II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 789

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25. PrezoBernhand
SCHNITZLER:
* 46
„1 Tofessor Bernhardi.
Königgrätzer Strasse.
Hier ist ein Vorbild für die Gegenwart: jenes heut zu for¬
dernde, von mir wieder geforderte Tendenzstück mit Kunst.
Im Unterschied also zu der szenischen Zweckschlamperei; zur
klobigen Schnelldramatik — die jetzt umgeht.
Die zwar die Kunsthöhe mindert, aber ein Sachziel nicht
mehr fördert. Die zwar das Dichterische zurückschraubt, aber
das Ethische nicht mehr emporschraubt. Kurz: die jetzo die
langsam angeekelte Masse nicht mehr vorwärtsbringt... son¬
dern allgemach langweilt.
Augenblick zur Umkehr. Halali!
II.
Die Weissen sind in Schnitzlers Tendenzwerk nicht schnee¬
weiss; die Schwarzen nicht kohlschwarz; die Schafe nicht zur
Rechten, die Böcke nicht zur Linken; das Elend nicht schmalzfett.
Sein semitischer Arzt vielmehr, der einen Gewissenskampf
mit sich, zweitens einen Weltanschauungskampf mit dem Klerus,
drittens einen österreichischen Kampf mit Gummiwänden durch¬
macht — und, österreichisch selber, zuletzt einen Halbverzicht
(oder ist es ein Erkennen aller Relativität?): dieser Arzt, ob Jud
oder Nichtjud, ist keine Zweckpuppe; kein Ideengestell; sondern
ein seelenfleischerner Mensch rund-um-und-um.
III.
Seine Gegner sind, wie er, nicht ein Tendenzgekritzel: son¬
dern ein Farbgebild.
In vielen Beleuchtungen. Innere Zwischenglieder; irdische
Mischwesen. Leute mit Schattungen; Stufungen; Halbspuren;
Einschlägen; Uebergängen; Spielarten. (Dast ist es.)
Darum leben sie noch; obschon die politischen Anlässe zu
diesem Werk heut nicht mehr bestehn; heut nicht mehr so
bestehn.
IV.
Darum führt so ein Werk zum Kunstgefühl wie zum Bessern¬
wollen; zum einen durch das andre.
Darum ist es, als Amalgam von Gewissen und Baugliederung,
in seiner schillernden Vielfalt nicht nur (thukydidelsch ausge¬
drückt)... nicht nur ein „agonisma es to parautika“, sondern
Taclla# — #be##
ein „ktema es ael“. Nicht eine Momentwirkung, sondern ein
Besitz.
Darum ist es ein (heut nachzuahmendes, heut erst wieder zu
eroberndes) deutsches Meisterwerk.
Zweckdramatiker — halali!
v.
Barnowskys Leitung bezwingt es.
Nur der Schlussakt, mit Halbverzicht und Skepsis, verträgt
im Ton unterirdisch elwas mehr Nachzittern.
Nicht ganz eine so helle Heiterkeit. Gestraffteres dafür. Noch
Spannung in der Entspannung.. Es bleibt mit den Finger¬
spitzen anzufassen. Es geht um Gradstriche.
VI.
Schnitzler will den Professor Bernhardi „liebenswürdig“. Er
betonte das gesprächsweis vor kurzem, als er über die besie
Gestaltung durch Kortnef im Zweifel war.
Kortner wird jedoch liebenswürdig hier. Er vergisst keinen
Augenblick, dass ja dieser Kämpfer-Arzt in Wien wohnt. Dass
dieser Professor ein (zugleich verringerter, zugleich erhöhter)
Dr. Stockmann an der schönen, gar nicht blauen Donau ist. So
stellt er ihn hin.
Bestimmt nicht weich. Aber niemals in Fechterpose. Nur
von umstandsloser Menschlichkeit erfüllt; ohne Aufhebens; herr¬
lich einfach.
Und einfach herrlich.
VII.
Monologische Zufügungen wie, am zweiten Aktschluss, man
„werde sehen“, sind vom Uebel.
Balti
Selbst wenn Schnitzler sie gebilligt; selbst wenn Schnitzler
wird
sie geschrieben hätte.
Bild
Hat er
VIII.
Bressart — der in kennbarer Entwicklung über Beigestalten
hinauswächst — gibt eine solche. (Den Fachmann für Nerven,
(Fall
Professor Cyprian.) Kauzhaft. Phantastowirklich. Nicht um
Abtel
Haaresbreite fern vom leiblichen Leben.

Kostbar auch Salfner, Bernhardis Freund weissköpfig brau¬
send. Saifner war ehedem selbst ein Bernhardi — der gut im
Gedächtnis fortlebt.
IX.
„G
Rudolf Platte: völkischer Kandidat. Paul Hörbiger: Hofrat,
un
von lächelndem Schliff und schlampeter Ethik (in diesem öster- 1 die
reichischen Nationaldrama mit umgekehrten Vorzeichen) — beide
u. a.
prachtvoll; der eine durch das Aussenbild; Hörbiger durch
Genreton und Bewegungsumrise.
und
aufg