□
7
n e e e en e
BERLIN SO 16, RUNGESTRASSE 22-24
Berliner illustrierte
Nachtausgabe
Ausschnitt aus der Nummer vom: Z 4. UAN 1930
Mißerfols Koriners.
Hettorama von vorgestern.
Schnitzlers „Professor Bernhardi“.
im Königgrätzer Theater.
Ein „Zeitstück“ aus 1912; damals, wie eine all¬
wissende Archivmappe erzählt, Serienerfolg Bar¬
nowskys im leinen Theater; ein Schlüsseldrama,
das sich heutg kaum mehr entziffern läßt; Milieu¬
schilderung aus dem alten Oesterreich, als dieses
noch gut habsbüisch war. Der k. u. k. Zensor
hatte es zin schyarzgelben Wien zu spielen ver¬
boten. Als 1919 die verspätete Premiere in der
bolschewisierten Kaiserstadt stattfand, entdeckte
man erst, wie dumm der Zensor in der guten, alten
Friedenszeit gewesen, weil er ein solch' redseliges
Drama — „Marquis Posa im Aerzte¬
kittel" — aus Angst vor der demagogischen
Wirkung selbst hohler Phrasen unterdrückt hatte.
Heute wirkt das Stück wie eine naive Erinne¬
rung an eine fast unglaubliche Vergangenheit.
Keine Beziehling, die sich zum Alltag knüpfen
läßt; kein Vrgleich mit dem aktuellen Heute.
K.=u=k.=Mumien reden vergilbte Weisheiten.
Motten tanzen aus diesen Sätzen hervor. Es war
einmal ...
Nein, es war nicht! Denn dieses Schnitzlerstück
ist falsches Theater, rührselige Geschaftelhuberei
um eine Affäre, die es niemals gab. Dieser Pro¬
fessor Bernhardi, ein demütiger Altruist, in Klug¬
heit resignierend, milde wie ein Schaf und weise
wie zehn Aerzte, hat in der Form, die Kortner
der Gestalr gab, niemals in Oesterreich Lelebt.
Schnitzler wurde durch Kortner
ad absurdum gespielt
Warum überhaupt diese Wiedererweckung eines
längst gestorbenen Dramas? Nur, um Kortner
Gelegenheit für eine große Rolle zu schaffen, um
seinem nasalen Pathos die nüchternen Akkorde
einer einst revolutionär klingenden Rede auszu¬
liefern? Jeßner ging an dem Rollenhunger
Kortners zugrunde. Will er, dieser Darstel¬
lungsingenieur, dieser kluge Baumeister mit sei¬
ner bescheidenen Fähigkeit ein zweites Theater
ruinieren?
„Professor Bernhardi“ hat nichts zu dem Heute
zu sagen. So sieht ein „Z itstück“ nach
18 Jahren aus! Merkt ihr nun, wie schwach
und schlecht die Kunst bleibt, die so schnell ver¬
gänglich ist?
Brave Schauspieler um Kortner waren zu Stich¬
wortbringern degradiert. Da leuchtete aus Salf¬
ner das grauhaarige Temperament eines Demo¬
kraten mit Schlapphut, der nun auch schon eine
Figur von gestern ist; da zeigte Mamelok
einen teutonischen Fuchsbart und war eine hilf¬
lose Karikatur; da kopierte Bressart nicht
mehr Falkenstein, sondern Egon Friedell; da trug
Georg Schnell einen gravitätischen Spitzbart
und Kalser eine verrutschte Krawatte; da
machte Hörbiger aus dem scharmanten Fron¬
deur, wie Kürnberger diese Spezies genannt hatte,
einen Thadädel von Nestroys Gnaden; da zeigte
sich Stahl=Nachbaur im ernsten Priester¬
gewand, und Paul Otto protzte mit der Cha¬
rakterlosigkeit eines Minisiers.
Diese und andere: Chargen um Herrn Kortner.
