬
gebungen. Dr. Thurner war es, der als Agent provo¬
lassen. Darauf schwang sich ein gewisser Kukertz, der
euteur bezeichnet werden muß. Er hat den ganzen
Skandal im Theater in Szene gesetzt und hat damit die
sich tags vorher in der Rolle des Judenfresses gefiel, auf
jungen Leute in eine ebenso unangenehme wie gefähr¬
die Gaslaterne — auf der er aber nicht aufgehängt
liche Situation gebracht. Im dritten Akt begann
wurde — und hielt eine „Brandrede“ gegen die Juden
und hetzte die Studenten auf, wenn es notwendig
die Pöbelei. Dr. Thurner gab das Zeichen und das
Geheul brach los. Die im Theater anwesenden Genossen
sein muß, am nächsten Tage wieder¬
zukommen und unter Umständen Gewalt
wehrten sich dagegen, daß das Theater in der¬
ärtiger Weise herabgewürdigt wird. Be¬
anzuwenden um ihre verhafteten Kol¬
legen zu befreier. Die Rede wurde mit einem
sonders Genosse Püchler hat es mit Recht nicht fehlen
„Heil“=Gebrüll aufgenommen. Die Wache schritt merk¬
lassen, dem Herrn Dr. Thurner den Standpunkt klar¬
würdigerweise nicht ein, sondern ließ diese Drohungen
zumachen. Dr. Thurner schrie im Theater laut:
ruhig aussprechen. Vizeburgermeister Püchler, der am
„Warum hat der Theaterdirektor nicht
die Stellen gestrichen, die ich ihm ange¬
Heimweg vom Theater war, kam wieder in den Rummel
zeichnet habe?“ Dabei sei die Frage gestattet, wieso
hinein. Die Studenten provozierten i
fortwährend,
der Dr. Thurner sich die Frechheit herausnimmt,
daß er einige dieser.
Lausbuben verhaften ließ.
dem Theaterdirektor vorschreiben zu wollen, was er
aufführen soll oder nicht?
Das bewirkte wieder, daß ihm ein ganzer Trupp
Die geworbenen Mittelschüler machten sich aus der
auf dem Heimweg nachstellte. Ein Teil war auch mit
ganzen Sache eine „Hetz“. Das konnte man deutlich
Stöcken bewaffnet und wollte gegen Vizebürgermeister
sehen bis zum dritten Akt. Beim vierten Akt brach näm¬
Püchler losgehen. Bei der Schulgasse kam es zu einem
lich der Rummel los, nachdem vorher der Dr. Thurner
Zusammenstoß, in dossen Verlauf Vizebürgermeister
mit einigen Studenten ausgemacht hatte, es müsse un¬
Püchler in der Abwehr einen Studenten beim Kragen
bedingt zu einem Krawall kommen. Der Anlaß dazu
nahm und verdientermaßen eine Ohrfeige versetzte. Das
soll eine angebliche Aeußerung des Soldatenrates Hübl
bewog nun die „Heil"-Brüder, die sonst nichts fürchten
gewesen sein. Tatsächlich begann auch Doktor
als Gott, schleunigst davonzulaufen. Darüber stimmen¬
Thurner mit der Storung der Vor¬
nun die Christlichsozialen und Deutschnationalen ein
stellung. Erst dann — und das ist sehr wichtig —
furchtbares Geschrei an, beschimpfen den Vizebürger¬
wendeten sich die Genoffen Püchler und Soldatenrat
meister Püchler in der niederträchtigsten Weise. Nicht zu
Hübl gegen die Pöbelei, die Dr. Thurner mit seinen
verwundern ist, daß auch die „Wiener=Neustädter Nach¬
Lausbuben inszenierte. Es gibt keinen anderen
richten“vollkommen mit der „Wiener=Neustädter Zeitung“
Ausdruck für das, was gemacht wurde, als
um die Wette zu verleumden. Die zwei Blätter passen
niederträchtige Lausbüberei. Die „Wiener¬
wirklich zusammen. Bei gegebener Zeit werden
Neustädter Zeitung“ hat am Tage vorher eine Erklärung
wir uns aller dieser Gemeinheit er¬
der Redaktion veröffentlicht, in der gesagt wurde, daß
innern und sie mit Zinseszinsen zurück¬
jede Demonstration unterbleiben wird.
zahlen.
Dieses Wort hat der Redakteur Dr. Thurner gebrochen.
Ein „Schülerstreik“.
Der „Ehrenmann“ hat es auch zustande gebracht, den
Brief, den er vom Theaterdirektor Sundt empfangen hat,
Die „Vernhardi“=Affäre hat durch die demogogische
zu fälschen, indem er die mißliebigen Stellen aus dem
Agitation der Klerikolen und Großdeutschen zu einem
Brief einfach strich. Daraus kann man ersehen mit
Schülerstreik an den hiesigen Mittelschulen geführt. Nach¬
welchen Charaktereigenschaften der Mann behaftet ist.
dem diese gewissenlosen Herrchen in ernsten Kreisen
Die vernünftigen und anständigen Theaterbesucher
mit ihren bübischen Judenhetzereien keinen Erfolg auf¬
wendeten sich alle gegen das Vorgehen des Dr. Thurner
zuweisen hatten, haben sie sich auf die Mittelschüler ver¬
und der Studenten. Dr. Thurner schrie und strampelte
legt. Schon am Donnerstag abend hatten die Mittek¬
herum, gab Anordnungen und Winke, als dürfte er in
schüler auf Betreiben eines Studenten Mann in einer.
einer katholischen Volksbundversamm¬
Versammlung eine Agitation zum Streik eingeleitet. Am
lung und nicht im Theater sein. Die Staatspolizei,
Freitag den 24. d. M. nach der ersten Unterrichtsstunde
die einige Studenten, die die Werkzeuge des Dr. Thurner
kam es zum Streikausbruch. Gleichzeitig wurde zu einer
waren, aus dem Theater drängte, hätie ein ver= Versammlung im Festsaal des Gomnasiums eingeladen.;