25. Brofesse-Bernhandi
box 31/6
C
——
Freitag, 24. Januar 1930
Mißertolg Kortners.
Zeitdrama von vorgestern.
Schnitzlers „Professor Bernhardi“.
im Königgrätzer Theater.
Ein „Zeitstück“ aus 1912; damals, wie eine all¬
wissende Archivmappe erzählt, Serienerfolg Bar¬
nowskys im Kleinen Theater; ein Schlüsseldrama,
das sich heute kaum mehr entziffern läßt; Milieu¬
schilderung aus dem alten Oesterreich, als dieses
noch gut habsburgisch war. Der k. u. k. Zensor
hatte es im schwarzgelben Wien zu spielen ver¬
boten. Als 1919 die verspätete Premiere in der
bolschewisierten Kaiserstadt stattfand, entdeckte
man erst, wie dumm der Zensor in der guten, alten
Friedenszeit gewesen, weil er ein solch' redseliges
Drama — „Marquis Posa im Aerzte¬
kittel“ — aus Angst vor der demagogischen
Wirkung selbst hohler Phrasen unterdrückt hatte.
Heute wirkt das Stück wie eine naive Erinne¬
rung an eine fast unglaubliche Vergangenheit.
Keine Beziehung, die sich zum Alltag knüpfen
läßt; kein Vergleich mit dem aktuellen Heute.
K.=u=k.=Mumien reden vergilbte Weisheiten.
Motten tanzen aus diesen Sätzen hervor. Es war
einmal...
Nein, es war nicht! Denn dieses Schnitzlerstück
ist falsches Theater, rührselige Geschaftelhuberei
um eine Affäre, die es niemals gab.. Dieser Pro¬
fessor Bernhardi, ein demütiger Altruist, in Klug¬
heit resignierend, milde wie ein Schaf und weise
wie zehn Aerzte, hat in der Form, die Kortner
der Gestalt gab, niemals in Oesterreich gelebt.
Schnitzler wurde durch Kortner
ad absurdum gespielt ..
Warum überhaupt diese Wiedererweckung eines
längst gestorbenen Dramas? . Nur, um Kortner
Gelegenheit für eine große Rolle zu schaffen, um
seinem nasalen Pathos die nüchternen Akkorde
einer einst revolutionär klingenden Rede auszu¬
liefern? Jeßner ging an dem Rollenhunger
Kortners zugrunde. Will er, dieser Darstel¬
lungsingenieur, dieser kluge Baumeister mit sei¬
ner bescheidenen Fähigkeit ein zweites Theater
xuinieren?
— . Professor Bernhardi“ hat nichts zu dem Heute
zu sagen. So fieht ein „Zeitstück“ nach
18 Jahren aus! Merkt ihr nun, wie schwach
und schlecht die Kunst bleibt, die so schnell ver¬
gänglich ist?
Drave Schauspieler um Kortner waren zu Stich¬
wortbringern degradiert. Da leuchtete aus Salf¬
ner das grauhaarige Temperament eines Demo¬
kraten mit Schlapphut, der nun auch schon eine
Figur von gestern ist; da zeigte Mamelok
einen teutonischen Fuchsbart und war eine hilf¬
lose Karikatur; da kopierte Bressart nicht
mehr Fakkenstein, sondern Egon Friedell; da trug¬
Georg Schnell einen gravitätischen Spitzbart
und Kalser eine verrutschte Krawatte; da
machte Hörbiger aus dem scharmanten Fron¬
deur, wie Kürnberger diese Spezies genannt hatte,
einen Thadädel von Nestroys Gnaden; da zeigte
sich Stahl=Nachbaur im ernsten Priester¬
gewand, und Paul Otto protzte mit der Cha¬
rakterlosigkeit eines Ministers.
Diese und andere: Chargen um Herrn Kortner.
Er wollte Einstein gleichen, doch seine Maske war
dem Schachmeister Lasker eher ähnlich. Er wollte
Mittelpunkt sein und war es nur durch die Unter¬
stützung des ihm untertänigen Regisseurs. Sein
von den Klerikalen verfolgter Professor wirkte so
unsympathisch, daß man jede Abneigung, die ihm
galt, nur gerechtfertigt fand.
Eine Schar beharrlicher Applaus=Professionals
umjubelte den Star, der keiner war. Es soll
dieselbe gewesen, die kürzlich im Staatstheater
pfiff, als Kortner nicht den Boxer spielte.
