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25 Bernhad
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— „Professor Bernhardi“, Komöd'e in 5
Alten von Arthur Schnitzler. In der dramatischen
Entwicklung Arthur Schnitzlers beobachte wir keine
von Drama zu Drama, von Konflikt zu Konslilt
aufwärks iimmende, sonder eine unstäte, ewig
schwankende, auf und niederbebende Bewegung. Aus
dem prächtigen, aber starren Nahmen der Nenaissance
(„Schleier der Beatrice“) herniedersteigend, setzt er
mit starken, dramatischen Abeiten zum erstenmale
in seinen Schauspielen „Liebelei“ und „Freiwild“
ein und erreicht rasch und sicher eine beachtenswerte
Bedeutung als Verkünder wichtiger sozialer Re¬
fornen. Dann versüngkt er jahrelang in sein ur¬
sprüngliches Wesei, in das stille, feinnervige Grüb¬
kertum seiner tlespsychologischen Dramen, die als
Bühnenwere fast unwirlsam bleiben, weil ihnen
die dramatische Spannkraft sehlt, als Lesedramen
aber den unsrmeßlichen Schatz seiner künstlerischen
Erkenntniskraft offenbaren. Mit glänzender, philo¬
sophisch tiefgründiger Dialestik rührt er in diesen
Dramen an die tief=innerlichsten Konslikte der Men¬
schenseele, zu deren Rätselfülle sich die primitive
Gesühlskraft des normale Menschen kaum zu ver¬
steigen wagt. Hier ähnelt er den nordischen Ib¬
sen, nur nicht so kantig, so urgewaltig, so unerbitt¬
lich, sondern resignierter, steptischer, melancholischer
und auch welher und süßer als dieser. Sym¬
bolistisch und deladent, frivol und humorvoll, bald
ilar und schlicht, bald pathologisch versunken, ent¬
wickelt er sich zum Meister verträumter Alt= und
Neuwieer Stimmungsmalerei und in diesen weiten
Rahmen zum Psychologen des „süßen Mädels“
Bis er, doch auch unter Aufwand seines ganzen
schwerblütigen Apparates, wieder zu dramatischer
Sprungkraft ennorschnellt in dem Drama „Der
junge Medardus“ jeter ätzenden Satire auf das
-Wiener Mastbürgertum zur Leit der Befreiungs¬
kriege. Und wieder vergrübelt er sich in seherisch
tiefer Prosa und Lesedramatik in die unterirdischen
Gegensätze des Lebens. Der Zug der Zeit geht nicht
spurlos an Schnitzler vorüber und so formt sich, aus
einer Fülle von innerlich verarbeiteten Gelegen¬
heitsmotiven emporgewachsen, sein soziales, ethi¬
sches, religiöse; und Standesevangelium in der Ko¬
mödie „Professor Bernhardi“. — Der unmittelbare
Anstoß, die vielfältigen erregenden Momente zu
diesem Drama lassen sich nicht erkennen. Aber einem
scharfblickenden Autor, der Oesterreich so liebt wie
Schnitzler und es deshalb so geißelt, mußte sich
aus den vielen Staatsaffären des letzten Jahr¬
zehnts der sittliche Ruin, die ungeheuere soziale
Verlogenheit, die unüberbrückbaren Gegensätze zwi¬
schen Sein und Schein in der alten Monarchie
bald erschließen. Schnitzler greift sein Problem
aus dem Kreise seines ärztlichen Berufes heraus,
erweitert es aber zu einem Kulturproblem so rie¬
senhaften Umfanges, daß es seine Wellen an alle
Gestade sozialen Lebens des alten Oesterreichs
wirft. Das erregende Moment ist ureinfach: Auf
der Klinik des Professors Bernhardi, des Direk¬
tors des Elisabethinums, liegt ein junges Möd¬
chen, das nach kurzem, heißen Liebesglück rettungslos
dem Tode verfallen ist. An jer rächt die unerbitt¬
liche Natur einen verzweifelten Eingriff in ihre
Rechte. Aber das Mädchen ist ahnungslos, glaubt,
ihr Geliebter werde kommen und sie hinausführen
in die schillernde Welt, glaubt an alles andere
eher als an eien nahen Tod. Bernhardi will
sie in diesen beseligenden Wahne in das Jenseits
hinübergleiten lassen und verweigert dem von
Schwester Ludmilla herbeigeruferen Priester, welcher
die letzten Tröstungen der Religion bringen soll, den
Eintritt zu der Sterkenden, mit der Begründung:
er sei nicht nur Arzt, sondern vor allem Mensch.
