II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 616

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25. ProfesserBernhand
Wie „Professor Bernhardi“ entstand.
Zur Wiederaufführung des Stückes
von Prof. Heinrich Glücksmann.
Arthur Schnitzler kam aus der Medizin in die Literatur, aus dem Erlebnis
in die Kunst. Schon an dem Kinde zogen Tag um Tag die Kranken vorbei,
die es waren und die es zu sein vermeinten oder vorgaben. Neben Warie¬
und Ordinationsraum eines bedeutenden Arztes spielte er seine Knabenspiele
und wandte sich wie sein Bruder, der namthafte Chirurg, dem ärztlichen Be¬
rufe zu, dem er — als Spezialist für Frauenleiden — durch Jahre diente, bis
ihn der unerwartete Erfolg seiner dichterischen Erstlinge, die er, ihres Wertes
unbewußt, nur den Intimsten erschlossen und unter deren Zwange, erst als
Dreißigjähriger, der Offentlichkeit übergeben hatte, von seiner Berufenheit
überzeugte und in die Schriftstellerei förmlich hineinstieß. Wohlgerüstet und
vorbereitet. Hatte er doch in die tiefsten Heimlichkeiten der Menschen¬
natur bereits Einblick genommen und durch die Wissenschaft, die ihre Er¬
kenntnisse zumeist auf den vor aller Welt ängstlich verborgen gehaltenen
Dingen aufbaut, die Sinne geschärft für die Probleme der Seele, für die Rätsel
des Lebens, für das unlösbare Sphinxgeheimnis des Todes. Und mit weit
offenen Poetenaugen hatte er das Wesen seiner Vaterstadt mit sehnsüchtiger
Zärtlichkeit und liebevoller Innigkeit, die eigentümlich schmeichlerischen
Schönheiten Wiens eingesogen, bis hinaus zu den letzten Vorstadthäusern,
den weiten Höfen mit vereinzelten Bäumen, die einen Garten heucheln. Hier
hat er den neuen Typus des „süßen Mädels“ gefunden, des Wiener Gretchens,
wie in sich selbst und unter den Kameraden den „Anatol“ den Wiener
Jungen mit französischem Namen, der in Paris die Kunst des Flirts studiert
hat, der „Liebelei“, der Liebe ohne Liebe, die von der Stunde und für die
Stunde lebt. Diesem Ringstraßenhelden, dem wenige Frauen widerstehen und
der keiner Frau widersteht, vertreibt die Liebe die Zeit, dann die Zeit die
Liebe, wobei manch armes Ding in restloser Hingabe das Schicksal einsetzt
und verspielt. Nicht am Leben vorbeigehen, das ist eben der unbewußte
Drang dieser Leute vom Grund, die schon ein Scheinchen Sonne beseligt,
während die Oberschichte der „Komtesse Mizzi“ im Glanz und Reichtum
ihrer Sphäre bedrückt ist von heimlicher Schuld und heimlichen Schatten.
Aber nicht allein durch diese Wiener Genrebilder, die Schnitzler auch
als Erzähler gerne malt, pulst in kräftigen Schlägen die Wirklichkeit. Er geht
auch in Tiefen und Weiten, paart wie im „Ruf des Lebens“ in ergreifendstem
Gegensatz heiße Daseinslust und strengen Sterbenszwang, umfaßt im „Grünen
Kakadu“, wohl dem mächtigsten Kleinstücke der Literatur, bei wundersamer
Knappheit mit eindringlichster Wucht die bewegteste, farbigste Epoche der
Weltgeschichte, taucht forschend und klärend in die Dunkelheiten der Men¬
schenseele, die ihm das „weite Land“ ist, das noch kein Kolumbus zur
Gänze entdeckt und bloßgelegt hat. So ist denn der oft nur als Causeur der
leichtfertigen Liebe à la minute Etikettierte auch ein freier Frager und kühner
Bekenner gegenüber den dunklen Mächten des Seins, und die Quellen seines
Dichtens rauschen aus den Bornen des großen Mitleids mit den Schwachen,