Erik Krünes.
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Freitag, 24. Januar 1930
Mißertolg Kortners.
Zeitdrama von vorgestern.
Schnitzlers „Professor Bernhardi“.
im Königgrätzer Theater.
Ein „Zeitstück“ aus 1912; damals, wie eine all¬
wissende Archivmappe erzählt, Serienerfolg Bar¬
nowskys im Kleinen Theater; ein Schlüsseldrama,
das sich heute kaum mehr entziffern läßt; Milieu¬
schilderung aus dem alten Oesterreich, als dieses
noch gut habsburgisch war. Der k. u. k. Zensor
hatte es im schwarzgelben Wien zu spielen ver¬
boten. Als 1919 die verspätete Premiere in der
bolschewisierten Kaiserstadt stattfand, entdeckte
man erst, wie dumm der Zensor in der guten, alten
Friedenszeit gewesen, weil er ein solch' redseliges
Drama — „Marquis Posa im Aerzte¬
kittel“ — aus Angst vor der demagogischen
Wirkung selbst hohler Phrasen unterdrückt hatte.
Heute wirkt das Stück wie eine naive Erinne¬
rung an eine fast unglaubliche Vergangenheit.
Keine Beziehung, die sich zum Alltag knüpfen
läßt; kein Vergleich mit dem aktuellen Heute.
K.=u=k.=Mumien reden vergilbte Weisheiten.
Motten tanzen aus diesen Sätzen hervor. Es war
einmal...
Nein, es war nicht! Denn dieses Schnitzlerstück
ist falsches Theater, rührselige Geschaftelhuberei
um eine Affäre, die es niemals gab.. Dieser Pro¬
fessor Bernhardi, ein demütiger Altruist, in Klug¬
heit resignierend, milde wie ein Schaf und weise
wie zehn Aerzte, hat in der Form, die Kortner
der Gestalt gab, niemals in Oesterreich gelebt.
Schnitzler wurde durch Kortner
ad absurdum gespielt ..
Warum überhaupt diese Wiedererweckung eines
längst gestorbenen Dramas? . Nur, um Kortner
Gelegenheit für eine große Rolle zu schaffen, um
seinem nasalen Pathos die nüchternen Akkorde
einer einst revolutionär klingenden Rede auszu¬
liefern? Jeßner ging an dem Rollenhunger
Kortners zugrunde. Will er, dieser Darstel¬
lungsingenieur, dieser kluge Baumeister mit sei¬
ner bescheidenen Fähigkeit ein zweites Theater
xuinieren?
— . Professor Bernhardi“ hat nichts zu dem Heute
zu sagen. So fieht ein „Zeitstück“ nach
18 Jahren aus! Merkt ihr nun, wie schwach
und schlecht die Kunst bleibt, die so schnell ver¬
gänglich ist?
Drave Schauspieler um Kortner waren zu Stich¬
wortbringern degradiert. Da leuchtete aus Salf¬
ner das grauhaarige Temperament eines Demo¬
kraten mit Schlapphut, der nun auch schon eine
Figur von gestern ist; da zeigte Mamelok
einen teutonischen Fuchsbart und war eine hilf¬
lose Karikatur; da kopierte Bressart nicht
mehr Fakkenstein, sondern Egon Friedell; da trug¬
Georg Schnell einen gravitätischen Spitzbart
und Kalser eine verrutschte Krawatte; da
machte Hörbiger aus dem scharmanten Fron¬
deur, wie Kürnberger diese Spezies genannt hatte,
einen Thadädel von Nestroys Gnaden; da zeigte
sich Stahl=Nachbaur im ernsten Priester¬
gewand, und Paul Otto protzte mit der Cha¬
rakterlosigkeit eines Ministers.
Diese und andere: Chargen um Herrn Kortner.
Er wollte Einstein gleichen, doch seine Maske war
dem Schachmeister Lasker eher ähnlich. Er wollte
Mittelpunkt sein und war es nur durch die Unter¬
stützung des ihm untertänigen Regisseurs. Sein
von den Klerikalen verfolgter Professor wirkte so
unsympathisch, daß man jede Abneigung, die ihm
galt, nur gerechtfertigt fand.
Eine Schar beharrlicher Applaus=Professionals
umjubelte den Star, der keiner war. Es soll
dieselbe gewesen, die kürzlich im Staatstheater
pfiff, als Kortner nicht den Boxer spielte.
Erik Krünes.