Deshalb solle das arne Menschenkind, setig im
Glauben an das Lelen an ihr Leben storben
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— „Professor Bernhardi“, Komöd'e in 5
Alten von Arthur Schnitzler. In der dramatischen
Entwicklung Arthur Schnitzlers beobachte wir keine
von Drama zu Drama, von Konflikt zu Konslilt
aufwärks iimmende, sonder eine unstäte, ewig
schwankende, auf und niederbebende Bewegung. Aus
dem prächtigen, aber starren Nahmen der Nenaissance
(„Schleier der Beatrice“) herniedersteigend, setzt er
mit starken, dramatischen Abeiten zum erstenmale
in seinen Schauspielen „Liebelei“ und „Freiwild“
ein und erreicht rasch und sicher eine beachtenswerte
Bedeutung als Verkünder wichtiger sozialer Re¬
fornen. Dann versüngkt er jahrelang in sein ur¬
sprüngliches Wesei, in das stille, feinnervige Grüb¬
kertum seiner tlespsychologischen Dramen, die als
Bühnenwere fast unwirlsam bleiben, weil ihnen
die dramatische Spannkraft sehlt, als Lesedramen
aber den unsrmeßlichen Schatz seiner künstlerischen
Erkenntniskraft offenbaren. Mit glänzender, philo¬
sophisch tiefgründiger Dialestik rührt er in diesen
Dramen an die tief=innerlichsten Konslikte der Men¬
schenseele, zu deren Rätselfülle sich die primitive
Gesühlskraft des normale Menschen kaum zu ver¬
steigen wagt. Hier ähnelt er den nordischen Ib¬
sen, nur nicht so kantig, so urgewaltig, so unerbitt¬
lich, sondern resignierter, steptischer, melancholischer
und auch welher und süßer als dieser. Sym¬
bolistisch und deladent, frivol und humorvoll, bald
ilar und schlicht, bald pathologisch versunken, ent¬
wickelt er sich zum Meister verträumter Alt= und
Neuwieer Stimmungsmalerei und in diesen weiten
Rahmen zum Psychologen des „süßen Mädels“
Bis er, doch auch unter Aufwand seines ganzen
schwerblütigen Apparates, wieder zu dramatischer
Sprungkraft ennorschnellt in dem Drama „Der
junge Medardus“ jeter ätzenden Satire auf das
-Wiener Mastbürgertum zur Leit der Befreiungs¬
kriege. Und wieder vergrübelt er sich in seherisch
tiefer Prosa und Lesedramatik in die unterirdischen
Gegensätze des Lebens. Der Zug der Zeit geht nicht
spurlos an Schnitzler vorüber und so formt sich, aus
einer Fülle von innerlich verarbeiteten Gelegen¬
heitsmotiven emporgewachsen, sein soziales, ethi¬
sches, religiöse; und Standesevangelium in der Ko¬
mödie „Professor Bernhardi“. — Der unmittelbare
Anstoß, die vielfältigen erregenden Momente zu
diesem Drama lassen sich nicht erkennen. Aber einem
scharfblickenden Autor, der Oesterreich so liebt wie
Schnitzler und es deshalb so geißelt, mußte sich
aus den vielen Staatsaffären des letzten Jahr¬
zehnts der sittliche Ruin, die ungeheuere soziale
Verlogenheit, die unüberbrückbaren Gegensätze zwi¬
schen Sein und Schein in der alten Monarchie
bald erschließen. Schnitzler greift sein Problem
aus dem Kreise seines ärztlichen Berufes heraus,
erweitert es aber zu einem Kulturproblem so rie¬
senhaften Umfanges, daß es seine Wellen an alle
Gestade sozialen Lebens des alten Oesterreichs
wirft. Das erregende Moment ist ureinfach: Auf
der Klinik des Professors Bernhardi, des Direk¬
tors des Elisabethinums, liegt ein junges Möd¬
chen, das nach kurzem, heißen Liebesglück rettungslos
dem Tode verfallen ist. An jer rächt die unerbitt¬
liche Natur einen verzweifelten Eingriff in ihre
Rechte. Aber das Mädchen ist ahnungslos, glaubt,
ihr Geliebter werde kommen und sie hinausführen
in die schillernde Welt, glaubt an alles andere
eher als an eien nahen Tod. Bernhardi will
sie in diesen beseligenden Wahne in das Jenseits
hinübergleiten lassen und verweigert dem von
Schwester Ludmilla herbeigeruferen Priester, welcher
die letzten Tröstungen der Religion bringen soll, den
Eintritt zu der Sterkenden, mit der Begründung:
er sei nicht nur Arzt, sondern vor allem Mensch.
Deshalb solle das arne Menschenkind, setig im
Glauben an das Lelen an ihr Leben storben