erweitert es aber zu einem Kulturproblem so rie¬
senhaften Umfanges, daß es seine Wellen an alle
Gestade sozialen Lebens des alten Oesterreichs
wirft. Das erregeide Moment ist ureinfach: Auf
der Klinik des Prosessors Bernhardi, des Direk¬
tors des Elisabethinums, liegt ein junges Möd¬
chen, das nach kurzem, heißen Liebesglück rettungslos
dem Tode verfallen ist. An ihr rächt die unerbitt¬
liche Natur einen verzweifelten Eingriff in ihre
Rechte. Aber das Mädchen ist ahnungslos, glaubt,
ihr Geliebter werde kommen und sie hinausführen
in die schillernde Welt, glaubt an alles andere
eher als an einen nahen Tod. Bernhardi will
sie in diesen beseligenden Wahne in das Jenseits
hinübergleiten lassen und verweigert dem von
Schwester Ludmilla herbeigerufenen Priester, welcher
die letzten Tröstungen der Religion bringen soll, den
Eintritt zu der Sterbenden, mit der Begründung:
er sei nicht nur Arzt, sondern vor allem Mensch.
Deshalb solle das arne Menschenkind, feiig im
Glauben an das Lelen, an ihr Leben, sterben.
Der Besuch des Priesters müsse in ihr diesen Glau¬
ben jäh zerstören, müsse ihr die furchtbare Gewi߬
heit ihrer Lage geben. Der Schreck könne sie vor¬
zeitig töten, de Segnungen der Kirche, nach denen
sie gar nicht verlangt hat, wären kein Aequiva¬
lent zu dem schören Trugwahn, der ihr ganzes
Wesen beherrscht. Aber der Einsatz seines Menschen¬
iums, den Bernhardi gewagt hat, ist umsonst:
Schwester Ludmilla hat das Mädchen auf den Be¬
such des Priesters vorbereitet, und als der Prie¬
ster sich den Eintritt erzwingen will, ist sie be¬
reits verschieden. Das Entsetzen hat sie getötet.
Das ist die ganze Schuld Bernhardis, sein Wille, ein
schönes, ungetrübtes Sterben zu vermitteln. Jetzt
erhebt gegen den absoluten Menschenfreund, den
Freund der leldenden Menschheit, die Gemeinheit in
allen Spielarlen ihr Haupt, die plumpe, jung
verdummte Geneinheit in Schwester Ludmilla, die
akudemisch geschulte, die streberisch verängstigte und
in Eifersucht auf den genialen Arzt erblindete Ge¬
meinheit in einigen seiner Kollegen, die diploma¬
tisch glatte Gen einheit im Unterrichtsminister, die
selbsloe gegen den Semiten verrannte Gemeinhit
des prinzipient## ehemalgen Korpsstudenten und
die rückgradlose Cemeinheit des Beamtensophisten.
Diese vielköpfige Gemeinheit veranlaßt den rein¬
lichteitslielenden Arzt zu vorläufiger Resignation*
vom Direktorat. Die gegnerische Presse betreibt
mit elelerregender Verlogenheit in einem verzerr¬
ten Aufbausch des Werkes der Menschlichkeit eine
Interpellation, die zur strafgerichtlichen Verfolgung
und Verurteilung des Arztes Bernhardi als eines
Religionsstörers führt. Aufrecht und mannhaft, jen¬
seits von Gutem und Bösem, schreitet Bernhardi
durch den Sumpf. Es hätte ganz anders ausfal¬
len können, wenn er gewollt hätte, wenn er nur
ein kleines, kitzliches, geheimes Kompromiß geschlos¬
sen hätte; denn er hat Anhang, hat Verbindungen,
hat einen zum sittlichen Schiebertum bereiten Mi¬
nister zum Freund, der ihn nur öffentlich, pro
foro sallen läßt. Aber dem Menschen in Bern¬
hardi handelt es sich nicht um seine Person, son¬
dern um die Prollamation der Wahrheit; er ver¬
zichtet auf die Wiederaufnahme des Proresses, welche
durch den sich später offerbarenden Meineid der
Schwester Ludmilla Aussicht auf Erfolg hätte, er
verzichtet auf die politische Gloriole des Mär¬
tyrers, die ihm die demolratische Presse und Partei
anträgt, er verzichtet auch auf die ihm leicht mög¬
liche Abrechnung mit dem Ministerfreund, dessen
klägliches Zerrbild des Kompromißmenschen ihn nur
noch erheilert. Er widerlegt ihn schärfer, demü¬
tigender: ein Fürst verlangt nach Bernhardis ärzt¬
licher Kunst, Grund genug für den Minister, dem
Kerkersträfling schleunigst den verlorenen Doktor¬
grao wieder zu verleihen. So enthüllt der Aulor
zum Schluß die jämmerliche Maske österreichischer
Illogismen mit ironisch souveränem Lächeln.
