II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 738

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Schnißzlers „Professor Bernhardi“
eines Schauspielers, der die einmal gefundene Auffassung konsequent
durchführt.
Theater in der Koniggraßerstraße.
Ich sagte schon, es ist eine glanzvolle Aufführung, in der eine
Von
ausgezeichnete Leistung neben der anderen steht. Bressarts noble
Felix Hollaender.
Art zu charakterisieren, Kalsers eiferndes Bekennertum, Paul
Ottos unnachahmliche Haltung, verbunden mit dem Ausdrucks¬
Ein glänzendes, bis in die letzte Einzelheit ausgeseiltes Spiel
vermögen eines großen Herrn. Hörbigers sastige Komik. ganz
erreichte im dritten Akt seinen Gipfel. Was dann im Stück noch
herausgewachsen aus dem österreichischen Charme, können gar nicht
folgt, ist unerheblich, ist weder theatralische, noch unbedingte dich¬
genug gepriesen werden. Neben ihnen stehen beinahe gleichwertig die
terische Notwendigkeit.
Herren Heinz Salfner. Maximilian Wolf. Harry Hardt.
Liegt wirklich schon ein so großer Zeitraum hinter uns, seit diese
Rudolf Platte, Emil Mamelok, Georg Schnell. Ernst
Komödie zum ersten Male aufgeführt wurde, oder altern die
Stahl=Nachbaur in seiner Zurückhaltung und Schlichtheit und
Probleme noch rascher als die Menschen?
Herbert Grünbaum. Von Rechts wegen müßte man den ganzen
Oder ist es überhaupt kein Problem mehr, daß der jüdische
Zettel abschreiben.
Leiter eines katholischen Krankenhauses unmöglich wird, sobald er
Barnowsky ist besser denn je in Form — man darf ihn zu
mit der Geistlichkeit zusammenstößt?
dieser Aufführung beglückwünschen. Wenn der zweite Teil des
Schnitzlers Professor Bernhardi verweigert aus ärztlichen
Abends ein wenig abflaute, so lag es an der Dichtung — nicht an ihm.
und menschlichen Gründen einem Priester den Zutritt zu einer
Gesamteindruck: Es ist ein großer Publikumserfolg, der sich in
Sterbenden, die sich bereits in der Euphorie befindet. Er möchte ihr
starken und echten Beifallskundgebungen äußerte. Regisseure und
den Schlaf in den Tod hinein erleichtern.
Schauspieler dürfen immer wieder erscheinen.
Aus diesem sauberen Verhalten wird ihm von schmutziger Kollegen¬

schaft ein Strick gedreht, nachdem er vorher einen entwürdigenden
Kuhhandel abgelehnt hat.
Scheint der Stoff bereits wirklich so abgetragen, daß er für den
theatralischen Bedarf nicht mehr in Frage kommt? Ich für mein
Teil glaube es nicht. Und schließlich kam es ja dem Dichter nicht
allein darauf an, Rassengegensätze zu zeigen, sondern auch die
Grenzlinie zwischen wissenschaftlichen und religiösen Anschauungen
zu ziehen.
Wissenschaft, die vom Christentum kommandiert wird, ist seit Nietz¬
sches Kritik undiskutabel. Der Dichter Schnitzler denkt allerdings
nicht so unzeitgemäß. Er weiß, daß für die Kleinbürger, die die
kompakte Majorität bilden, hier immer noch ein brennendes Pro¬
blem vorliegt. Oder er wußte es zum mindesten, als er vor unge¬
fähr dreißig Jahren sein Drama schrieb.
Und wenn man den gegenwärtigen Stand der deutschen Literatur
überschaut, innerhalb dessen es Ehrensache ist, Gesinnungsstücke zu
fabrizieren, so darf man unserem Autor nachrühmen, daß er mit
geradezu genialem Instinkt die Mode von heute vorausgeahnt hat —
nur mit dem Unterschied, daß hinter seiner Aufrollung von
Tendenzen einer große künstlerische Kraft steht.
Sein Männerstück, das von jeder Erotik absieht, kommt aus der
Richtung des „Uriel Acosta“. Es arbeitet mit den Begriffen von
Humanität und sittlicher Unbeugsamkeit, spielt Reaktion und Dunkel¬
männertum gegen Fortschritt und Toleranz aus.
Wir sind uns darüber klar, daß dies Rezept immer noch seiner
Wirkung sicher ist.
Aber zugleich stellen wir mit Genugtuung fest, daß ein Gesinnungs¬
stück auch dichterische Werte bergen kann. Denn gerechterweise muß
man anerkennen, daß sie in Schnitzlers Spiel vorhanden sind. Er.
der selbst Fachmann ist. will eine ganze Schicht, die er aus dem Fr
kennt, unter die Lupe nehmen, wobei er sie freilich schärfer auf ihre
öknnomische als wissenschaftliche Einstellung hin untersucht.
Gegen die Aerzteschaft hat bekanntlich schon Molière gewütet.
Jede Medizinflasche, jede Pille auf dem Tische seines eingebildeten
Kranken gibt Kunde davon. Und Bernard Shaws ätzende Komödie
„Der Arzt am Scheideweg“ gibt die Charlatanerie der heutigen
Medizinmänner dem Gelächter preis.
So bitteren Trank wie seine Vorgänger verabreicht Schnitzler
nicht. Das Thema wird bei ihm eingeengt und verbürgerlicht. Es
geht nuc noch um eine Handvoll armer Spießer, gegen die ein Ueber¬
ragender den Kampf führt.
Das ist es: den Menschen in diesem Stücke fehlt der geistige
Horizont. Sie betrachten die Dinge von einem so zugespitzten Ge¬
sichtswinkel aus, daß schließlich der Beobachter ebenso wie die Be¬
obachteten verschwinden.
Aber dem theatralischen Spannungsbedürfnis ist auf noble Art
Genüge getan, auch wenn der anspruchsvollere Zuschauer heute
mancherlei Einwände erheben kann. Zudem ist das Ganze in den
ersten Akten vorbildlich gearbeitet, weist eine Fülle dichterischer Züge
auf und läßt obendrein erkannen, mit welcher Ueberlegenheit der
Schnitzler einer verflossenen Epoche die Bühne beherrschte.
Den Bernhardi spielt Kortner. Er macht die Einfachheit zum
Prinzip. Er tut es bis zu einem Grade, daß er alles Feierliche in
Ton und Geste ausmerzen möchte. Nach meinem Geschmack geht er
in seiner Enthaltsamkeit zu weit. Die Figur wird dank seiner schau¬
spielerischen Einsicht moderner, aber zugleich verblaßt sie auch in
ihren Grundfarben. Bewundernswert bleibt die Diszipliniertheit