II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 585

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25. Profe. Bernhandi
Schnitzlers Aerztestück.
Neuaufgeführt im Residenz=Theater.
Das Residenz Theater hat Schnitzlers Kampfdrama „Pro¬
fessor Bernhardi“ aus der Versenkung geholt. Tendenzstücke
sind immer peinlich, ob das nun Klassenkampfopern sind, wie Tol¬
lers letzte Dramen, oder ob sie einem Groll über interkonfessionelle
Gemeinheit, Niedertracht und Ranküne Luft machen, wie „Pro¬
fessor Bernhardi“. Sie sind peinlich, auch wenn noch so viel bren¬
nend Persönliches hineingeflossen ist. Sie sind peinlich, gerade
weil dieses brennend Persönliche aus ihnen spricht (im Falle
Toller wie im Falle Schnitzler). Sie sind peinlich, denn dies
Persönliche ist Tendenz, Richtung geblieben, nicht Gestalt gewor¬
den (wie in so vielen Dramen von Schiller bis Ibsen und Haupt¬
mann, die Dramen mit Tendenz, aber nicht „Tendenzdramen“
sind); denn die Figuren des Dramas sind auf die Diskussion
hin konstruiert und kombiniert, also in Böse und Gute, Schwarze
und Weiße geschieden, und das Lebendig=Persönliche, das in die
Debatte einfließt, stellt die Sprecher, je unlebendiger sie geblieben
sind, um so schärfer bloß und offenbart, je heftiger es umstritten
wird, um so deutlicher, daß es nicht dramatischer Gehalt ge¬
worden, sondern menschlich=privater Diskussionsinhalt ist.
Schnitzler war bühnenkundig genug, um eine rücksichtslos effekt¬
volle Fabel zu erfinden, aber nicht borniert genug um sie mit rück¬
sichtsloser Konsequenz zu Ende zu führen. Kluge, allzu kluge Ge¬
spräche, die die Nähe des Wiener Feuilletons nicht verleugnen,
heben das Problem in den letzten Akten in eine „höhere“ Sphäre,
in eine so hohe Sphäre, daß der Zuschauer, tief unten bleibend, die
Stacheln des Problems vergißt und angenehm erregt, aber für den
Augenblick beruhigt zum Abendessen gehen kann.
Die Aufführung des Residenz=Theaters setzte die von Effekt zu
Effekt galoppierende Tendenz des Werks fest in den Sattel (das
Menschliche, dem eine andere Aufführung die Zügel hätte in die
Hand geben können, schleifte hinterher) Jeder der Aerzte wurde
auf eine Professorenschablone reduziert, ihre menschlich leerlaufende
Rede wurde auf den „natürlichen" Tonfall gebracht, der ja in
diesem Hause eine ebenso sicher beherrschte Nuance ist, wie das mit
ihm verbundene diskrete Hinschmettern der Pointen. Vielleicht
noch niemals haben die Figuren der Rotterbühnen in ihrem un¬
unterbrochenen, automatenhaften Wechsel von betonter Nonchalance
und nonchalanter Betontheit, von Rüchternheit und Knalligkeit so
maskenhaft gewirkt wie an diesem Abend. Man kann sich aber
vorstellen, wie der Regisseur Oskar Kanehl mit diesem Material
die große Sitzung des dritten Aktes von Explosion zu Explosion
hetzte. Das Publikum, soweit es meinte: Tua res agitur, hätte am
liebsten bei offener Szene mitgespielt, und raste erregt Beifall.
ia Wunrtre
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Selbst Heinz Salfner, jetzt wie ehedem Professor Bernhardi,
faßte jetzt die Gestalt nicht vom Menschlichen, sondern vom Theatra¬
lischen her. Aeußerlich sehr sympathisch, hatte er keinen festen
Ton für die Gestalt gefunden. Er spielte bald — glaubhaft —
sichere Ruhe, bald — glaubhaft — nervöse Erregbarkeit; aber in
der Erregung trug er seine klugen Sprüche mit klingendem
Schwung vor, wie ein Kellner Delikatessen (und sonderbar, wie
provinziell unruhig er mit den Händen agierte. O Niedergang der
Schauspielkunst!). Als weitere Grenzfälle zwischen ostentativ
Menschlichem und diskret Theatralischem seien genannt: Wolff,
A. M.
Schroth, Christ, Schröder=Schromm, Berger, Löwe.