(Schluß folgt.)
1. —
*
senhaften Umfanges, daß es seine Wellen an alle
Gestade sozialen Lebens des alten Oesterreichs
wirft. Das erregeide Moment ist ureinfach: Auf
der Klinik des Prosessors Bernhardi, des Direk¬
tors des Elisabethinums, liegt ein junges Möd¬
chen, das nach kurzem, heißen Liebesglück rettungslos
dem Tode verfallen ist. An ihr rächt die unerbitt¬
liche Natur einen verzweifelten Eingriff in ihre
Rechte. Aber das Mädchen ist ahnungslos, glaubt,
ihr Geliebter werde kommen und sie hinausführen
in die schillernde Welt, glaubt an alles andere
eher als an einen nahen Tod. Bernhardi will
sie in diesen beseligenden Wahne in das Jenseits
hinübergleiten lassen und verweigert dem von
Schwester Ludmilla herbeigerufenen Priester, welcher
die letzten Tröstungen der Religion bringen soll, den
Eintritt zu der Sterbenden, mit der Begründung:
er sei nicht nur Arzt, sondern vor allem Mensch.
Deshalb solle das arne Menschenkind, feiig im
Glauben an das Lelen, an ihr Leben, sterben.
Der Besuch des Priesters müsse in ihr diesen Glau¬
ben jäh zerstören, müsse ihr die furchtbare Gewi߬
heit ihrer Lage geben. Der Schreck könne sie vor¬
zeitig töten, de Segnungen der Kirche, nach denen
sie gar nicht verlangt hat, wären kein Aequiva¬
lent zu dem schören Trugwahn, der ihr ganzes
Wesen beherrscht. Aber der Einsatz seines Menschen¬
iums, den Bernhardi gewagt hat, ist umsonst:
Schwester Ludmilla hat das Mädchen auf den Be¬
such des Priesters vorbereitet, und als der Prie¬
ster sich den Eintritt erzwingen will, ist sie be¬
reits verschieden. Das Entsetzen hat sie getötet.
Das ist die ganze Schuld Bernhardis, sein Wille, ein
schönes, ungetrübtes Sterben zu vermitteln. Jetzt
erhebt gegen den absoluten Menschenfreund, den
Freund der leldenden Menschheit, die Gemeinheit in
allen Spielarlen ihr Haupt, die plumpe, jung
verdummte Geneinheit in Schwester Ludmilla, die
akudemisch geschulte, die streberisch verängstigte und
in Eifersucht auf den genialen Arzt erblindete Ge¬
meinheit in einigen seiner Kollegen, die diploma¬
tisch glatte Gen einheit im Unterrichtsminister, die
selbsloe gegen den Semiten verrannte Gemeinhit
des prinzipient## ehemalgen Korpsstudenten und
die rückgradlose Cemeinheit des Beamtensophisten.
Diese vielköpfige Gemeinheit veranlaßt den rein¬
lichteitslielenden Arzt zu vorläufiger Resignation*
vom Direktorat. Die gegnerische Presse betreibt
mit elelerregender Verlogenheit in einem verzerr¬
ten Aufbausch des Werkes der Menschlichkeit eine
Interpellation, die zur strafgerichtlichen Verfolgung
und Verurteilung des Arztes Bernhardi als eines
Religionsstörers führt. Aufrecht und mannhaft, jen¬
seits von Gutem und Bösem, schreitet Bernhardi
durch den Sumpf. Es hätte ganz anders ausfal¬
len können, wenn er gewollt hätte, wenn er nur
ein kleines, kitzliches, geheimes Kompromiß geschlos¬
sen hätte; denn er hat Anhang, hat Verbindungen,
hat einen zum sittlichen Schiebertum bereiten Mi¬
nister zum Freund, der ihn nur öffentlich, pro
foro sallen läßt. Aber dem Menschen in Bern¬
hardi handelt es sich nicht um seine Person, son¬
dern um die Prollamation der Wahrheit; er ver¬
zichtet auf die Wiederaufnahme des Proresses, welche
durch den sich später offerbarenden Meineid der
Schwester Ludmilla Aussicht auf Erfolg hätte, er
verzichtet auf die politische Gloriole des Mär¬
tyrers, die ihm die demolratische Presse und Partei
anträgt, er verzichtet auch auf die ihm leicht mög¬
liche Abrechnung mit dem Ministerfreund, dessen
klägliches Zerrbild des Kompromißmenschen ihn nur
noch erheilert. Er widerlegt ihn schärfer, demü¬
tigender: ein Fürst verlangt nach Bernhardis ärzt¬
licher Kunst, Grund genug für den Minister, dem
Kerkersträfling schleunigst den verlorenen Doktor¬
grao wieder zu verleihen. So enthüllt der Aulor
zum Schluß die jämmerliche Maske österreichischer
Illogismen mit ironisch souveränem Lächeln.
(Schluß folgt.)
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