II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 596

25. Professer Bernhandi
Im Deutschen Volkstheater werden Komödien dieser Art sehr be¬
hend heruntergespielt. Besonderheiten und Finessen gibt es nicht.
Man begnügt sich, die große Linie zu finden, die einzelnen Figuren
in groben Umrissen herauszuarbeiten. Man vermeidet Regiemätzchen,
aber man verzichtet auch darauf, eine schauspielerische Leistung ab¬
zutönen, ihr jene belebenden Akzente zu geben, durch die sie über¬
haupt erst wesentlich wird.
Auch hier spielt der Chef die Haupt= und Titelrolle. Das scheint
der Wiener Tradition, insbesondere der dieses Hauses zu entsprechen.
Ich erinnere mich, daß auch der Amtsvorgänger des Herrn Direktor
Bernau die großen Nummern abzog.
Herrn Bernaus Routine verdirbt nichts. Er gehört zu den
sicheren Schauspielern, die niemals gegen den guten Geschmack
sündigen — und niemals durch Einfall, oder Phantasie verblüffen.
Täte er bei solcher Veranlagung nicht klüger, seinen ausgezeichneten
Mitgliedern den Vorrang zu lassen? Noch immer sind die Herren
Kutschera und Lackner Stützen seiner Ensembles. Sie zeich¬
nen mit derben Strichen, geben ihren Gestalten feste Konturen. Sie
stehen auf dem soliden Boden alter Darstellungskunst — ihr haus¬
backener Humor trifft mitten ins Schwarze. Herr Forest,
disserenzierter und hellhöriger als diese Zunftgenossen, übertreibt —
er hat das Zeug zu einem Chargenspieler ersten Ranges, wenn er
zur Bescheidenheit der Natur zurückkehrt. Neben ihm fällt noch Herr
Dumont auf, der Figur zu machen weiß. Er hat die elegante
Haltung und Schärfe des Ausdrucks. Er ist nobel und diskret.
Seine Entwicklung in den letzten Jahren ist außerordentlich.
Wie aber steht es mit dem Burgtheater, das in seiner Glanz¬
epoche das ganze deutsche Theaterleben befruchtete — und der Stolz
jedes guten Wieners war?
Ach, Luise, das ist ein weites Feld! Man könnte schon
melancholisch werden, wenn man in den Annalen des weltberühm¬
ten Hauses blättern und Vergangenheit mit Gegenwart vergleichen
würde.
Das Problem des Burgtheaters scheint unlösbar. Es ist dabei
ganz unwesentlich, ob der Leiter Heine, oder Paulsen— Wild¬
gans, oder Herterich heißt. Dies Haus ist im Guten, wie im
Bösen an die Vergangenheit gekettet. Es gibt ererbte Rechte und
ein Rollenmonopol, an das die Herrschaften nur unter leidenschaft¬
lichen Protesten leise rühren lassen. Es gibt einen festgelegten Stil,
der sehr viel Kultur und ungewöhnliche Sprechkunst heute noch aus¬
zudrücken vermag — aber zugleich auch alle Merkmale des Morbiden,
alle Erscheinungen des Zerfalls aufweist.
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Gegen jede neue Bewegung, gegen jeden frischen Luftzug ist das
republikanische Burgtheater genau so hermetisch verschlossen wie das
kaiserliche. Der beau reste der alten Garde — und dieser Rest ist
an sich wirklich schön und kostbar — fühlt sich durch die Forderungen
ich
der Gegenwart in seiner Existenz bedroht — stützt sich auf sakro¬
sankte Verträge, die bis in die Ewigkeit reichen.

Was soll der junge Herr Herterich tun? Er besitzt Geschmack,
Bildung, gute Umgangsformen. Eine revolutionäre Natur ist er
gewiß nicht. Also laviert er, wie jeder seiner Vorgänger. Er sucht
es den alten Herrschaften recht zu machen, damit die Intrigue hinter
den Kulissen nicht über seinen armen Schädel wächst — und ganz
vorsichtig möchte er junge Talente einschmuggeln.
M.
„Richardder Zweite" und „Die kleine Konditorei“
des Ungarn Heltai standen an dem Tage auf dem Spielplan, als
ich das Burgtheater besuchte.
Operêtter unbegreifucht
Keine Zufallskonstellation. Zwischen diesen Extremen liegt das
und Routine.“
Repertoir.
„Na, die dürfte er
Shakespeare wird in der verschimmelten Bearbeitung von Dingel¬
Röhren.
stedt aufgeführt. Man spielt ihn — vor Vorhängen und Prospekten,
Und seine Frau erwid
ohne Leidenschaft und Impuls. Kostbare, wundervolle Kostüme
„Ich glaube, daß er se
können nicht schadlos halten für den Staub und Moder dieser Vor¬
„Das glaube ich auch“,
stellung, deren Regisseur der Zettel vorsichtig verschweigt. Ohne
Röhrens sahen sich an
Rhythmus und ohne Gliederung rollen sich die einzelnen Bilder ab
„Kennst du Herrn Raf
und das tragische Geschick eines frevelhaften Königs, das in seiner
„Nein, aber ich kenne G
Aktualität an Herz und Nieren greifen müßte, läßt den Zuschauer
„Spricht er viel von se
eiskalt.
chüttelte den Kop
Dabei gibt Herr Aslan, in Berlin sehr unterschätzt, einen Hauch
also, dann weißt
von Richards Anmut und Uebermut — dabei spielt Lotte Men¬
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räche gewiß von
delsky, das letzte Genie der deutschen Bühne, die kleine Rolle der
„Wie meinst du das —
Königin. Diese große Schauspielerin, die in den Katakomben des
„So wie Günther — o
Burgtheaters eingesargt wurde, ist nie über das Weichbild Wiens
Frau Röhren fuhr ih
hinausgekommen. Sie hätte mit der Duse und Bernhard zu
gütig und sagte:
europäischer Geltung gelangen müssen.
„Ganz recht, mein Kind
Neben ihr stehen Reimers und Devrient, Säulen aus
Aber dem alten Röhren
alter Pracht und Herrlichkeit — in unbedeutenden Aufgaben
und sagte:
excellieren Albert Heine und Maria Mayer. Auch die
„Nein! Vater und Soh
kleinen Rollen werden ausgezeichnet gesprochen.
Suse beuchte sich über
Und dennoch keine Einheit, kein Gesamteindruckl ...
Es fehlt der große Herr und Gebieter, vor dem die Jungen und
die Alten das Knie beugen würden — es fehlt diesem Theater die
Persönlichkeit, die die Kraft und den Willen hätte, alte Tafeln zu
Die heutige Fortsetz
zerbrechen und dem Burgtheater jene Hoheitsrechte wiederzugeben, ##ten Sängers Cars
durch die es einst höchst königlich die Welt der Bretter beherrschte, wurde“ siehe 2. Beib