Er wollte Einstein gleichen, doch seine Maske war
dem Schachmeister Lasker eher ähnlich. Er wollte
Mittelpunkt sein und war es nur durch die Unter¬
stützung des ihm untertänigen Regisseurs. Sein
von den Klerikalen verfolgter Professor wirkte so
unsympathisch, daß man jede Abneigung, die ihm
galt, nur gerechtfertigt fand.
Eine Schar beharrlicher Applaus=Professionals
umjubelte den Star, der keiner war. Es soll
dieselbe gewesen, die kürzlich im Staatstheater
pfiff, als Kortner nicht den Boxer spielte.
Erik Krünes.
geous Sehadenknaaden
EE
□
en Saares ssbriene #Unes-ausenaurr tadao
BERLIN SO 16, RUNGESTRASSE 22-24
Berliner Volkszeitung
Abendausgabe — Berlin SW. 19
Ausschnitt aus der Nummer vom:
24. J— 1930
Wbchnitziers, Professor Bernharat
Im Theater in der Königgrätzer Strasse
Schnitzlers Komödie, befläufig zwanzig Jahre alt, wirkt heute
wie ein Vorbild für die ganze Gattung Zeitdramatik. Was
Schnitzler als Arzt und als Jude aus seiner besonderen Milieu¬
konntnis beraus niedergeschrieben hat — er deutet auf spezi¬
lisch östgrreichische Verhältnisse hin — passt heute auch für ##
Deutschlünd: gds richtet die Zeit. Was Schnitzler als Dichter
geleistet hat, einen dramatischen Fall aus der Flächigkelt des
Pathetikers in die Weiträumigkeit des Skeptikers zu verlegen,
das spricht für sein zeitloses Künstlertum.
Es geht hier nicht um Probleme: ob ein Arzt einer Sterbenden
die priesterliche Hilfe verweigern darf, wenn er ihr dadurch
einen glücklichen Tod bereitet. Es geht nicht um den Antisemi¬
tismus, dass man Bernhardi vermutlich kein Haar gekrümmt
hätte, wenn er nicht Jude gewesen wäre. Es geht um die Dar¬
stellung eines Weltbildes, wie ein Fall, der im Grunde nur eine
Entscheidung zwischen Richtig- oder Falschandeln sein kann,
politische Weiterungen nach sich zieht. Es geht in diesem herr¬
lichen Stück um die Erhellung seelischer Kräfte der Artung
Mensch. Bernhardi handelt nach seinem Rechtsgefühl. Aber
die Aeusserungen seines Rechtsgefühls wurzeln in seinem
Judentum.
In Barnowskys vortrefflicher Inszenierung, wohltuend in ihrer
Ausgeglichenheit und Mätzchenlosigkeit, gibt Kortner dem Pro¬
fessor sehr glücklich einen leicht herausfordernden Ton des Zu¬
rechtweisens und noch in seinen malitiösen Ironien liegt etwas
Hybrides. Sein Bernhardi ist nicht nur tüchtig und rechtlich, er
hat auch seine Kanten. Selten hat Kortners Kunst tiefer in alle
Schichten eines Menschenwesens hineingeleuchtet Durch ihn
ward allerdings fühlbar, dass auch der opportunistische Minister
Paul Ottos mehr Hintergründigkeit hätte haben müssen und für
den Priester Stahl-Nachbaurs hätte man sich mehr flackernde
Ueberzeugtheit als phlegmatische Abgeklärtheit gewünscht.
Prachtvoll ist Bernhardis Kollegenschaft ins Spiel gesetzt: Kalsers
witzige, pointensichere Erregtheit, Bressarts bedächtige Sankt¬
heit. Salfners (des skeptisch-braven Bernhardi von ehedem)
joviales Poltern. Im letzten Akt gibt es noch Paul Hörbigers
köstlich hingestrichelten Hofrat.
Lauter und gehaltvoller Beifall am Schluss.
