II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 719

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25. ProfessonBernhandi
Fritz Kortner
Paul Hörbiger
Mancher dichterische Einfall, der im Laufe der Zeit in unser
Unbewußtes sank, den wir also unserer Meinung und dem Sprach¬
gebrauch nach vergessen haben, nimmt weiter an unseren Erleh¬
nissen teil, zieht in geheimnisvoller Weise Nahrung aus ihnen und
entwickelt sich so ohne unser Dazutun, ohne unser Wissen weiter
fort. Und eines Tages mag es geschehen, daß er, wundersam
verändert, aus den Tiefen unserer Seele wieder emporsteigt und
uns zu mahnen scheint: Nun bin ich endlich zu dem herangereift.
wozu ich von Anbeginn bestimmt war: jetzt erst hin ich deiner
und meiner wert:
laß uns Beide unser Schicksal erfüllen,
schaffe dein Werk.
Jeder Dichter ist Realist und Idealist, Impressionist und
Expressonist. Naturalist und Symbolist zugleich. oder er ist über¬
haupt keiner. Natürlich überwiegt eine dieser Kunst- und Welt¬
anschauungen, je nach Temperament. Anlage, Epoche und Stim¬
mung. Aber sobald eine von ihnen so sehr überwiegt, daß die
anderen darunter erheblich leiden oder gar eine oder die andere
völlig verkümmert, so ist damit schon ein Talent- und Wesens¬
mangel ausgesprochen.
Nicht jeder Künstler von Genie hat Humor, aber jeder Künstler
von Humor (nicht jeder Spaßmacher) hat Genie. Humor ist der
weitere und höhere Begriff. Er ist das eigentliche Genie des
Herzens, da Güte wohl ohne Humor, aber Humor niemals ohne
Güte bestehen kann.
Wenn ein Stoff in der Seele eines Dichters zu reifen beginnt.
so ist dieser Prozeß mit der Aufquellung einer Zelle vergleichbar.
deren Wände sich allmählich verdünnen, porös werden und sozu¬
sagen tausend. hunderttausend Mäuler bekommen. Alles was einer
solchermaßen veränderten Zelle in die Nähe gerät, kann, ja muß
ihre Nahrung werden. Ungemäßem verschlicßt sie sich oder