Lutz Weltmern
7
n e e e en e
BERLIN SO 16, RUNGESTRASSE 22-24
Berliner illustrierte
Nachtausgabe
Ausschnitt aus der Nummer vom: Z 4. UAN 1930
Mißerfols Koriners.
Hettorama von vorgestern.
Schnitzlers „Professor Bernhardi“.
im Königgrätzer Theater.
Ein „Zeitstück“ aus 1912; damals, wie eine all¬
wissende Archivmappe erzählt, Serienerfolg Bar¬
nowskys im leinen Theater; ein Schlüsseldrama,
das sich heutg kaum mehr entziffern läßt; Milieu¬
schilderung aus dem alten Oesterreich, als dieses
noch gut habsbüisch war. Der k. u. k. Zensor
hatte es zin schyarzgelben Wien zu spielen ver¬
boten. Als 1919 die verspätete Premiere in der
bolschewisierten Kaiserstadt stattfand, entdeckte
man erst, wie dumm der Zensor in der guten, alten
Friedenszeit gewesen, weil er ein solch' redseliges
Drama — „Marquis Posa im Aerzte¬
kittel" — aus Angst vor der demagogischen
Wirkung selbst hohler Phrasen unterdrückt hatte.
Heute wirkt das Stück wie eine naive Erinne¬
rung an eine fast unglaubliche Vergangenheit.
Keine Beziehling, die sich zum Alltag knüpfen
läßt; kein Vrgleich mit dem aktuellen Heute.
K.=u=k.=Mumien reden vergilbte Weisheiten.
Motten tanzen aus diesen Sätzen hervor. Es war
einmal ...
Nein, es war nicht! Denn dieses Schnitzlerstück
ist falsches Theater, rührselige Geschaftelhuberei
um eine Affäre, die es niemals gab. Dieser Pro¬
fessor Bernhardi, ein demütiger Altruist, in Klug¬
heit resignierend, milde wie ein Schaf und weise
wie zehn Aerzte, hat in der Form, die Kortner
der Gestalr gab, niemals in Oesterreich Lelebt.
Schnitzler wurde durch Kortner
ad absurdum gespielt
Warum überhaupt diese Wiedererweckung eines
längst gestorbenen Dramas? Nur, um Kortner
Gelegenheit für eine große Rolle zu schaffen, um
seinem nasalen Pathos die nüchternen Akkorde
einer einst revolutionär klingenden Rede auszu¬
liefern? Jeßner ging an dem Rollenhunger
Kortners zugrunde. Will er, dieser Darstel¬
lungsingenieur, dieser kluge Baumeister mit sei¬
ner bescheidenen Fähigkeit ein zweites Theater
ruinieren?
„Professor Bernhardi“ hat nichts zu dem Heute
zu sagen. So sieht ein „Z itstück“ nach
18 Jahren aus! Merkt ihr nun, wie schwach
und schlecht die Kunst bleibt, die so schnell ver¬
gänglich ist?
Brave Schauspieler um Kortner waren zu Stich¬
wortbringern degradiert. Da leuchtete aus Salf¬
ner das grauhaarige Temperament eines Demo¬
kraten mit Schlapphut, der nun auch schon eine
Figur von gestern ist; da zeigte Mamelok
einen teutonischen Fuchsbart und war eine hilf¬
lose Karikatur; da kopierte Bressart nicht
mehr Falkenstein, sondern Egon Friedell; da trug
Georg Schnell einen gravitätischen Spitzbart
und Kalser eine verrutschte Krawatte; da
machte Hörbiger aus dem scharmanten Fron¬
deur, wie Kürnberger diese Spezies genannt hatte,
einen Thadädel von Nestroys Gnaden; da zeigte
sich Stahl=Nachbaur im ernsten Priester¬
gewand, und Paul Otto protzte mit der Cha¬
rakterlosigkeit eines Minisiers.
Diese und andere: Chargen um Herrn Kortner.
Er wollte Einstein gleichen, doch seine Maske war
dem Schachmeister Lasker eher ähnlich. Er wollte
Mittelpunkt sein und war es nur durch die Unter¬
stützung des ihm untertänigen Regisseurs. Sein
von den Klerikalen verfolgter Professor wirkte so
unsympathisch, daß man jede Abneigung, die ihm
galt, nur gerechtfertigt fand.
Eine Schar beharrlicher Applaus=Professionals
umjubelte den Star, der keiner war. Es soll
dieselbe gewesen, die kürzlich im Staatstheater
pfiff, als Kortner nicht den Boxer spielte.
Erik Krünes.
geous Sehadenknaaden
EE
□
en Saares ssbriene #Unes-ausenaurr tadao
BERLIN SO 16, RUNGESTRASSE 22-24
Berliner Volkszeitung
Abendausgabe — Berlin SW. 19
Ausschnitt aus der Nummer vom:
24. J— 1930
Wbchnitziers, Professor Bernharat
Im Theater in der Königgrätzer Strasse
Schnitzlers Komödie, befläufig zwanzig Jahre alt, wirkt heute
wie ein Vorbild für die ganze Gattung Zeitdramatik. Was
Schnitzler als Arzt und als Jude aus seiner besonderen Milieu¬
konntnis beraus niedergeschrieben hat — er deutet auf spezi¬
lisch östgrreichische Verhältnisse hin — passt heute auch für ##
Deutschlünd: gds richtet die Zeit. Was Schnitzler als Dichter
geleistet hat, einen dramatischen Fall aus der Flächigkelt des
Pathetikers in die Weiträumigkeit des Skeptikers zu verlegen,
das spricht für sein zeitloses Künstlertum.
Es geht hier nicht um Probleme: ob ein Arzt einer Sterbenden
die priesterliche Hilfe verweigern darf, wenn er ihr dadurch
einen glücklichen Tod bereitet. Es geht nicht um den Antisemi¬
tismus, dass man Bernhardi vermutlich kein Haar gekrümmt
hätte, wenn er nicht Jude gewesen wäre. Es geht um die Dar¬
stellung eines Weltbildes, wie ein Fall, der im Grunde nur eine
Entscheidung zwischen Richtig- oder Falschandeln sein kann,
politische Weiterungen nach sich zieht. Es geht in diesem herr¬
lichen Stück um die Erhellung seelischer Kräfte der Artung
Mensch. Bernhardi handelt nach seinem Rechtsgefühl. Aber
die Aeusserungen seines Rechtsgefühls wurzeln in seinem
Judentum.
In Barnowskys vortrefflicher Inszenierung, wohltuend in ihrer
Ausgeglichenheit und Mätzchenlosigkeit, gibt Kortner dem Pro¬
fessor sehr glücklich einen leicht herausfordernden Ton des Zu¬
rechtweisens und noch in seinen malitiösen Ironien liegt etwas
Hybrides. Sein Bernhardi ist nicht nur tüchtig und rechtlich, er
hat auch seine Kanten. Selten hat Kortners Kunst tiefer in alle
Schichten eines Menschenwesens hineingeleuchtet Durch ihn
ward allerdings fühlbar, dass auch der opportunistische Minister
Paul Ottos mehr Hintergründigkeit hätte haben müssen und für
den Priester Stahl-Nachbaurs hätte man sich mehr flackernde
Ueberzeugtheit als phlegmatische Abgeklärtheit gewünscht.
Prachtvoll ist Bernhardis Kollegenschaft ins Spiel gesetzt: Kalsers
witzige, pointensichere Erregtheit, Bressarts bedächtige Sankt¬
heit. Salfners (des skeptisch-braven Bernhardi von ehedem)
joviales Poltern. Im letzten Akt gibt es noch Paul Hörbigers
köstlich hingestrichelten Hofrat.
Lauter und gehaltvoller Beifall am Schluss.
Lutz Weltmern